Inhalt

SG Nürnberg, Urteil v. 24.01.2022 – S 5 KR 336/20
Titel:

Abrechnung einer intensivmedizinischen Beatmung

Normenketten:
DKR 2013-1001
DKR 2021-1001
Leitsatz:
Das Vorliegen einer – nach den Bestimmungen der DKR verlangten – Monitoringmaßnahme hängt nicht davon ab, dass durchgehend digitale Aufzeichnungen zu den Maßnahmen erfolgen. Es genügt die regelmäßige, engmaschige Erhebung von Gesundheitsdaten bzw. Gesundheitsparametern und deren Dokumentation in der Patientenakte. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Krankenhausbehandlung, Abrechnung, künstliche Beatmung, Monitoring, Maßnahme
Fundstelle:
BeckRS 2022, 17015

Tenor

I. Die Beklagte hat der Klägerin 10.528,29 € nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit 15.05.2018 zu bezahlen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand

1
Streitig sind Leistungen für eine vollstationäre Krankenhausbehandlung in Höhe von 10.528,29 €.
2
Die Klägerin betreibt ein Plankrankenhaus nach § 108 Ziffer 2 des Fünften Buches sozialgesetzbuch (SGB V). Die Beklagte ist gesetzliche Krankenversicherung der am xx.xx…. geborenen und inzwischen verstorbenen Versicherten E., die sich von 15.08.2016 bis 16.08.2016 in vollstationärer Krankenhausbehandlung bei der Klägerin befand (Fallnummer 2234322, Krankenversichertennummer:). Die Behandlung erfolgte bei der Diagnose Urosepsis mit respiratorischer Partialinsuffizienz bei exazerbierter COPD. Die Behandlung wurde mit Rechnung vom 04.11.2016 auf der Grundlage der DRG A11I (Beatmung > 249 Stunden, ohne komplexe oder bestimmte OR-Prozedur, ohne IntK > 588 / 828 / 1104 Punkte, ohne komplizierende Konstellation, Alter > 15 Jahre, ohne komplexe Diagnose oder Prozedur, ohne schwerste CC, ohne äußerst schwere CC) mit einem Gesamterlös von 22.595,54 € abgerechnet. Nach Abrechnung beauftragte die Beklagte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes zur Prüfung der Frage, ob die Beatmungsstunden korrekt seien. In der Stellungnahme vom 13.05.2017 kam der MDK zu dem Ergebnis, dass nur 217 Beatmungsstunden nachweisbar belegt seien, was in die niedriger bewerte DRG A13H (Beatmung > 95 Stunden mit bestimmter OR-Prozedur oder kompliz. Konstellation, ohne äußerst schwere CC, verstorben oder verlegt < 9 Tage oder ohne best. OR-Proz., ohne kompliz. Konst., Alter > 15 J., ohne kompliz. Diagnose oder Proz., ohne äuß. schw. CC) führen würde. Gegen diese Einschätzung wurde seitens der Klägerin schriftlich widersprochen (Schreiben des Dr. H. vom 26.04.2017).Gleichwohl teilte die Beklagte mit Schreiben vom 09.05.2018 mit, dass die Rückzahlungsforderung in Höhe von 10.528,99 € mit den unbeanstandeten Behandlungskosten (der Patientin E. M.) verrechnet werde und nahm die Aufrechnung am 15.05.2017 vor.
3
Nachdem vorgerichtliche Einigungsversuche erfolglos blieben, hat die Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 22.04.2020, der an diesem Tag beim Sozialgericht Nürnberg eingegangen ist, Klage erhoben. Ausweislich des als Anlage K1 vorgelegten Arztbriefes sei die Versicherte wegen einer respiratorischen Partialinsuffizienz bei exazerbierter COPD behandelt worden. Die Versicherte sei dabei - ausweislich der Beatmungsprotokolle und der Aufstellung der Beatmungszeiten - durchgängig im Zeitraum vom 15.08.2016, 21.00 Uhr, bis 26.08.2016, 8.00 Uhr, nichtinvasiv beatmet worden. Aus der Patientenkurve der interdisziplinären Intensivstation ergebe sich