Von René Wappler

Einer der Angeklagten hat sich krankgemeldet. Ein Gerichtsprozess um Steuerhinterziehung in Ruhland und Calau erhält eine neue Dimension. Denn die Staatsanwaltschaft legt weitere Anklagepunkte vor. Demnach sollen die beiden Beschuldigten als Geschäftsführer insgesamt 385 Pflegekräfte illegal in Deutschland beschäftigt haben. Der Sozialversicherung seien somit in den Jahren 2007 bis 2011 mehr als 1,3 Millionen Euro an Beiträgen entgangen.
Montag, 10 Uhr. Im Senftenberger Landratsamt beginnt eine Aktionswoche, die sich der Gesundheit und der Pflege widmet. Ein Unternehmen der Angeklagten hatte sich in der Vergangenheit an der Aktionswoche beteiligt, die Jahr für Jahr im Herbst stattfindet. Doch nun sitzt Tatjana R. während des Auftakts gemeinsam mit ihren Rechtsanwälten im Saal des Cottbuser Landgerichts. Der Vorsitzende Richter André Simon stellt mit Blick auf die Beschuldigte fest: „Die Frau ist da.“
Nicht erschienen ist jedoch der Angeklagte Lars R. Er soll so krank sein, dass er nicht verhandeln kann.

Medizinisches Gutachten beauftragt

Der Richter sagt: „Ich denke, dass wir das klären müssen.“ Das soll mit Hilfe eines medizinischen Gutachtens geschehen. Der erste Verhandlungstermin ist damit nach einer Viertelstunde beendet. Tatjana R. verlässt das Gerichtsgebäude mit ihren Anwälten.
Schon im Mai 2019 hatte eine Hauptverhandlung gegen die beiden Angeklagten begonnen, die jedoch nach kurzer Zeit ausgesetzt wurde. Damals wogen die Vorwürfe bereits schwer. Demnach betrieben sie ein Unternehmen mit Sitz in Bulgarien. Die Geschäfte hätten sie jedoch von einer deutschen Betriebsstätte in Ruhland abgewickelt. Dabei sei es um den Einsatz von Bürokräften sowie um Dienstleistungen in der Pflege und im Haushalt gegangen. Nach ähnlichem Modell sollen sie eine Gesellschaft in Polen gegründet haben. Auch den Betrieb einer juristisch nicht existierenden Scheinfirma in Tschechien legt ihnen die Anklage zur Last.
Dazu erläutert die Pressestelle des Landgerichts: „Diese Konstellation soll durch die Angeklagten bewusst gewählt worden sein, um die in Deutschland erzielten Gewinne und Umsätze der Besteuerung zu entziehen.“ Gemeinsam hätten sie so mehr als 340 000 Euro erlangt, die Angeklagte Tatjana R. allein durch weitere Delikte sogar mehr als 900 000 Euro.

Zahl der Vorwürfe wächst

Zu diesen Vorwürfen vom Mai kommt nun der Verdacht auf das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt hinzu. Mindestens bis zum Januar 2020 soll der Prozess am Cottbuser Landgericht dauern.
Erstaunt äußert sich die Pressesprecherin des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe. „Von einem Fall in dieser Dimension erfahre ich zum ersten Mal“, sagt Johanna Knüppel. „Die entscheidende Frage wird lauten, was sich davon beweisen lässt.“ Zwar komme es öfter vor, dass Abrechnungsbetrug vor Gericht landet. Ein möglicher Sozialversicherungsbetrug in dieser Größenordnung werfe darüber hinaus jedoch die Frage auf, wie dieses Vorgehen so lange unentdeckt bleiben konnte.
Die Pressesprecherin des Bundesverbandes sagt: „Seit langer Zeit beklagen wir, dass der Staat bundesweit seine Verpflichtungen nicht wahrnimmt und sich in Bezug auf stärkere Kontrollen von Betrieben mit Personalmangel herausredet.“ So werde im Gesundheitswesen regelmäßig gegen das geltende Arbeitszeitgesetz verstoßen. Doch Stichproben fänden nur selten statt. Die Fachleute vom Berufsverband schätzen, dass in Deutschland bis zu 800 000 Pflegehilfen illegal in Privathaushalten beschäftigt werden.

Warnung vor „grauem Pflegemarkt“

Von einem „grauen Markt“ sprechen die Mitarbeiter der gemeinnützigen Stiftung namens „Zentrum für Qualität in der Pflege“. Sie warnen vor dem grundsätzlichen Risiko, dass für die Arbeit nicht ordnungsgemäß Steuern oder Sozialabgaben abgeführt werden oder Personen illegal beschäftigt werden, bei denen es sich vor allem um Frauen aus den Staaten Osteuropas handelt.