Trotz genug Kapazitäten: Am Klinikum drohen Einnahmeverluste

18.4.2020, 06:00 Uhr
Trotz genug Kapazitäten: Am Klinikum drohen Einnahmeverluste

© Foto: Rudi Ott/Klinikum Nürnberg

"Wir hatten eigentlich mit einer ersten Welle zu Ostern gerechnet. Aber die ist erfreulicherweise ausgeblieben. Ich werden mit jedem Tag ruhiger ", meint Prof. Achim Jockwig.

Denn Zeit ist im Gesundheitswesen gerade ein besonders hohes Gut. Mit jedem ruhigeren Tag bleibt Spielraum, sich noch besser auf möglicherweise noch kommende, schwierige Versorgungsszenarien vorzubereiten. Das Klinikum Nürnberg fühlt sich bereits gut aufgestellt. "Schon seit Ende Januar setzen wir uns mit Corona und den Folgen auseinander. Aber natürlich haben auch wir uns die immensen Auswirkungen nicht vorstellen können, die schon kurze Zeit später Realität wurden."

An die Krankenhäuser erging die Aufforderung, auf elektive, also planbare, nicht dringliche Eingriffe zu verzichten, um so Kapazitäten für Covid-19-Patienten zu schaffen. "Wir haben dann im März sozusagen den Klinik-Shutdown beschlossen, als erstes die Tageskliniken zugemacht, einen täglich tagenden Krisenstab sowie Einsatzleitungen an allen Standorten eingerichtet und später auch einige Stationen ganz geschlossen, um wichtige Personalkapazitäten für die Versorgung von Corona-Patienten zu gewinnen, " erläutert der Vorstandsvorsitzende.

Parallel lief eine Bestandsaufnahme: Was ist an Schutzmaterial oder Beatmungsgeräten noch da, wer kann Kontakte nutzen, um Fehlendes zu beschaffen. Das Klinikum hatte Glück, es waren zum Beispiel noch Beatmungsgeräte eingelagert. "Zudem könnten wir an sehr vielen Betten beatmen und sie notfalls auch zum Intensivbett umrüsten. Selbst bei einer parallelen Beatmung von vielen Corona-Patienten gleichzeitig würde der Druck in den Sauerstoff-Leitungen ausreichen. Das waren gute Nachrichten für uns", so Jockwig.

Trotz genug Kapazitäten: Am Klinikum drohen Einnahmeverluste

© Foto: Rudi Ott/Klinikum Nürnberg

Insgesamt 105 Beatmungsplätze gibt es regulär auf den Intensivstationen im Klinikum Nord und im Klinikum Süd – ohne Berücksichtigung der Kinderintensivstation und der Neonatologie. Aktuell werden etwa 70 Prozent der Geräte für nicht an Covid-19 erkrankte Patienten benötigt, die etwa nach einem Herzinfarkt, einer größeren Operation oder einem Schlaganfall versorgt werden müssen. Die reaktivierten "eingemotteten" sowie neu gekaufte Beatmungsgeräte schaffen eine zusätzliche Kapazität von rund 74 Plätzen. "Wir können in einem Stufenmodel die gewünschte Verdoppelung unserer Beatmungskapazitäten auf gut 200 Plätze erreichen, vorausgesetzt, wir bekommen die hierfür erforderliche Ausstattung", meint Jockwig.

Aufwachräume als Reserve

Und wenn es ganz dick kommt, lassen sich die Kapazitäten nochmals erhöhen, indem Aufwachräume zu Intensivstationen umfunktioniert werden. Monitore und Beatmungsgeräte sind dort ohnehin schon vorhanden. Die Versorgung der Patienten übernehmen bei einem großen Patientenandrang gemischte Teams: Fachkräfte aus der Anästhesie, die jetzt weniger Operationen auf dem Programm haben, werden sich um die intensivmedizinische Betreuung und die Bedienung der Beatmungsgeräte kümmern, die Grundpflege übernehmen Kräfte von den Allgemeinstationen. So wären mehr Patienten auf der Intensivstation zu bewältigen.

