L 5 KR 102/14

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 KR 27/12
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 102/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Wird in einem Plankrankenhaus der ersten Versorgungsstufe eine minimalinvasiver Herzklappenersatz vorgenommen (hier:Transkatheter-Aortenklappen-Implantation - TAVI), dann besteht wegen Überschreitens des Versorgungsauftrages kein Vergütungsanspruch des Krankenhauses gegenüber der Gesetzlichen Krankenkasse.
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 28. Januar 2014 wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten auch der Berufung.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin macht die Vergütung stationärer Krankenhausleistungen im November 2010 für einen minimalinvasiven Herzklappenersatz geltend.

Die Klägerin ist Trägerin und Betreiberin der Klinik A., welche als Krankenhaus der ersten Versorgungsstufe mit den Fachrichtungen Chirurgie, Geburtshilfe und Gynäkologie, Hals-Nasen-Ohren- und Augenheilkunde sowie Innere Medizin in den Krankenhausplan des Freistaates Bayern - hier für das Jahr 2010 - aufgenommen ist unter der Nr. xxx. Streitgegenständlich ist die Behandlung der 1926 geborenen und am 24.9.2011 verstorbenen bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherten W. (im Folgenden: AW).

1. AW wurde im zeitlichen Zusammenhang mit der strittigen Behandlung in der Klinik A. mehrfach stationär behandelt. Ausweislich der Patientenakte der Klägerin wurde die in B-Stadt wohnende AW u.a. wegen akuter kardialer Dekompensation (globale Herzinsuffizienz, vergrößerter linker Vorhof, sklerotisierte Mitralklappe) mit Atemnot vom 13. - 19.3.2009 nach Aufnahme als Notfall behandelt. Dokumentiert als die wesentlichen Diagnosen sind intermittierendes Vorhofflimmern, linksführende globale Herzinsuffizienz, Mitralinsuffizienz, pU-Stadtonalarterielle Hypertonie, respiratorische Partialinsuffizienz, Harnwegsinfekt, arterielle Hypertonie, Hyperurikämie, Osteoporose (Brustwirbelkörperfraktur 2001). Entlassen wurde die stabilisierte, multimorbide AW u.a. mit Dauermedikation wegen ihrer Herzkrankheit.

Ein weiterer notfallbedingter stationärer Aufenthalt vom 29.5. - 4.6.2009 erfolgte wegen akutem Nierenversagen (lt. medizinischer Dokumentation ehestens durch Dauermedikation bedingt) bei chronischer Niereninsuffizienz. Eine weitere stationäre Behandlung wegen Niereninsuffizienz folgte vom 18. - 23.6.2009 mit Entlassung zur ambulanten Dialyse. Der nächste Aufenthalt ist vom 19. - 22.9.2009 wegen akuter kardialer Dekompensation mit Atemnot verzeichnet, der folgende aus nahezu gleichem Grund vom 25. - 28.11.2009. Wegen weiterer kardialer Dekompensation mit Notfallaufnahme in der ebenfalls von der Klägerin getragenen Klinik O. am 10.1.2010 wurde ihr dort am 15.1.2010 durch Dr. W./Prof. Dr. T., Fachärzte für Innere Medizin, ein Herzschrittmacher eingesetzt bei anschließender Verlegung nach A. mit Entlassung am 18.1.2010.

Wegen herzbedingter Atemnot sowie Ödemen an beiden Beinen wurde AW vom 24.3. - 30.3.2010 erneut stationär behandelt, gefolgt von einem weiteren gleichartigen Aufenthalt vom 18. - 22.6.2010. Im Entlassungsbericht vom 23.9.2010 zur wiederum herzerkrankungsbedingten stationären Behandlung vom 16. - 23.9.2010 vermerkten Dr. W./ Prof. Dr. T. u.a. nach Rechts-/Linksherzkatheder-Untersuchung vom 22.9.2010, derzeit bestehe bei einer rechnerischen Aortenklappen-Öffnungsfläche von 1,16 cm² noch keine Indikation, eine künstliche Aortenklappe operativ einzusetzen.

