Corona-Krankenhaus auf Berliner Messegelände: 488 Betten und kein Patient

Das Covid-19-Krankenhaus auf dem Messegelände wurde noch nie gebraucht. Jetzt gibt es Streit, ob der geplante zweite Teil überhaupt noch gebaut werden soll. 

Das Notkrankenhaus auf dem Messegelände.
Das Notkrankenhaus auf dem Messegelände.Foto: Berliner Zeitung/Andreas Klug

Berlin-Während sich das Coronavirus in vielen Ländern nach wie vor stark ausbreitet, hat sich das Infektionsgeschehen in Deutschland auf einem überschaubaren und vor allem beherrschbaren Niveau eingependelt. Das gilt auch für Berlin. Jetzt wird in der Hauptstadt darüber gestritten, ob der geplante Ausbau des Covid-19-Krankenhauses auf dem Messegelände überhaupt noch vorgenommen werden soll. Selbst innerhalb der rot-rot-grünen Koalition gibt es unterschiedliche Meinungen. Die Zahl der Zweifler wächst, und Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD), die am Ausbau festhält, gerät zunehmend unter Druck. Die Rede ist wahlweise von „Wirklichkeitsverweigerung“, „politischer Trotzreaktion“ oder einfach „absolutem Wahnsinn“.

Die Corona-Zahlen sind eindeutig. Am Sonnabend gab es nach Angaben der Gesundheitsverwaltung in Berlin 8433 bestätigte Virus-Fälle, das waren 41 mehr als am Tag zuvor. Im Krankenhaus isoliert und behandelt wurden 122 Personen, davon 31 intensivmedizinisch. 215 an dem Virus erkrankte Patienten sind bislang verstorben.

Auch die Corona-Ampel mit den Indikatoren für eine Verschärfung der Eindämmungsmaßnahmen steht auf Dreifach-Grün.  Der aktuelle 7-Tages-Wert der Reproduktionszahl „R“, die Auskunft darüber gibt, wie viele Menschen sich rechnerisch bei einem Infizierten anstecken, liegt aktuell bei 0,77. Die Zahl der Neuinfektionen pro Woche je 100.000 Einwohner liegt bei 8,32. Der Anteil der für Covid-19-Patienten benötigten Plätze auf Intensivstationen liegt bei 2,4 Prozent. Alles weit weg von Warnwerten. 

Dennoch hält die Gesundheitsverwaltung am Ausbau der zweiten Stufe des Corona-Krankenhauses fest. Teil 1 mit 488 Betten ist in Halle 26 des Messegeländes angesiedelt und hat etwa 43 Millionen Euro gekostet. Teil 2 soll in der benachbarten Halle 25 entstehen und 300 Betten bekommen. Zusammen sollen sie sicherstellen, dass der normale Krankenhausbetrieb wegen der Behandlung von Corona-Patienten nicht zusammenbricht. Von den Baukosten in Höhe von 15 Millionen Euro stehen im Corona-bedingten Nachtragshaushalt 6,5 Millionen Euro bereit. Klinik-Koordinator Albrecht Broemme stellte schon die Sanierung der teilweise asbestverseuchten Halle 25 in Aussicht, die auch ein neues Lüftungssystem brauche.

Bislang wurde jedoch selbst Teil 1 des Krankenhauses nicht gebraucht. Das zwischenzeitlich unter anderem durch 200 Betten im ehemaligen Krankenhaus Prenzlauer Berg zusätzlich ertüchtigte Gesundheitssystem ist noch an keinem Tag der Krise an seine Grenzen gestoßen. Außerdem gibt es immer noch nicht ausreichend Personal für das Notfall-Krankenhaus. So wurden zwar über die Ärztekammer 73 Ärzte rekrutiert, viele davon jenseits des Pensionsalters, doch es mangelt immer noch an Pflegepersonal. Viele Gründe also für Widerstand gegen die Erweiterung des Krankenhauses.

Hinzu kommt, dass das wegen der gültigen Abstands- und Veranstaltungsregeln am Boden liegende Messe- und Kongressgeschäft langsam wieder anlaufen soll. Bislang geht das allenfalls virtuell. Bestes Beispiel ist die InnoTrans, die wichtigste Messe für Bahntechnik weltweit. Zum ursprünglichem Datum im September wollen einige Veranstalter ihre Rahmenveranstaltungen digital anbieten. Die geplanten Veranstaltungen sollen online zur Verfügung stehen. Die nächste, analoge InnoTrans, mit Fachpublikum ist für Ende April kommenden Jahres geplant. Mit einem leeren 800-Betten-Krankenhaus gleich nebenan?

Am schärfsten formuliert es der CDU-Abgeordnete Christian Gräff. „Eine Erweiterung wäre absoluter Wahnsinn“, sagt der Wirtschaftspolitiker. Zwar sei es richtig gewesen, in Zeiten schnell steigender Infektionszahlen den Reservestandort einzurichten, doch jetzt brauche Berlin „kein noch größeres Geister-Krankenhaus“.

Doch auch innerhalb von Rot-Rot-Grün mehren sich die Kritiker. So sieht Wolfgang Albers – Mediziner, Linkspolitiker und Vorsitzender des Gesundheitsausschusses – im Festhalten an den Ausbauplänen eine „politische Trotzreaktion“. Auch die Gesundheitsverwaltung dürfe nicht „die Augen vor der Wirklichkeit“ verschließen.  Auch Grünen-Co-Fraktionschefin Silke Gebel hält eine Erweiterung nach eigenen Worten für abwegig. Nach allem, was man jetzt wisse, würde es schlicht nicht gebraucht.

Doch das trifft offenbar genauso für den bereits fertigen ersten Teil zu, in dem bis heute kein einziger Patient versorgt wurde. Vor allem in der Wirtschaft gibt es bereits Stimmen, auch Halle 26 wieder zurückzubauen. „Die Klinik sollte zum Ende des Jahres abgebaut werden“, sagt Beatrice Kramm, Präsidentin der Industrie- und Handelskammer (IHK).

So weit möchte Grünen-Politikerin Gebel nicht gehen. Man solle den fertigen Teil des Krankenhauses „auf jeden Fall mindestens bis Ende der Grippesaison, also Frühjahr 2021, stehenlassen“. Spätestens dann wisse man, ob die bisherigen Kapazitäten ausreichen.