Die Dokumentation der Patientenbeobachtung (Pflegeanamnese) nach Aufnahme auf Station kann zur Bestimmung der Hauptdiagnose (hier: C71.8) herangezogen werden, wenn diese zeitlich nicht weit vom Erstkontakt des Patienten in der Notaufnahme erfolgt

S 19 KR 357/15 | Sozialgericht , Urteil vom 19.12.2019

Entgegen der Auffassung der durfte das Krankenhaus für die Behandlung der Versicherten die B01Z abrechnen. Denn die Diagnose C71.8 nach ICD-10-GM (2009) (Bösartige Neubildung des Gehirns, Gehirn mehrere Teilbereiche überlappend) ist als Hauptdiagnose zugrunde zu legen

Die Hauptdiagnose wird nach D002f der Allgemeinen Kodierrichtlinien für Krankheiten der Deutschen Kodierrichtlinie (DKR) (Version 2009) der Selbstverwaltungspartner (Deutsche Krankenhausgesellschaft, der -Spitzenverband und der Verband der privaten Kranken-versicherung) und das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK GmbH) wie folgt definiert: Die Diagnose, die nach Analyse als diejenige festgestellt wurde, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes des Patienten verantwortlich ist.

Es wird im Anschluss an diese Definition noch in dieser Richtlinie angeführt: Der Begriff „nach Analyse” bezeichnet die Evaluation der Befunde am Ende des stationären Aufenthaltes, um diejenige Krankheit festzustellen, die hauptsächlich verantwortlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes war. Die dabei evaluierten Befunde können Informationen enthalten, die aus der medizinischen und pflegerischen Anamnese, einer psychiatrischen Untersuchung, Konsultationen von Spezialisten, einer körperlicher Untersuchung, diagnostischen Tests oder Prozeduren, chirurgischen Eingriffen und pathologischen oder radiologischen Untersuchungen gewonnen wurden.

Für die Abrechnung relevante Befunde, die nach der Entlassung eingehen, sind für die Kodierung heranzuziehen. Die nach Analyse festgestellte Hauptdiagnose muss nicht der Aufnahmediagnose oder Einweisungsdiagnose entsprechen. Das Bundessozialgericht (vgl. BSG, Urteil vom 21. April 2015 – B 1 KR 9/15 R) führt zur inhaltsgleichen D002d der DKR 2005 aus: Zentraler Begriff ist für die DKR (2005) D002d die „Veranlassung“ des stationären Krankenhausaufenthalts. Sie meint die ursächliche Auslösung des stationären Behandlungsgeschehens. Das zeitliche Moment als ein wesentliches Definitionsmerkmal grenzt dabei von später hinzugetretenen Diagnosen ab, die ebenfalls stationäre bedingen.

Ein bereits – objektiv zutreffend – veranlasster stationärer Krankenhausaufenthalt kann nicht später, nach Aufnahme in das Krankenhaus nochmals veranlasst, sondern allenfalls aufrecht-erhalten werden. Diagnosen, die erst nachfolgend Behandlungsbedürftigkeit begründen, sind irrelevant. Das Bundessozialgericht (vgl. BSG, Urteil vom 21. April 2015 – B 1 KR 9/15 R) führt ferner aus: Hauptdiagnose im Sinne der DKR (2005) D002d als Teil der Allgemeinen Kodierrichtlinien ist die Diagnose, die bei retrospektiver Betrachtung objektiv nach medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnis die Aufnahme zur stationären Behandlung erforderlich machte. Es ist für die Bestimmung der Hauptdiagnose ohne Belang, wenn innerhalb eines abrechenbaren Behandlungsfalls nach der Aufnahme ins Krankenhaus weitere Krankheiten oder Beschwerden auftreten die ebenfalls für sich genommen stationäre Behandlung bedingen, selbst wenn die stationäre Behandlungsbedürftigkeit aufgrund der ersten Diagnose wegfällt. Bestehen bei der Aufnahme ins Krankenhaus zwei oder mehrere Krankheiten oder Beschwerden, die jeweils für sich genommen bereits stationärer Behandlung bedurften, kommt es darauf an, welche von ihnen bei retrospektiver Betrachtung objektiv nach medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnis hauptsächlich die stationäre Behandlung erforderlich machte.

