Kantonsspital Aarau
Chefarzt-Affäre: Falsche Abrechnungen waren wohl umfangreicher als angenommen

Ein bisher geheimer Revisionsbericht zeigt: Die falschen Abrechnungen eines Chefarztes am Kantonsspital Aarau waren wohl umfangreicher als angenommen. Eine Rückforderung des ganzen Schadens wäre schwierig.

Fabian Hägler
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Ein KSA-Chefarzt hat falsch abgerechnet und musste 6000 Franken zurückzahlen.

Ein KSA-Chefarzt hat falsch abgerechnet und musste 6000 Franken zurückzahlen.

Claudio Thoma

In mehr als 500 Fällen stand der Name eines Chefarztes am Kantonsspital Aarau auf Abrechnungen, obwohl der Angiologe bei den Eingriffen nicht dabei war. Das ergaben Recherchen der AZ zur Chefarzt-Affäre vor zwei Jahren.

Der fehlbare Chefarzt wurde deswegen verwarnt und musste dem Spital knapp 6000 Franken zurückzahlen. Im November 2018 reichte der Regierungsrat eine Strafanzeige ein, um diesen Fall juristisch zu klären. Seit Februar 2019 ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Betrugs, Urkundenfälschung und ungetreuer Geschäftsbesorgung gegen unbekannt. Ende April 2019 trennte sich das Spital dann vom fehlbaren Chefarzt.

Zu viel Geld floss in den Honorarpool des Chefarztes

Der Chefarzt hatte für die Angiologie-Abteilung eine Datenbank eingerichtet, in der die leitenden Ärzte, Oberärzte und Assistenzärzte ihre Einsätze erfassen mussten. Im offiziellen elektronischen Leistungserfassungssystem trug er später den eigenen Namen ein und verschaffte sich und den damaligen leitenden Ärzten so mehr Lohn.

An den Kosten für Patienten und Krankenkassen änderte sich nichts, das KSA erlitt jedoch einen finanziellen Schaden. Grund ist eine Aufteilung der Honorare, die am Spital bis Ende 2015 galt: Behandelt ein Chefarzt einen Patienten, erhält das Spital 17,5 Prozent der für die medizinischen Leistungen verrechneten Beträge, die restlichen 82,5 Prozent fliessen in einen Honorarpool und von dort weiter auf die Konten von Chefärzten und leitenden Ärzten. Stehen jedoch Ober- und Assistenzärzte im Einsatz, gelangen lediglich 9 Prozent der Gelder in den Pool, die restlichen 91 Prozent stehen dem Spital zu.

In einem Interview mit der AZ im September 2018 sagte Robert Rhiner, der CEO des Kantonsspitals Aarau, der Chefarzt habe sich durch die falschen Abrechnungen nicht bereichert. Zudem gehe es um einen Fehlbetrag von knapp 14'000 Franken «und nicht von mehreren hunderttausend, wie das in den Medien suggeriert wird».

Gab es schon früher falsche Abrechnungen?

Damals war es für die Öffentlichkeit nicht möglich, sich selber ein Bild zu machen. Das Spital liess zwar die Honorarabrechnungen der Jahre 2014 und 2015 von der Aarauer Wirtschaftsprüfungsfirma AWB untersuchen. Dabei verglichen die externen Prüfer die Einträge im Arbeitsplan mit den erfassten Leistungen der Ärzte – sie prüften also zum Beispiel, ob der Chefarzt auf einer Abrechnung eingetragen war, obwohl er an jenem Tag laut Dienstplan in den Ferien war. Die Resultate dieser externen Revision blieben unter Verschluss. Nun liegt der AZ der Prüfungsbericht vor, und er zeigt: Der finanzielle Schaden könnte massiv höher liegen.

Insgesamt stellten die Prüfer falsche Honorarpool-Abrechnungen von 149'611 Franken fest, wie es im Bericht heisst. Dabei handle es sich «um vorsichtig eruierte Fehler», hält die Revisionsfirma fest. Insbesondere bei Leistungen, die auf den Chefarzt abgerechnet wurden, obwohl dieser abwesend war, gebe es «potenziell zusätzliche Fälle», die sich aber nicht eindeutig zuordnen liessen.