2. Wegen heftiger herzerkrankungsbedingter Atemnot wurde die Klägerin am 20.10.2010 erneut in der Klinik A. aufgenommen. In der Diagnostik wurden u.a. absolute Arhythmie bei Vorhofflimmern, global dilatiertes Herz, Pleura-Ergüsse beidseits sowie bekannte Aortenklappenstenose festgehalten. Nach medikamentöser Rekompensation stellte Prof. T. die Indikation zum Aortenklappenersatz. Die Entlassung nach Hause am 28.10.2010 erfolgte gemäß Entlassungsbericht vom gleichen Tag unter gutem Allgemein-Zustand. Dort ist für das weitere Procedere die Wiedervorstellung zur stationären Wiederaufnahme zum Aortenklappenersatz am 9.11.2010 um 11:00 Uhr sowie die Bitte um Ende der Marcumar-Therapie am 8.11.2010 vermerkt.

Die entsprechende Aufnahme erfolgte planmäßig am 9.11.2010 gemäß Entlassungsbericht vom 26.11.2010. Die streitbegründende Implantation eines Herzklappenersatzes im Wege der Transkatheter-Aortenklappen-Implantation (TAVI) wurde am 11.11.2010 vorgenommen. Dazu wurde von Prof. Dr. T. über ein Kathetersystem die künstliche Klappe über die Arterie der linken Leiste bis zum Herzen geführt und dort implantiert während das Herz für einige Sekunden vorübergehend ruhig gestellt wurde, ohne dass eine Herz-Lungen-Maschine nötig war. Die implantierte Klappe übernahm sofort die Arbeit. Durchgeführt wurde diese Implantation im Hybrid-Operationssaal (Herzkatheterlabor, Bildschirme, Bildgebendes Verfahren am OP-Tisch zur laufenden Bildschirmkontrolle des Katheders). Zugleich war auf Abruf ein tags zuvor angereistes herzchirurgisches Team (Herzchirurg, Assistent, Anästhesist, Kardiotechniker, OP-Pflegerin) der S.-Klinik, S-Stadt, anwesend. Der herzchirurgische Leiter des Teams, Prof. Dr. D., war Prof. Dr. T. seit langem bekannt und fachlich sowie persönlich vertraut. Dieser visitierte auch OP-anschließend. Dieser Eingriff ist auf der Homepage des 2011 gegründeten Herz- und Gefäßzentrums O. wohl aufgeführt als "erster Perkutaner Aortenklappenersatz durch Prof. Dr. J. T. an der Klinik A. mit Unterstützung durch Prof. Dr. N. D., S. Herzchirurgie S-Stadt."

AW wurde im Anschluss zur Rehabilitation verlegt in die Fachklinik für Geriatrie und Orthopädie S. (Aufenthalt 26.11.2010 - 17.12.2010). Von dort erfolgte die Rückverlegung in die Klinik A. wegen akuter Verschlechterung des Gesundheitszustandes infolge Nierenversagens. Im Anschluss hieran wurde AW vom 7.1.2011 - 26.1.2011 in weiterführender Rehabilitation wiederum in S. behandelt und von dort nach Hause in die Pflege entlassen.

Für die stationäre Behandlung vom 9. - 26.11 2010 einschließlich der TAVI-Versorgung stellte die Klägerin der Beklagten am 2.12.2010 eine Rechnung über 31.832,08 EUR mit der DRG F98Z - endovaskuläre Implantation eines Herzklappenersatzes. Die Begleichung lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 11.1.2012 ab. Die Klägerin habe die Leistung nicht erbringen dürfen, weil in A. nicht die strukturellen Voraussetzungen für den Eingriff in Gestalt einer herzchirurgischen Fachabteilung mit kardiochirurgischer Facherfahrung sowie entsprechender Infrastruktur vorhanden gewesen seien. Die Klägerin stützte sich dazu auf eine Grundsatz-Stellungnahme des MDK Bayern vom 12.11.2010.

