Nachkodierung im gerichtlichen Verfahren

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In vielen gerichtlichen Verfahren wenden sich die Krankenkassen gegen eine Änderung der Rechnung, wenn aufgrund sich aufgrund gerichtliche Gutachten zwar ergibt, dass die ursprüngliche Kodierung des Krankenhauses nicht korrekt war, der Vergütungsanspruch sich aber nach dem Gutachten dennoch aus der dort festgestellten „richtigen Kodierung“ ergibt. Die Krankenkassen vertreten dann leider immer noch die im Ergebnis nicht haltbare Argumentation, wonach selbst dann Nachkodierung nicht mehr möglich sei (etwa unter Hinweis auf die Ausschlussfristen des § 7 Abs. 5 PrüfvV aF – nun § 11 PrüfvV).

Dieser Ansicht ist das LSG Baden-Württemberg in einer aktuellen Entscheidung vom 20.05.2022 (- L 4 KR 4017/20 -) entgegengetreten.

Nach Ansicht des Gerichts ist das Krankenhaus nicht daran gehindert, im laufenden Rechtsstreit die unzutreffende Kodierung durch die zutreffende Kodierung auszutauschen, insbesondere wenn dies zur Umsetzung eines gerichtlichen Gutachtens dient. Eine solche Nachkodierung muss zulässig sein (vgl. dazu BSG Urteile vom 23.06.2015 – B 1 KR 13/14 R – und vom 23.05.2017 – B 1 KR 27/16 R –).

Nach dem Urteil des Gerichts verpflichten die Vertragsbeziehungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen diese in partnerschaftlicher Weise zu gegenseitiger Rücksichtnahme nach dem Grundsatz von Treu und Glauben im Sinne des § 242 BGB. Sie arbeiten aufgrund eines dauerhaften Vertragsrahmens ständig professionell zusammen. Ihnen sind die gegenseitigen Interessenstrukturen geläufig. In diesem Rahmen ist von ihnen eine gegenseitige Rücksichtnahme zu erwarten. Streitet ein Krankenhaus über die sachlich-rechnerische Richtigkeit der Vergütung und legt es hierbei den vollständigen Behandlungsablauf offen, kann es nicht gehindert sein, im Laufe des Rechtsstreits zur Begründung seiner Forderung eine nach dem tatsächlichen Ablauf unzutreffende Kodierung gegen eine zutreffende Kodierung auszutauschen, soweit nicht gesetzeskonformes Vertragsrecht entgegensteht (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27.01.2021 – L 1 KR 195/18 –).

Dabei ist nach dem LSG Baden-Württemberg nicht relevant, ob die zutreffende Kodierung zuvor bereits im Streit stand, aus welchen Gründen dies ggf. nicht der Fall war und welche Umstände dazu führten, sie in das Verfahren einzubeziehen. Daher ist auch ohne rechtliche Relevanz, ob das Krankenhaus im Laufe des Verfahrens nach nochmaliger Überprüfung des Behandlungsfalls nachträglich auf die „neue“ Nebendiagnose aufmerksam wird, oder ob diese wie vorliegend durch ein Sachverständigengutachten zutage tritt. Dem Grundsatz von Treu und Glauben steht nicht entgegen, einen von Anfang an in unveränderter Höhe geltend gemachten Vergütungsanspruch im Laufe des gerichtlichen Verfahrens mit einer anderen Nebendiagnose zu begründen und dieser nunmehr Abrechnungsrelevanz beizumessen.

Dadurch trete auch keine Änderung des Streitgegenstandes ein, weil dieser sich lediglich auf die Zahlung des noch offenen Vergütungsanspruchs beziehe und unabhängig von der zugrundeliegenden strittigen Kodierungsfrage sei.

Auch liege nach Ansicht des Gerichts keine Verwirkung der Forderung vor, weil sie nicht bis zum Ende des auf die Schlussrechnung folgenden Haushaltsjahres geltend gemacht worden sei (vgl. dazu BSG, Urteil vom 05.07.2016 – B 1 KR 40/15 R –). Hier gehe es aber nicht darum, dass  im Anschluss an eine Schlussrechnung ein weiterer Betrag gefordert wird. Eine solche Nachforderung, also die Geltendmachung einer zusätzlichen Forderung nach Abrechnung des Behandlungsfalls, war nach Ansicht der Richter nicht Gegenstand des Verfahrens. Das Krankenhaus machte keine weitere Vergütung wegen einer „Nachkodierung“ geltend. Das Rechtsinstitut der Verwirkung kann aber nur in besonderen, engen Ausnahmekonstellationen bei Nachforderungen eines Krankenhauses herangezogen werden, wofür hier nach Meinung des Gerichts kein Raum sei.

Die Entscheidung ist im Ergebnis zu begrüßen, weil es letztlich absurd wäre, wenn das Krankenhaus nach dem Ergebnis einer Beweisaufnahme an der Durchsetzung des Vergütungsanspruchs gehindert wäre, der zwar im Ergebnis korrekt wäre, aber nicht der ursprünglichen Kodierung entsprach. Schließlich hat sich in diesen Fällen auch ergeben, dass die Zahlungsverweigerung der Krankenkasse unberechtigt wäre. Die Krankenkassen würde wohl auch nicht auf die Idee kommen, dass sie verpflichtet wären, eine beanstandete Krankenhausrechnung zu zahlen, wenn sich im gerichtlichen Verfahren herausstellt, dass die Rechnung zwar im Ergebnis tatsächlich überhöht ist, die Einwendungen der Krankenkassen gegen die Abrechnung aber auch nicht zutreffen. Auch Ziel des gerichtlichen Verfahrens muss letztlich sein, dass am Ende eine „korrekte“ Abrechnung erfolgt.

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