Nach der des BSG können mithin solche Diagnosen keine Hauptdiagnose darstellen, bei denen die Krankheit oder die Beschwerden erst nach der Aufnahme ins Krankenhaus auftreten; die Krankheit oder die Beschwerde müssen bei der Aufnahme aufgetreten sein. Das bedeutet, dass die Krankheit bei Aufnahme nicht nur objektiv vorliegen muss, sondern sie muss sich nach außen zeigen. Vorliegend hat sich die Krankheit des Hirntumors bereits durch Beschwerden bei der Aufnahme gezeigt:

Nach Ansicht der Kammer ist die Aufnahme nicht nur ein punktuelles Ereignis, wie die Anmeldung in der Notaufnahme oder die Aufnahmeuntersuchung. Als Aufnahme ist vielmehr die Unterbringung im Krankenhaus zu verstehen, also der Zeitraum bis der Patient im Krankenhaus untergebracht ist. Von einer Unterbringung kann allerdings nur dann gesprochen werden, wenn alle initialen Prozesse der Vorbereitung des stationären Krankenhausaufenthalts abgeschlossen sind und der übliche Gang des Krankenhausaufenthalts mit den Untersuchungen und Be-handlungen seinen Lauf nehmen kann.

Zu den initialen Prozessen gehört dabei auch die Pflegeanamnese auf der Station, jedenfalls dann, wenn noch ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang zwischen der Pflegeanamnese und dem Zeitpunkt des Erstkontakts des Patienten mit dem Krankenhaus besteht. Denn die Pflegeanamnese ist der Ausgangspunkt des Pflegeprozesses und dient dazu, das Fundament für eine optimale Pflegeplanung und Pflegepraxis zu legen; sie ist mithin Voraussetzung für die Unterbringung. Zur Pflegeanamnese gehört dabei auch die zu Beginn stattfindende Patientenbeobachtung durch die . Vorliegend lagen laut dem ersten Eintrag des Pflegeberichts bei der ersten Patientenbeobachtung durch die Pflegekraft um 15:30 Uhr die Verwirrtheitszustände und die Unfähigkeit zur Durchführung von einfachen Bewegungsabläufen und mithin vor dem Abschluss der Pflegeanamnese vor. Die Patientenbeobachtung erfolgte auch zeitlich nicht weit von dem Erstkontakt der Patientin in der Notaufnahme um 13:45 Uhr, sodass auch ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang zu bejahen ist.

Da diese Verwirrtheitszustände und die Unfähigkeit zur Durchführung von einfachen Bewegungsabläufen Symptome für den Hirntumor darstellen, ist die Krankheit des Hirntumors bereits bei der Aufnahme aufgetreten und hat daher in der Betrachtung exante das Behandlungsgeschehen veranlasst. Deshalb kommen als Hauptdiagnosen sowohl der Hirntumor als auch die Rechtsherzinsuffizienz in Betracht, da sie beide die Definition der Hauptdiagnose erfüllen. Für diese Fälle bestimmt die Allgemeine Kodierrichtlinie (Version 2009) auf Seite 6, dass diejenige als Hauptdiagnose auszuwählen ist, die für die Untersuchung und oder Behandlung die meisten Ressourcen verbraucht hat.

Vorliegend war dies unzweideutig die Diagnose des Hirntumors. Dieser löste eine aufwändige Operationsvorbereitung, die Operation an sich sowie die vielfachen postoperativen Komplikationen und deren Behandlung (Mehrfachnähung, Shuntanlage, etc.) aus. Es war sogar ein Intensivstationsaufenthalt erforderlich. Für die Bestimmung der Herzinsuffizienz sind dagegen lediglich nicht so aufwändige Maßnahmen, wie eine radiologische Untersuchung, ein EKG, eine laborchemische Untersuchung der D-Dimer, erfolgt. Damit ist die C71.8 nach ICD-10-GM (2009) (Bösartige Neubildung des Gehirns, Gehirn mehrere Teilbereiche überlappend) als Hauptdiagnose zugrunde zu legen.

Quelle: Sozialgerichtsbarkeit

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