4. Die Klägerin hat nach erfolglosen Mahnungen den Zahlungsanspruch über 31.832,08 EUR mit Klage zum Sozialgericht Augsburg weiterverfolgt. Die Behandlung sei notwendig gewesen und ordnungsgemäß durchgeführt worden. Die Klägerin habe die Leistung im Rahmen der Inneren Medizin erbracht, zu welcher nicht zuletzt wegen der einschlägigen Weiterbildungsordnung auch die Kardiologie zähle. Die TAVI erfolge als kardiologische minimalinvasive Behandlung, sie sei also kein herzchirurgischer Eingriff. Kardiologie aber zähle zum Versorgungsauftrag von Krankenhäusern der ersten Versorgungsstufe nach dem Krankenhausplan des Freistaates Bayern. Über die Kooperation mit dem Team der S.-Klinik S-Stadt seien die Eventualitäten und potentiellen weiteren Erforderlichkeiten vollständig abgedeckt gewesen.

Die Beklagte hat erwidert, durch rechtskräftige Schiedsstellen-Entscheidung bzw. Genehmigungsbescheid der Regierung von Schwaben vom 30.11.2011 sei entschieden, dass die Klägerin selbst im Jahr 2011 die DRG F98Z nicht hätte abrechnen dürfen. Die Thematik sei gem. § 197a SGB V an die Stelle zur Bekämpfung des Fehlverhaltens im Gesundheitswesen gemeldet. Zudem habe die Klägerin Leistungen nur im Rahmen ihres durch den Krankenhausplan festgelegten Versorgungsauftrags erfüllen dürfen. Die TAVI entspreche nicht dem Versorgungsauftrag der Stufe I (Bayer. Krankenhausplan). Dagegen hat die Klägerin eingewandt, die Beklagte habe unzutreffend zur Schiedsstellen-Entscheidung bzw. Genehmigungsbescheid vorgetragen. Mit Schriftsatz vom 14.2.2013 hat die Beklagte die Einstellung des Verfahrens gegen den Prozessbevollmächtigten der Klägerin durch die zuständige Staatsanwaltschaft mitgeteilt. Im weiteren Austausch der Meinungen hat die Beklagte vor den Hintergrund der Pflegesatzvorgänge ein venire contra factum proprium sowie wegen der Klageerhebung erst über ein Jahr nach Rechnungsstellung einen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben eingewandt. Die TAVI zähle nicht zu den Leistungen, welche die Klinik A. nach ihrem Versorgungsauftrag der Stufe I, also der Grundversorgung erbringen durfte, weil es sich um Herzchirurgie handele. Deshalb fehle es vollständig an einem Vergütungsanspruch. Die Klägerin wiederum hat vorgetragen, Vergütungsvorgänge des Jahres 2011 seien für die strittige Vergütung aus dem Jahr 2010 irrelevant. Die Beklagte habe zudem zum Erlösausgleich nach § 4 Abs. 3 KHEntgG für 2010 gegen über den anderen Kassen darauf bestanden, dass sechs Abrechnungsfälle der DRG F98Z zu berücksichtigen seien. Der Erlösausgleich finde nur innerhalb des Versorgungsauftrags statt, so dass die Beklagte auch vorliegend den Eingriff als innerhalb des Versorgungsauftrags liegend behandeln müsse. Darüber hinaus habe im Zeitpunkt der TAVI keine Leitlinie existiert. Die Voraussetzungen des damals gültigen Positionspapiers der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DKG) seien ebenso erfüllt gewesen wie die Anforderungen des MDK hinsichtlich der Patientin AW und hinsichtlich der strukturellen und personellen Voraussetzungen.

Mit Urteil vom 28.1.2014 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen im Wesentlichen mit der Begründung, es bestünden erhebliche Zweifel, dass der Versorgungsauftrag der Klinik A. den Eingriff umfasst habe. Nach Überzeugung des Gerichts bedürfe es für Maßnahmen auf herzchirurgischem Fachgebiet eines klar formulierten Versorgungsauftrages.

Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt. AW sei lebensbedrohlich erkrankt gewesen und habe aktuell der Behandlung bedurft. Ihr sei der Transport ins nächstgelegene Herzklinikum in U-Stadt (118 km) oder nach A-Stadt nicht zumutbar gewesen. Auch hätte AW diesen Transport sicherlich abgelehnt. Der Eingriff sei vom Versorgungsauftrag erfasst, denn es handele sich eben nicht um einen kardio-chirurgischen Eingriff. Die Prozeduren seien vielmehr der Inneren Medizin zuzuordnen. Dies hat die Beklagte bestritten, es liege eine Behandlung außerhalb des Versorgungsauftrages vor, welche die Klägerin nicht erbringen, die Beklagte daher auch nicht vergüten dürfe. Dies sei mittlerweile fachlicher Konsens. Dazu wurde auf Rechtsprechungsbeispiele Bezug genommen. Dem hat die Klägerin widersprochen, im Jahre 2010 sei dazu keine entgegenstehende Leitlinie vorhanden gewesen.

Der Senat hat die vollständige Patientenakte der AW seit 2009 beigezogen sowie der Beklagten im Rahmen des rechtlichen Gehörs zur Verfügung gestellt.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat die Beklagte begehrt, ein Sachverständigengutachten einzuholen zu der Frage, ob das Qualitätsgebot im Zeitpunkt des Eingriffs am 10.11.2010 für einen TAVI-Eingriff das Bereithalten eines interdisziplinären Teams bestehend aus Herzchirurgen und Kardiologen im durchführenden Krankenhaus selbst erfordert hat.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 28.01.2014 aufzuheben und die Beklagte zur verurteilen, der Klägerin 31.832,08 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 4 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 02.01.2011 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Patientenakten, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen, § 136 Abs. 2 SGG.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerechte eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet. Der Vergütungsanspruch der Klägerin scheitert wegen des Versorgungsauftrags der Klinik A ...

1. Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs der Klägerin für die Behandlung der AW vom 9. - 26.11.2010 ist nach ständiger Rechtsprechung § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V iVm den weitern Vergütungsregelungen für das Jahr 2010. Die Zahlungsverpflichtung der Beklagten als Gesetzlicher Krankenkasse entsteht dabei unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung, wenn die Versorgung des Versicherten in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und iS von § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V erforderlich ist. Der Behandlungspflicht der Klägerin als Betreiberin eines zugelassenen Plankrankenhauses iS des § 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V steht ein Vergütungsanspruch gegenüber, der auf der Grundlage weiterer normativer Regelungen zwischen Krankenkasse und Krankenhausträger festgelegt wird. Insoweit besteht ein enger Zusammenhang zwischen dem Sachleistungsanspruch der Versicherten aus §§ 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 5, 12 Abs. 1, 11 Abs. 1 Nr. 5, 2 Abs. 1 SGB V gegenüber der Krankenkasse und der Vergütung für diese Leistung, welche das Krankenhaus erbracht hat. Vorliegend hat das Krankenhaus zwar eine medizinisch notwendige Leistung fachgerecht erbracht, aber eine Vergütung dafür ist nicht geschuldet, weil die Leistung außerhalb des nach dem Leistungserbringerrecht maßgeblichen Versorgungsauftrages lag und deshalb nicht erbracht werden durfte.

2. Ausgangspunkt ist zunächst der Behandlungsanspruch der AW. Dazu ist in Auswertung und Würdigung der gesamten medizinischen Dokumentation in den Jahren 2009 bis 2011 festzustellen was folgt:

a) Die hochbetagte AW litt an mehreren schweren Erkrankungen, nämlich insbesondere an globaler Herzinsuffizienz mit immer wieder auftretendem Vorhofflimmern, Verengung und Sklerotisierung der Herzzklappen, pU-Stadtonalarterieller Hypertonie, Niereninsuffizienz sowie Osteoporose mit aufgetretenen Frakturen. Deshalb war sie in ständiger hausärztlicher Behandlung und wurde immer wieder (zuletzt 13. - 19.3.2009, 29.5. - 4.6.2009, 18. - 23.6.2009, 19. - 22.9.2009, 25. - 28.11.2009, 10. - 18.1.2010, 24. - 30.3.2010, 18. - 22.6.2010, 19. - 22.9.2009) wegen akuter herzbedingter Atemnot sowie kardialer Dekompensation notfallveranlasst stationär behandelt. Die Entlassung erfolgte jeweils unter Dauermedikation zur Behandlung der genannten Krankheiten. Die Auswirkungen der Herzerkrankung bestanden trotz der medizinisch indizierten, am 15.1.2010 vorgenommenen Herzschrittmacherimplantation fort. Schließlich hatte die Herzerkrankung zu Pleura-Ergüssen geführt. Wegen der fehlenden Funktion der linken Mitralklappe, welche die Klägerin zutreffend in Auswertung der bisherigen Behandlungen einschließlich mehrerer Dauer-EKGs, Blutbilder, Ultraschall-Untersuchungen, Doppler- und Farbdoppler-, Röntgen sowie Computertomograph-Aufnahmen festgestellt hatte, zur Indikation des künstlichen Aorten-Klappen-Ersatzes. Diese Indikation hat zudem Prof. Dr. D. präoperativ bestätigt. Das Behandlungsziel der Operation war damit kurativ, was auch der nachfolgende Verlauf bestätigt. Aus diesen Gründen hatte AW Anfang November 2010 einen Leistungs- anspruch gem. §§ 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 5, 12 Abs. 1, 11 Abs. 1 Nr. 5, 2 Abs. 1 SGB V gegenüber der Beklagten auf operativen künstlichen Aorten-Klappen-Ersatz. Dieser konnte wegen der medikamentenpflichtigen Multimorbidität der AW, insbesondere der vielgestaltigen internistischen Erkrankungen sowie der Osteoporose, nicht im herkömmlichen operativen Verfahren mit Eröffnung des Brustkorbes durchgeführt werden, sondern entsprechend medizinischem Stand Ende 2010 allein durch die TAVI. Alternative medikamentöse oder invasive Maßnahmen waren bereits ausgeschöpft. Die entsprechenden Diagnosen, Feststellungen und Indikationen des Prof. Dr. T., welche die in der Patientenakte dokumentierten Maßnahmen und Befunde in der stationären Behandlung vom 20. - 28.10.2010 beweisen, waren zutreffend. Dies wird auch von der Beklagten nicht bestritten.

b) Der stationäre Eingriff selbst am 11.11.2010 sowie die zugehörige stationäre Behandlung vom 9. - 26.11.2010 waren ausreichend und erforderlich und nach dem gem. § 2 Abs. 1 SGB V maßgeblichen Stand der Wissenschaft durchgeführt worden. Der Operationssaal der Klinik A. war als Hybrid-OP ausgestattet, dh im insbesondere hygienisch und apparativ anforderungsgerechten Operationssaal waren die zur Führung des mit der einzusetzenden künstlichen Klappe Herzkatheders erforderlichen bildgebenden Geräte an einem C-Bogen angebracht. Diese stellten den Vortrieb und die gesamte Bewegung sowie Handhabung des Katheders live auf mehreren darstellungsgetreuen, hochauflösenden Bildschirmen dar. Dem Operateur standen die weiteren für den minimal-Invasiven Eingriff erforderlichen geschulten Personen und Gerätschaften jeweils der Klinik A. zur Verfügung. Dass der Eingriff für Prof. Dr. T. einer der ersten oder der erste dieser Art war, bleibt ohne Belang, weil für jeden Behandler jede Behandlung einmal das erste Mal darstellen muss. Darüber hinaus stand seit dem Vortag ein herzchirurgisches Team bestehend aus dem Herzchirurg Prof. Dr. D. sowie aus Assistent, Anästhesist, Kardiotechniker, OP-Pfleger(in) zur Verfügung. Der Herzchirurg Prof. Dr. D. hatte Diagnose, Eingriff und Indikation bestätigt, wenn auch erst am Vortag. Die erforderliche Nachsorge, auch herzchirurgischer Art, war sichergestellt.

