Ein alleiniger Nachweis einer Besiedlung mit Staphylococcus aureus (B95.6!) reiche für eine Kodierung nicht aus

L 9 KR 264/19 | Sächsisches , Urteil vom 08.02.2022

Bei B95.6! handelt es sich um einen Ausrufezeichenkode, der gemäß D012i DKR 2012 („Mehrfachkodierung“; Deutsche Version 2012) als sekundäre Schlüsselnummer nicht alleine, sondern nur zusammen mit einem zutreffenden Primär-Diagnoseschlüssel verschlüsselt werden darf. Mit einem Ausrufezeichen gekennzeichnete sekundäre Schlüsselnummern sind zum Teil optional, in anderen Fällen obligat anzugeben. Der Kode B95.6! ist ausweislich der Tabelle 2 in D012i DKR 2012 obligat (bzw. obligatorisch) anzugeben. Dabei bedeutet „obligat“, dass dieser Kode auch bei fehlendem Ressourcenverbrauch zu kodieren ist.

Aus dem Wortlaut des Sekundärkodes B95.6! und der systematischen Auslegung ergibt sich, dass der Kode nur dann kodiert werden darf, wenn Staphylococcus aureus die Ursache einer infektiösen Erkrankung ist. Der Nachweis einer Besiedlung mit diesem Keim allein reicht hierfür nicht aus. Dass der Keim Ursache einer Krankheit sein muss, ergibt sich aus dem Wortlaut des Kodes B95.6!

Unter Beachtung der einschlägigen Überschriften ergibt die systematische Auslegung darüber hinaus, dass es sich bei dieser Krankheit um eine infektiöse Erkrankung handeln muss. So lautet die Überschrift zu Kapitel I des -10-GM Version 2012: „Bestimmte infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99)“. Die Überschrift zur einschlägigen Untergruppe lautet: „Bakterien, Viren und sonstige Infektionserreger als Ursache von Krankheiten, die in anderen Kapiteln klassifiziert sind (B95-B98)“. Ferner heißt es in dem Hinweis zu der Untergruppe B95-B98: „Diese Kategorien sollten niemals zur primären benutzt werden. Sie dienen als ergänzende oder zusätzliche Schlüsselnummern zur Angabe des Infektionserregers bei anderenorts klassifizierten Krankheiten.“ Eine eines Kodes aus der Untergruppe B95-B98 erfordert daher das Vorliegen einer infektiösen Erkrankung, die durch die in der Untergruppe jeweils aufgeführten Keime verursacht worden sein muss.

Vorliegend ist nicht zur Überzeugung des Senats nachgewiesen, dass der Staphylococcus aureus eine infektiöse Krankheit bei der Versicherten verursacht hat und ursächlich für den Fersenulcus gewesen ist.

Auch der Kode Z22.3 (Keimträger anderer näher bezeichneter bakterieller Krankheiten, Keimträger bakterieller Krankheiten durch Meningokokken, Staphylokokken, Streptokokken) kann nicht als Primärkode zu B95.6! in Ansatz gebracht werden. B95.6! setzt voraus, dass der Keim „Ursache von Krankheiten, die in anderen Kapiteln klassifiziert sind“ ist. Der Kode Z22.3 beschreibt schon keine Erkrankung im Sinne von B95.6!.

Aus dem Wortlaut des Kodes Z22.3 und der maßgeblichen Überschriften (Z22.- „Keimträger von Infektionskrankheiten; Inkl.: Verdachtsfälle“) ergibt sich, dass hier keine Erkrankung kodiert wird. Gegenstand der Kodierung ist vielmehr eine Person mit potentiellem Gesundheitsrisiko, hier in Gestalt einer Besiedlung mit Staphylokokken, bei der gerade keine durch Staphylokokken verursachte Erkrankung besteht. Aus der „Anleitung zur Verschlüsselung der ICD-10-GM 2012“ (https://www.dimdi.de) ergibt sich, dass die Kodes aus dem Kapitel XXI zur (alleinigen) Verschlüsselung des Behandlungsanlasses nur verwendet werden dürfen, wenn Leistungen abgerechnet werden, die „nicht in einer Erkrankung begründet sind“. Als Beispiele werden Leistungen zur Vorsorge (z.B. Impfungen), zur Herstellung der Zeugungs- und Empfängnisfähigkeit, zur Empfängnisverhütung und zu Schwangerschaftsabbruch und Sterilisation aufgeführt. Auch hierdurch wird belegt, dass mit dem Kode Z22.3 keine Krankheit kodiert wird. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Klägerin vorgelegten Antwort des DIMDI vom 23.06.2010 auf eine Einzelanfrage. In dieser Antwort auf die Anfrage, ob Z22.3 in Verbindung mit B95.6! kodiert werden könne, hat das DIMDI die Auffassung vertreten, dass es sich bei Z22.3 im klassifikatorischen Sinne um eine „Krankheit“ handele; die Kodierung von B95-B97 sei zusätzlich möglich. Der Senat kann sich dieser nicht begründeten Schlussfolgerung des DIMDI nicht anschließen. Es steht zwar außer Frage, dass es sich bei Z22.3 um eine Klassifikation handelt. Dies führt dazu, dass Z22.3 bei entsprechendem Ressourcenverbrauch als Nebendiagnose – im vorliegenden Fall ohne erlössteigernde Wirkung – kodiert werden kann. Hieraus folgt jedoch nicht, dass es sich um eine Krankheit im Sinne von B95.6! handelt. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Kode B95.6! Krankheiten mit Klassifikationen gleichsetzt. Der Wortlaut von B95.6! spricht von „Krankheiten, die in anderen Kapiteln klassifiziert sind“ und nicht von „Klassifikationen“ oder von „Krankheiten im klassifikatorischen Sinne“. Der Begriff der Krankheit wird in dem ICD-10-GM Version 2012 vielfach in den Kapitelüberschriften verwandt (vgl. die Überschriften zu den Kapiteln I und III bis XIV). In dem Kapitel XXI „Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen Z00-Z99“ wurden jedoch gerade keine Krankheiten klassifiziert, wie sich aus der Wortwahl, der Überschrift, der Kodes und aus der Verschlüsselungsanleitung des DIMDI ergibt.

Schließlich setzt der Sekundärkode B95.6! voraus, dass durch den Keim eine Infektion verursacht worden, eine Infektion mithin schon eingetreten ist. Auch aus diesem Grund qualifiziert sich der Kode Z22.3 nicht als Primärkode für B95.6!. Denn der Kode Z22.3 beschreibt keine Infektion, sondern eine Person, die mit Keimen besiedelt ist. Die Keimträgerschaft bzw. die Besiedlung mit Keimen ist aber gerade nicht mit einer Infektion gleichzusetzen. Darüber hinaus kann B95.6! begrifflich nicht „Ursache“ des in Z22.3 beschriebenen Zustandes sein. B95.6! setzt als Sekundärkode voraus, dass durch den Keim eine andere Erkrankung verursacht wird. Dies schließt aus, dass sich die andere Erkrankung in der Besiedlung mit demselben Keim erschöpft.

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