Nur zwei Jahre geprüft

Dazu kommt, dass der Angiologie-Chefarzt seit 2001 am KSA arbeitete, die Prüfung der Honorarabrechnungen sich aber auf zwei Jahre beschränkte. Spitalchef Rhiner sagte 2018, die externe Revisionsfirma sei zum Schluss gekommen, dass eine Prüfung früherer Jahre nicht sinnvoll sei. Es gehe auch um die Verhältnismässigkeit. Wenn man die Abrechnungen weiter zurück geprüft hätte, wären vielleicht ein paar tausend Franken mehr herausgekommen, aber die Prüfung hätte mehrere zehntausend Franken gekostet. Und die Untersuchung früherer Jahre wäre schwierig gewesen, weil die damaligen Dienstpläne nicht mehr vorhanden seien.

Geht man davon aus, dass der falsch abgerechnete Betrag pro Jahr knapp 7000 Franken betrug, stimmt diese Rechnung. Nimmt man jedoch an, dass sich die falschen Abrechnungen innerhalb von zwei Jahren auf 150'000 Franken beliefen, wie es die Prüfer in ihrem Bericht festhielten, wäre der finanzielle Schaden für das Spital einiges höher – und eine weiter zurückreichende Untersuchung hätte sich durchaus lohnen können.

Welche Dokumente als Beweise?

Rechnet man die Zahl hoch auf die gesamte Anstellungsdauer des Chefarztes von 2001 bis 2018, würde ein Fehlbetrag von 1,1 Millionen Franken zulasten des KSA resultieren. Ob es möglich wäre, eine solche Summe erfolgreich zurückzufordern, ist allerdings fraglich.

Die externen Prüfer hielten am Ende ihres Berichts für die Jahre 2014 und 2015 fest, die Verwertbarkeit ihrer Erkenntnisse sei «generell kritisch». Es gebe zwar keine Hinweise, dass die Einträge im HPlaner, also im Arbeitsplan, nicht korrekt seien. Es dürfte aus ihrer Sicht aber «dennoch schwierig sein, im Nachhinein zu beweisen, dass der Chefarzt in keiner Art und Weise bei den festgestellten Fällen mitgewirkt hat».

Unklar ist gemäss Bericht der externen Wirtschaftsprüfer insbesondere, welche Dokumente bei diesen umstrittenen Abrechnungen als Beweis dienen könnten. Zudem sei damals auch der Vertrag mit dem KSA- Chefarzt «nicht klar und deutlich» formuliert gewesen.

Chefarzt-Affäre am Dienstag im Grossen Rat

In der letzten Sitzung des Jahres wird am Dienstag im Grossen Rat die Chefarzt-Affäre behandelt – also die falschen Abrechnungen von zwei Chefärzten an den Kantonsspitälern Aarau und Baden. Traktandiert ist der Bericht der Geschäftsprüfungskommission (GPK), die Ende September zum Schluss kam, die Spitäler hätten die Aufklärung der Vorwürfe behindert und der Regierungsrat habe keinen echten Willen gezeigt, die Affäre vollständig aufzuarbeiten. Die GPK hielt fest, aus ihrer Sicht seien die falschen Abrechnungen systematisch erfolgt. Die finanzielle Grössenordnung und der gesamte Zeitraum des Fehlverhaltens seien aber weiter unbekannt.

Die beiden Kantonsspitäler liessen die Vorfälle zwar durch Revisionsunternehmen untersuchen, schränkten die Prüfungen laut der Kommission aber derart stark ein, dass viele Fragen offen bleiben. «Es läge im Interesse aller Beteiligten, durch eine systematische Aufarbeitung insbesondere den Zustand eines schwebenden Verdachts auszuräumen», heisst es im Untersuchungsbericht der GPK. Gemeint ist damit der Verdacht, dass die beiden Chefärzte schon früher falsche Abrechnungen erstellt haben könnten.

Direkt nach der Medienkonferenz im September wehrten sich die Kantonsspitäler Aarau und Baden. Ihre Sprecher betonten, die Spitäler hätten die Untersuchung nicht behindert, sondern mit Finanzkontrolle und der Geschäftsprüfungskommission kooperiert.

Vor zehn Tagen hielt der Regierungsrat in einer Stellungnahme zum GPK-Bericht fest, es fehle nicht am Willen zur Aufklärung. Die Regierung vertrete aber nur den Kanton als Besitzer und könne den Spitalleitungen keine Anweisungen geben. (fh)