Weitergehende Anforderungen durch faktisch bindende, den medizinischen Standard übereinstimmen festlegende und auf allgemeinem weitestgehenden Konsens beruhende, das Vorgehen im Detail bestimmende Leitlinien bestanden im maßgeblichen Zeitpunkt November 2010 für die erstmals 2005 durchgeführte TAVI nicht. Spätere Veröffentlichungen und später bekannt gegebene Maßstäbe und Leitvorgaben sind nicht relevant. Dass der MDK in der einen Tag nach der Operation der AW eine Grundsatzstellungnahme mit der Anforderung eines klinikeigenen herzchirurgischen Teams abgegeben hat, ändert hieran nichts. Denn maßgeblich ist zum einen das Operationsdatum, zum anderen bildet die Stellungnahme des MDK nur einen Baustein für eine Leitlinie, nicht aber die Leitlinie selbst dar und schließlich war die Grundsatzstellungnahme allgemein gehalten und für den vorliegenden Sachverhalt nicht ohne weiteres vollständig zu übernehmen. Die im Positionspapier der DGK (Der Kardiologe, Heft März 2009, vorgelegt Anlage K 47, Bezugnahme auf Bl. 374 - 379 Berufungsakte) angegebenen Voraussetzungen stellen ebenfalls eine bausteinmäßige Äußerung dar; im Übrigen hat der strittige Eingriff die dortigen Anforderungen erfüllt. Insofern war auch dem in der mündlichen Verhandlung von der Beklagten gestellten Beweisantrag nicht nachzukommen. Dieser war auf "das Qualitätsgebot" und damit auf eine Wertung bezogen, weshalb diesem mangels konkret benannter Beweistatsache nicht zu entsprechen war.

c) Konkrete landesrechtliche Einzelbestimmungen hatten die am 11.11.2010 durchgeführten TAVI nicht untersagt. Weder das eher dem Förderrecht zuzuordnende BayKrG noch der einschlägige Krankenhausplan des Freistaates Bayern hatten entsprechende spezifische Untersagungen enthalten (zu den Folgen des Versorgungsauftrages jedoch s.u.).

3. AW hatte jedoch keinen Anspruch auf Durchführung der TAVI in der Klinik A ...

a) Der Sachleistungsanspruch des SGB V besagt nicht, dass jedem Versicherten zu jeder Zeit an jedem Ort jede Leistung zur Verfügung zu stellen ist. Vielmehr ergibt sich aus den Zulassungsbestimmungen für Leistungserbringer allgemein und aus dem Vorbehalt zur stationären Versorgung in § 108 SGB V im Besonderen, dass der jeweilige Versorgungsauftrag zu beachten ist. In örtlicher Hinsicht ergibt sich dies indirekt auch daraus, dass Versicherten gem. § 60 SGB V unter bestimmten Voraussetzungen Fahrtkosten erstattet werden.

Für die stationäre Versorgung gilt, dass zugelassene Krankenhäuser im Rahmen ihres Versorgungsauftrags zur Krankenhausbehandlung der Versicherten verpflichtet sind, § 109 Abs. 4 s. 2 SGB V. Dieser Grundsatz beinhaltet eine Behandlungspflicht, setzt aber auch Grenzen zB für nicht erforderliche Behandlungen (vgl. BSG, 14.10.2014 - B 1 KR 27/13 R, Rn. 10 ff - zitiert nach JURIS) sowie die Grenzen, die aus dem Versorgungsauftrag selbst resultieren. Mit dem Versorgungsauftrag werden Art, Inhalt und Umfang der Leistungen festgelegt, mit denen das Krankenhaus zur Krankenhausbehandlung der Versicherten zugelassen ist und die es gegenüber den Patienten oder deren Kostenträgern abrechnen kann (BSG, 24.1.2008 - B 3 KR 17/07 R, Rn. 17 sowie 23.6.2015 - B 1 KR 20/14 R, Rn. 8 ff - zitiert jeweils nach JURIS).

Der jeweilige Versorgungsauftrag bestimmt Umfang und Behandlungssicherheit, die Hygiene- und Versorgungsanforderungen, die Nachsorgeeinrichtungen ebenso wie die personelle und sachliche Ausstattung eines Krankenhauses. Es besteht damit ein Regelungszusammenhang und -kreis, welcher darüber bestimmt, in welchem Umfang welche Leistungen vom jeweiligen Plankrankenhaus erbracht werden können und dürfen. Bereits aus der Sonderbenennung der Universitätskliniken in § 108 SGB V folgt, dass der Gesetzgeber selbst vom hergebrachten, sich nach Qualitätsanforderungen und -leistungen richtenden Krankenhauswesen ausgegangen ist.

