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Nach Fehlbehandlung schwerstbehindert: Prozess gegen Krankenschwester geplatzt

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Knapp drei Jahre ist der erste Prozess her, in dem Julia Jannaschk für die Zukunft ihres Sohnes Tyler kämpfte. Das Berufungsverfahren gegen eine Krankenschwester in Limburg ist geplatzt.
Knapp drei Jahre ist der erste Prozess her, in dem Julia Jannaschk für die Zukunft ihres Sohnes Tyler kämpfte. Das Berufungsverfahren gegen eine Krankenschwester in Limburg ist geplatzt. © Foto: privat

Eine Krankenschwester soll für die schwere Behinderung eines Kindes verantwortlich sein. Jetzt ist der Prozess in Limburg um den Fall geplatzt.

Limburg - Das Berufungsverfahren gegen eine Krankenschwester des St. Vincenz-Krankenhauses in Limburg (Kreis Limburg-Weilburg) ist geplatzt. Dass der Prozess eingestellt wurde, sei "schlichtweg nicht nachzuvollziehen", sagt die Anwältin des Jungen.

Eigentlich sollte am Montagmorgen (16.09.2019) vor dem Landgericht der Prozess gegen eine Krankenschwester und für die Zukunft von Tyler Jannaschk beginnen. Das Verfahren gegen die Mitarbeiterin des St. Vincenz-Krankenhauses sollte erneut aufgerollt werden, nachdem sie gegen ihr Urteil aus dem Januar 2016 Berufung eingelegt hatte.

Damals war sie verurteilt worden, den heute achtjährigen Jungen im Dezember 2011 falsch behandelt zu haben. Die Strafkammer sah den Vorwurf als erwiesen an und verurteilte die Frau wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 2400 Euro.

Das ebenfalls im Januar 2016 aufgenommene zivilrechtliche Verfahren, in dem die Mutter 500 000 Euro Schadenersatz von der Krankenschwester und zwei Kinderärzten verlangte, wurde daraufhin vorübergehend ausgesetzt.

Limburg: Kein öffentliches Interesse an Prozess

Zu einem erneuten Strafprozess gegen die Klinik-Mitarbeiterin kommt es nun nicht. "Nach erneuter vollständiger Durchsicht der Akte besteht die Absicht, das Verfahren gegen Auferlegung einer Zahlung in Höhe der erstinstanzlich festgesetzten Geldstrafe vorläufig einzustellen", teilte Henrik Gemmer, Sprecher des Landgerichts, am Freitagvormittag, knapp 72 Stunden vor Verhandlungsbeginn, mit.

Die Strafprozessordnung ermöglicht das "Absehen von der Verfolgung unter Auflagen und Weisungen", wenn kein öffentliches Interesse besteht und die "Schwere der Schuld nicht entgegensteht", heißt es in dem Gesetzestext. Voraussetzung für die Aussetzung des Verfahrens ist die Zustimmung von Staatsanwaltschaft und Angeklagten.

Für den Jungen und dessen Mutter ist die Entscheidung des Landgerichts indes "ein Schlag ins Gesicht", sagt deren Anwältin Dr. Brigitta Hohnel. Auch für sie ist "schlichtweg nicht nachzuvollziehen", wie das Gericht zu diesem Beschluss gelangen konnte. Nach Hohnels Überzeugung hätte der Sachverhalt eine andere Beurteilung verlangt. Schließlich ist ihr Mandant, Tyler Jannaschk, seit jenem Zwischenfall im St. Vincenz-Krankenhaus schwerstbehindert, stellt sie klar.

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Limburg: Verschluckt und fast erstickt

Jener Zwischenfall ereignete sich am 26. Dezember 2011. Der damals 14 Monate alte Tyler war wegen einer starken Bronchitis im Krankenhaus und sollte über einen am Kopf gelegten Zugang ein Medikament bekommen. Für diese Medikamentengabe war die Krankenschwester zuständig.

In der ersten Verhandlung hatte sie eingeräumt, dass auf dem Nachttisch des Jungen Chips und Apfelstücke gelegen hätten. Allerdings hatte das Kind in ihrer Wahrnehmung keine Lebensmittel im Mund, als sie ihm das Medikament verabreichte. Die Mundhöhle untersucht habe sie nicht.

Das war fahrlässig und fatal, bescheinigten Fachleute in dem Prozess. Der Junge erschrak, verschluckte sich und drohte zu ersticken. Die Krankenschwester habe sich einer Pflichtverletzung schuldig gemacht, sagt Anwältin Hohnel, auch weil sie nicht die erforderlichen Notfallmaßnahmen einleitete. Sie hätte das Kind, das zu ersticken drohte, auf den Kopf stellen und ihm auf den Rücken klopfen müssen. Nach einigen Minuten alarmierte sie schließlich das Notfall-Team des Krankenhauses, das den Jungen reanimierte. Zu dem Zeitpunkt war die Sauerstoffversorgung des Gehirn aber schon zu lange unterbrochen.

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Der Junge "wurde zu einem 100-prozentigen Pflegefall. Er ist körperlich und geistig schwerbehindert und wird Zeit seines Lebens auf die Hilfe Dritter angewiesen sein", sagt die Anwältin.

Limburg: Wirtschaftliche Katastrophe für die Familie

Dazu kommt die wirtschaftliche Katastrophe, in die die Familie steuerte. Wegen des hohen Pflegeaufwands für den Sohn verlor Tylers Mutter ihre Arbeit als Friseurin, der Vater hielt die psychische Belastung nicht aus und verließ seine Frau, Tyler und dessen vier Geschwister im Alter von acht bis 16 Jahren.

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Schadenersatz hat die Familie bis jetzt nicht bekommen, sagt Rechtsanwältin Hohnel. Die Familie lebe von Hartz IV, die Kosten für einen behindertengerechten Umbau des Badezimmers kann die Mutter nicht stemmen. Das könnte sich durch das Zivilverfahren möglicherweise ändern. Denn nachdem das strafrechtliche Verfahren vor dem Landgericht geplatzt ist, wird der Zivilprozess jetzt fortgesetzt. Allerdings könne man nicht ausschließen, dass hier die strafrechtliche Einschätzung in der Beurteilung des Falles mitschwingt, äußert sich Rechtsanwältin Hohnel zurückhaltend.

Anken Bohnhorst

Insgesamt ist der Krankenstand im Landkreis Limburg-Weilburg im vergangenen Jahr deutlich gestiegen. Mit einer Quote von 4,6 Prozent liegt die Region über dem Landesdurchschnitt (4,3 Prozent).

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