Es sieht also ganz gut aus – wäre da nicht das leidige Thema Geld. Mit der Aufforderung, nur noch dringliche Operationen durchzuführen, war die Zusage des Bundesgesundheitsministers verbunden, die Krankenhäuser finanziell nicht im Regen stehen zu lassen, weder bei den Einnahmeausfällen durch abgesagte Operationen noch bei der Beschaffung von Intensivbetten, Beatmungsgeräten oder Schutzausrüstung – koste es, was es wolle. "Ich habe diese Ansage Spahns noch im Ohr und auf das Wort eines Bundesministers vertraut", meint der Vorstand.

Die Hälfte der Betten steht leer

Am Klinikum Nürnberg stehen deshalb aktuell zwischen 700 und 1000 Betten leer. Diese Auslastung von etwa 50 Prozent melden auch die anderen knapp zwei Dutzend großen kommunalen Maximalversorger, die über zehn Prozent aller Krankenhausbetten in Deutschland stellen.

Heißt einerseits, dass kaum einer bislang durch Corona bereits am Anschlag arbeiten muss. Heißt aber auch, dass große Liquiditätslücken entstehen. Obwohl Bundesgesundheitsminister Jens Spahn nach heftigen Protesten der Krankenhäuser zum Beispiel inzwischen 560 Euro pro Tag für jedes leere Bett bezahlt, rechnet Jockwig dennoch mit einer Unterfinanzierung von etwa 200 Euro pro Bett und Tag. Und auch die jetzt zugesagten 50 000 Euro für jedes zusätzlich geschaffene Intensivbett inklusive Beatmungsgerät decken noch immer nicht die tatsächlichen Kosten von 85.000 Euro.


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Für ein wirtschaftliches Risikoszenario hat das Klinikum Nürnberg eine Unterdeckung von sechs Millionen Euro im Monat ermittelt. Je nachdem, wie lange die Pandemie noch anhält, könnten da im Extremfall zwischen 50 und 100 Millionen Mindereinnahmen pro Jahr entstehen. Aber noch gibt es in dieser Rechnung zu viele Unbekannte - zum Beispiel die Frage, wie kostendeckend die Vergütung für die Versorgung von Corona-Patienten ausfallen wird oder was an Einnahmen dazu kommt, wenn der OP-Betrieb jetzt langsam wieder etwas hochgefahren werden darf.

Ärger über "Rettungsschirm"

Auch wenn nachgebessert wurde, viele Krankenhausgeschäftsführer sind – vorsichtig formuliert – enttäuscht vom "Rettungsschirm", den Gesundheitsminister Jens Spahn für die Kliniken aufgespannt hat. Schon die Vokabel Rettungsschirm bringt Achim Jockwig auf die Palme: "Als wenn wir aus eigenem Verschulden in Liquiditätsprobleme gerutscht wären. Wir verzichten im politischen Auftrag auf Erlöse. Die Krankenhäuser sind nicht in der Krise, sie sollen und wollen die Krise bewältigen und Kranke behandeln". Jockwig würde sich erst einmal auskömmliche Abschlagszahlungen wünschen, um die Liquidität zu sichern und am Ende, wenn die entstandenen Kosten wirklich feststehen, einen adäquaten Ausgleich.

Was aber neben Geld noch dringend fehlt, sind weitere Beatmungsgeräte und Schutzmaterial. Hier müssen Bund und Land ihre Zusagen erfüllen und den Krankenhäusern für ihre Planungen mitteilen, wann sie womit rechnen können, meint Jockwig. "Uns am Klinikum ist es gelungen, mit enormem Aufwand und zu völlig überzogenen Preisen noch Schutzmaterial für etwa zwei Wochen zu besorgen. Das ist nicht beruhigend, aber damit liegen wir besser als viele Kliniken."

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