Der Versorgungsauftrag selbst ist nicht gesetzlich definiert (BSG, 27.11.2014 - B 3 KR 1/13 R, Rn. 10 - zitiert nach JURIS; vgl. hingegen § 72 Abs. 1 SGB XI). Auch die Bestimmungen des Krankenhausfinanzierungsrechts sowie die bayerischen Landesbestimmungen zum Krankenhausrecht enthalten keine eigenständige Legaldefinition.

Aus den gesetzlichen Bestimmungen, die den Begriff "Versorgungsauftrag" verwenden, lässt sich ableiten, dass der Versorgungsauftrag Rückschlüsse darauf zulassen muss, welche medizinischen Leistungen ein Krankenhaus erbringen darf und muss (§ 39 Abs. 1 S. 3, § 109 Abs. 4 S. 2 SGB V) sowie über welche diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten es zu verfügen hat (§ 107 Abs. 1 Nr. 2 SGB V). Ferner ergibt sich aus § 109 Abs. 3 und 4 SGB V, dass der Versorgungsauftrag sowohl die Leistungskapazität als auch die Leistungsstruktur umfasst. Die Vorschriften über die Zulassung zur Krankenhausversorgung sind von dem Ziel geleitet, die begrenzten finanziellen Mittel zur Krankenhausfinanzierung und zur Gewährung der laufenden Versorgung sparsam einzusetzen, was bei Überkapazitäten gefährdet wäre. Deshalb ist der Anspruch auf Beteiligung an der Versorgung nach § 109 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB V bedarfsgebunden. Die Zulassung ist abhängig von dem konkreten Versorgungsbedarf im Einzugsbereich des Krankenhauses, auf den bezogen im Zulassungsfall ein konkreter Versorgungsauftrag festzulegen ist. Vor diesem Hintergrund ist unter "Versorgungsauftrag" die Festlegung von Art, Inhalt und Umfang der Leistungen zu verstehen, die das Krankenhaus während der Dauer seiner Zulassung für die Versicherten zu erbringen hat (BSG 27.11.2014 - B 3 KR 1/13, Rn. 14 mwN - zitiert nach JURIS).

b) Vorliegend bedarf es einer endgültigen Definition des Versorgungsauftrages nicht. Denn für das Plankrankenhaus Klinik A. ergibt sich der Versorgungsauftrag gem. § 11 Abs. 1 S.1, § 8 Abs. 1 S. 4 KHEntgG, §§ 6 Abs. 1, 8 Abs. 1 KHG iVm Art 3, 5 BayKrG aus der auch im Zulassungsbescheid enthaltenen Zuweisung zur ersten Versorgungsstufe. Nach den - auch zwischen den Beteiligten nicht in Zweifel gezogenen - Bestimmungen des Bayerischen Krankenhausplans dient die Klinik damit der Grundversorgung. Die Klinik A. soll deshalb in Abhängigkeit vom bestehenden Bedarf die akutstationäre Grundversorgung sicherstellen. Auch wenn insoweit kein Verbot weitergehender Leistungen geregelt sein wird, bedeutet dies im Gesamtregelungszusammenhang der Bestimmungen im SGB V und zur Krankenhausplanung und -finanzierung, dass die Beklagte die strittige TAVI-Maßnahme nicht zu erstatten hat. Denn die TAVI lag jedenfalls im November 2010 weit oberhalb des Versorgungsauftrages der Grundversorgung. Dies folgt daraus, dass

* die einschlägigen, auch von der Klägerin vor gelegten Veröffentlichungen - insbesondere dem o.g. Positionspapier der DGK - die TAVI als medizinisch anspruchsvoll sowie risikoreich beschrieben haben,

* die TAVI erstmalig fünf Jahre vor der strittigen Operation durchgeführt wurde,

* eine Ausstattung mit hochqualitativen Live-Bildgebungsverfahren in einem Hybrid-OP erforderlich war,

* wie auch gehandhabt ein herzchirurgisches Teams hinzuzuziehen war,

* ein generelles medizinisches Hochrisiko für Kathetermaßnahmen über die Leiste am Herzen besteht,

* der Eingriff durch den anerkannten Herzspezialisten Prof. Dr. T. persönlich erfolgt war.

