Bonn. Flüchtlinge als ungenutztes Potenzial für die Pflege – Experten wollen mehr Migranten anwerben. Doch die brauchen Hilfe im Alltag.

Die Altenpflege leidet unter dem Fachkräftemangel. Dabei gibt es unter Flüchtlingen viele, die dort gerne arbeiten würden. „Das volle Potenzial Geflüchteter in der Pflege ist noch nicht ausgeschöpft“, klagt Sebastian Riebandt von der nordrhein-westfälischen Koordinierungsstelle für Flüchtlinge in Pflege- und Gesundheitsberufen. Das soll sich ändern: Experten fordern eine Strategie zur Anwerbung von Flüchtlingen für die Pflege.

Riebandts Stelle unterstützt soziale Einrichtungen dabei, aus ihrer Heimat geflohene Menschen in Heime, ambulante Dienste und Kliniken zu bringen. Er rät: „Ihre Ansprache auf lokaler Ebene sollte strukturierter und gruppenspezifischer erfolgen.“

Wobei gar nicht alle unzufrieden sind. „Ich kann mich überhaupt nicht beklagen“, sagt der Syrer Abdulrahim Sakkal (26) der Fachzeitschrift „Die Schwester – Der Pfleger“. Er absolviert gerade eine Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger am Uniklinikum Essen.

Vorher hat der junge Mann einen 18-monatigen Integrationskurs für Flüchtlinge belegt, angeboten vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dem Jobcenter Essen und der Diakonie Essen. Zum Kurs gehörte auch eine Praxishospitation an der Uniklinik. Von 25 Kursteilnehmern haben vier weitere die gleiche Ausbildung wie Sakkal begonnen.

Flüchtlinge in der Pflege – genaue Zahlen gibt es nicht

Elke Strelow, Leiterin der Krankenpflegeschule der Segeberger Kliniken, hat 2018 für eine nicht repräsentative Studie Flüchtlinge, die eine Pflegeausbildung begonnen haben, über ihre persönliche Situation befragt. Sie wollte erfahren, wie sie den Weg in eine Pflegeausbildung fanden. Und auch, welche Unterstützung die jungen Leute brauchen, damit die Integration gelingt.

„Die Interviews haben gezeigt, dass ein sicheres soziales Gefüge, verbunden mit einer eigenen Wohnung und einer geregelten Beschäftigung, erheblich zur Integration beiträgt“, sagte Strehlow dem Fachblatt. Und: Es brauche vorgelagerte Praktika, um das Berufsfeld kennenzulernen, und eine kontinuierliche Beratung und Begleitung der Azubis. „Um das Sprachniveau zu verbessern, sollte die Teilnahme an Sprachkursen selbstverständlich sein.“

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    Valide Daten über die Zahl der Flüchtlinge, die bereits in der Pflege tätig sind oder eine Ausbildung dazu begonnen haben, gibt es nicht. Denn das Merkmal „Flucht“ wird in den Statistiken der Ausländer- oder Arbeitsmarktbehörden nicht erfasst.

    Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bemüht sich, mehr Fachkräfte aus dem Ausland ins Land zu bringen. Erleichterungen gibt es für Herkunftsländer wie Mexiko, die Philippinen und das Kosovo. Diese Strategie findet keineswegs nur Zuspruch. Der Präsident des Deutschen Pflegerats, Franz Wagner, fordert, dass vor allem die Arbeitsbedingungen für das Personal hier in Deutschland signifikant verbessert werden. „So könnte man viele deutsche Schwestern und Pfleger, die zum Teil aus Erschöpfung in Teilzeit arbeiten oder sich aus Frust beruflich neu orientiert haben, zurückgewinnen.“

    Der Deutsche Caritasverband sieht die Anwerbung im Nicht-EU-Ausland ebenfalls kritisch. Man sollte nicht „spätkolonialistische Attitüden“ an den Tag legen nach dem Motto „Hauptsache, wir in Deutschland sind versorgt“, sagt Präsident Peter Neher.

    Geflüchtete müssen Deutsch lernen, um einsetzbar zu sein

    Bei den Flüchtlingen ist die Ausgangslage eine andere. Die Menschen sind ohnehin hier und werden nicht selten über Jahre in Deutschland leben. Schon deshalb sei es sinnvoll, möglichst viele dieser jungen Menschen in eine Fachausbildung zu bringen. Sebastian Riebandt betont, dass es dabei vor allem „auf die Unterstützungsmöglichkeiten ankommt, die den Ausbildungserfolg sichern“ und Abbrüche vermeiden helfen. Das könnten Sprachkurse oder sozialpädagogische Hilfsangebote sein.

    Wie das gezielte Heranführen von Flüchtlinge an die Pflege gelingt, zeigt der Bonner Verein für Pflege- und Gesundheitsberufe. Birgit Schierbaum, Leiterin Integration und Sprache, erklärt, man setze auf das Konzept ununterbrochener Bildungsketten. So könnten Flüchtlinge vom Sprachkurs über den Hauptschulabschluss bis hin zur Pflegeausbildung unter dem Dach des Vereins bleiben.

    Entscheidend sei deren kontinuierliche Betreuung über mehrere Jahre hinweg, betont die Fachfrau. „Wir können in vielen Situationen helfen, die gar nichts mit der Ausbildung zu tun haben, weil wir vor Ort gut vernetzt sind.“ Die Sache sei einfach: „Leute, die bei uns einen Sprachkurs gemacht haben und sich wohlgefühlt haben, können einfach hierbleiben.“ (epd)