Präklusion im MD-Prüfverfahren: Nicht fristgerecht übermittelte Behandlungsdokumente sind auch im Gerichtsverfahren ausgeschlossen

L 16 KR 104/22 KH | Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25.01.2024

Die Vorschrift des § 7 Abs. 2 PrüfvV 2016 ist als materielle Präklusionsnorm zu verstehen. Krankenhäuser, die angeforderte Unterlagen nicht oder nur unvollständig fristgerecht an den Medizinischen Dienst übermitteln, verlieren die Möglichkeit, diese im weiteren Verlauf – auch im Gerichtsverfahren – nachzureichen und als Beweismittel zu verwerten. Die Präklusion greift selbst dann, wenn die Unterlagen nur teilweise eingereicht wurden und der MD die Unvollständigkeit zunächst nicht erkannte. Eine Hinweispflicht des MD besteht lediglich dann, wenn die Lücken ohne Weiteres im üblichen Geschäftsgang ersichtlich gewesen wären. Eine Ausnahme oder teleologische Reduktion der Präklusionswirkung ist ausgeschlossen.

Im Mittelpunkt des Rechtsstreits stand die Frage, ob ein Krankenhaus seinen Anspruch auf eine höhere Vergütung verliert, wenn es im MD-Prüfverfahren angeforderte Unterlagen nicht vollständig innerhalb der PrüfvV-Frist vorlegt. Konkret ging es um die Kodierung einer 1:1-Betreuung (OPS 9-640.0x) bei einem psychisch erkrankten Patienten, der im Juli 2018 stationär behandelt wurde.

Das Krankenhaus hatte die entsprechende Leistung abgerechnet und zunächst auch die Zahlung erhalten. Nachdem die Krankenkasse den Medizinischen Dienst (MD) mit einer Prüfung beauftragt hatte, forderte dieser am 17. August 2018 ausdrücklich bestimmte Unterlagen an, darunter die vollständige ärztliche Dokumentation, inklusive Anordnungen, sowie alle OPS-relevanten Nachweise zur Komplexbehandlung. Das Krankenhaus übermittelte zwar fristgerecht Unterlagen, ließ jedoch entscheidende Dokumente, etwa die ärztlichen Fixierungsanordnungen und die pflegerischen Beobachtungsbögen, aus.

Auf Grundlage der unvollständigen Unterlagen kam der MD zu dem Ergebnis, dass der erhöhte Betreuungsaufwand nicht nachvollziehbar sei. Die Krankenkasse kürzte daraufhin den Abrechnungsbetrag um 9.585,62 Euro und rechnete diesen Betrag auf. Das Krankenhaus klagte hiergegen und legte im Klageverfahren die fehlenden Unterlagen nach, woraufhin ein späteres MD-Gutachten die OPS-Kodierung überwiegend bestätigte.

Das Sozialgericht wies die Klage dennoch ab. Es begründete seine Entscheidung damit, dass die verspätet eingereichten Unterlagen aufgrund der Präklusionsregelung des § 7 Abs. 2 PrüfvV 2016 nicht mehr berücksichtigt werden dürften. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen bestätigte dieses Urteil und schloss sich der Linie der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BSG) an.

Das Gericht stellte klar, dass § 7 Abs. 2 PrüfvV eine materielle Präklusionsnorm darstellt, die über den reinen Verfahrensrahmen hinaus unmittelbare Auswirkung auf den Vergütungsanspruch hat. Werden angeforderte Unterlagen nicht fristgerecht vorgelegt, sind diese im gesamten weiteren Verfahren – einschließlich eines gerichtlichen Verfahrens – ausgeschlossen. Selbst wenn die fehlenden Dokumente später nachgereicht und inhaltlich überzeugend sind, dürfen sie zur Begründung des Anspruchs nicht mehr herangezogen werden.

Das LSG sah es als erwiesen an, dass der MD konkret bezeichnete Unterlagen angefordert hatte, die das Krankenhaus trotz Kenntnis und Fristsetzung nicht vollständig vorgelegt hatte. Die Klägerin hatte zudem keine Gründe für die verspätete oder unterbliebene Übermittlung vorgetragen. Die fehlenden Unterlagen betrafen wesentliche Nachweise für die behauptete 1:1-Betreuung und waren damit entscheidungserheblich.

Eine Hinweispflicht des MD auf fehlende Unterlagen verneinte das Gericht. Der MD sei nicht verpflichtet, den Umfang oder die Vollständigkeit der eingereichten Dokumente unmittelbar nach Eingang zu prüfen und das Krankenhaus über Lücken zu informieren. Eine solche Pflicht bestehe nur dann, wenn die Unvollständigkeit im „üblichen Geschäftsgang“ ohne weiteres erkennbar sei – etwa bei offensichtlichen formalen Mängeln oder erkennbar unleserlichen Scans. Im vorliegenden Fall sei die fehlende Dokumentation erst bei der inhaltlichen Bewertung aufgefallen.

Das LSG wies auch den Einwand der Klägerin zurück, die Unterlassung sei versehentlich erfolgt und dürfe nicht zum vollständigen Anspruchsverlust führen. Eine „teleologische Reduktion“ der Präklusionswirkung bei bloß fahrlässiger oder irrtümlicher Nichtvorlage komme nicht in Betracht. Das Gericht betonte, dass der Zweck der PrüfvV – Verfahrensbeschleunigung und Rechtssicherheit – nur durch eine konsequente Anwendung der Präklusionsvorschriften erreicht werden könne. Krankenhäuser trügen die volle Verantwortung für die Vollständigkeit ihrer Unterlagen, und es sei ihnen zumutbar, den Versand zu dokumentieren und zu prüfen, ob alle angeforderten Dokumente übermittelt wurden.

Schließlich stellte das LSG klar, dass auch ein späteres, positives Gutachten auf Grundlage nachgereichter Unterlagen rechtlich unbeachtlich sei. Dieses dürfe nicht zur Begründung des Anspruchs herangezogen werden, da es auf präkludierten Beweismitteln beruhe. Die materielle Wahrheit müsse hier hinter der prozessualen Ordnungsvorschrift zurücktreten, um die Funktionsfähigkeit des Prüfverfahrens zu gewährleisten.