Die TAVI unterscheidet sich deutlich von den der Grundversorgung zugewiesenen Aufgaben wie Versorgung von Verletzungswunden oder von Knochenbrüchen, aber auch von der durch jahrelange Praxis etablierten Schrittmacher-OP.

Schließlich spricht auch die Veröffentlichung des Eingriffs auf der Homepage des 2011 gegründeten Herz- und Gefäßzentrums O. gewissermaßen dafür, dass die vorgenommene TAVI im November 2010 zu den höchstanspruchsvollen Eingriffen der Herzmedizin zu zählen ist. Ein solcher Eingriff muss aufgrund der hohen Qualitätsvorgaben - unabhängig, ob diese vorliegend erfüllt waren - der Schwerpunktversorgung der höheren Versorgungsstufen vorbehalten bleiben, um die von der Krankenplanung intendierten Strukturqualität sicherzustellen.

c) Es war im November 2010 auch möglich und zumutbar, bei AW die TAVI anderen Ortes durchzuführen.

Der streitige Eingriff zählte sowohl im Universitätsklinikum U-Stadt als auch im Klinikum A-Stadt, einem Krankenhaus der höchsten Versorgungsstufe, jeweils zu den Leistungen, die erbracht werden konnten und auch erbracht werden. AW war es nicht aus gesundheitlichen Gründen unmöglich, die Fahrt von B-Stadt nach U-Stadt oder A-Stadt im Wege des Krankentransportes durchzuführen. Der Entlassungsbericht vom 28.10.2010 dokumentiert einen guten Allgemeinzustand. AW konnte die Zeit bis 9.11.2010 zu Hause verbringen, der Patientenakte sind vom 28.10. - 9.11.2010 keine Verschlechterungen des Gesundheitszustandes zu entnehmen. Der AW war es zudem möglich, den rund 18 km langen Weg von ihrem bereits gebirgig gelegenen Wohnort B-Stadt nach A. zurückzulegen. Damit fehlt es an Anhalt dafür, dass AW es unmöglich gewesen wäre, eine rund 1 1/2 Stunden dauernde, rund 120 km weite Transportfahrt über sehr gut ausgebaute Bundesstraßen und Bundesautobahnen nach U-Stadt oder A-Stadt zurückzulegen.

Dass AW - wie von der Klägerin vorgetragen - mit Sicherheit eine solche Fahrt subjektiv unzumutbar empfunden und abgelehnt hätte, bleibt ohne Belang, weil daraus allein kein Leistungsanspruch gegen die GKV resultiert.

In der Folge scheidet auch ein Leistungsanspruch der AW in grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungsrechts aus.

AW hatte damit keinen Anspruch auf Durchführung der TAVI in der Klinik A., so dass in der Folge auch kein Vergütungsanspruch der Klinik besteht.

4. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Behandlung der TAVI-Maßnahmen und ihrer Vergütung durch die Beklagte in den auf den Eingriff folgenden Erlös- und Budgetverhandlungen. Diese haben einen vom vorliegenden Streitgegenstand klar zu trennenden Regelungshintergrund und -gegenstand. Sie sind deshalb außerstande, den aus Rechtsgründen nicht bestehenden Vergütungsanspruch zu begründen. Auch scheidet insoweit der Einwand treuwidrigen oder widersprüchlichen Verhaltens aus.

In gleicher Weise nicht entscheidungsrelevant ist der unzutreffende Vortrag der Beklagten in der ersten Instanz zu Schiedsverfahren und Entgeltvereinbarungen in der Folgezeit nach dem streitgegenständlichen Eingriff. Auch insoweit besteht nicht die Möglichkeit, den aus Rechtsgründen nicht bestehenden Vergütungsanspruch zu begründen.

5. Eine Vergütung wegen Notfallversorgung scheidet für den bereits mit der Entlassung am 28.10.2010 geplanten Eingriff aus.

Die Berufung der Klägerin bleibt damit vollumfänglich ohne Erfolg.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG iVm § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Revision wird zugelassen, § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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