insbesondere aus dem Kurvenblatt vom 19.08.2016, aus den ärztlichen Anordnungen, dass die Spontanatmung tagsüber solange wie möglich durchgeführt werden sollte. Nach den Kodierrichtlinien sei die nichtinvasive Beatmung eines intensivmedizinisch behandelten Patienten mittels Maskensystem einer maschinellen Beatmung gleichzusetzen mit der Folge, dass für die Berechnung der Beatmungsdauer mit dem auf den Beginn der Maskenbeatmung abzustellen ist. Für das Ende sei nach den Kodierrichtlinien auf Beendigung der Beatmung nach einer Periode der Entwöhnung abzustellen. Weiter gäben die Kodierrichtlinien vor, dass die Dauer der Entwöhnung insgesamt inklusive beatmungsfreier Intervalle auf die Berechnung der Beatmungsdauer hinzugezählt werde, wobei es mehrere Versuche geben könne, einen Patienten vom Beatmungsgerät zu entwöhnen. Das Ende der Entwöhnung könne dabei nur retrospektiv beurteilt werden, nämlich dann, wenn eine stabile respiratorische Situation eingetreten sei. Dies ist vorliegend erst am 26.08.2016 um 8.00 Uhr der Fall gewesen. Da ausweislich der ärztlichen Anordnungen versucht werden sollte, tagsüber die Spontanatmungszeiten solange wie möglich zu erhalten, ergebe sich, dass über den gesamten Zeitraum die Spontanatmungszeiten Auslassversuche darstellen, die der Entwöhnung/Weaning der Kodierrichtlinien entsprechen. Es sollte versucht werden, die Versicherte ohne Atemunterstützung auskommen zu lassen, was erst mit dem Ende der Beatmungszeit und Erreichen einer respiratorischen stabilen Situation erreicht war. Die Spontanatmungszeiten sind somit als Weaning-Phasen voll auf die Gesamtbeatmungszeit anzurechnen. Die Klägerin verweise in diesem Zusammenhang auf die aktuelle Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), die die Rechtsprechung des Bayerischen LSG vom 12.03.2019 - L 5 KR 202/18 - stütze. Somit ergäben sich insgesamt 251 Beatmungsstunden. Mit Schriftsatz vom 21.12.2020 hat die Bevollmächtigte der Klägerin. Nachdem zwischenzeitlich die Patientenakte vorgelegt worden war, weiter Stellung genommen: der Beginn der Beatmung sei am 15.08.2016 um 15:30 Uhr erfolgt, gezählt ab Aufnahme, da die Versicherte bereits auch in der Notaufnahme eine Beatmung erhalten habe. Blatt 22 der Anlagen enthalte eine tabellarische Aufstellung nach Tagen, woraus die Beatmungszeiten ersichtlich seien. Die Beatmung habe hiernach am 15.08.2016 um 21:00 Uhr begonnen. Alle Zeiten dazwischen seien Spontanatmungszeiten, die dem Weaning als Auslassversuch zuzuordnen seien. Im Übrigen werde auf die Grafik, Blatt 23 der Anlagen verwiesen, aus dem sich die Beatmungszeiten tageweise ergäben. Im Übrigen enthielten die Anlagen nochmals die Beatmungsdokumentation, aus der das jeweilig verwendete Beatmungsgerät und die Druckparameter ersichtlich seien. Aus Blatt 14 der Beatmungsprotokolle sei ersichtlich, dass der Sauerstofffluss 2 Liter betrug und pro Minute 440 ml Gasgemisch verabreicht wurden. Im weiteren Verlauf seien die Beatmungsparameter verändert worden. Der Druck sei zur Verabreichung von Sauerstoff von 18 mBar auf 20 mBar am 16.08.2016 angehoben worden. Auch am 17.08.2016 sei der Druck variiert worden. Der MDK habe die reinen Beatmungszeiten als abrechnungsfähig anerkannt. Strittig seien die Spontanatmungszeiten. In diesem Zusammenhang werde auf den Schlichtungsspruch des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) vom 02.12.2020 verwiesen. Das InEK stelle in seinem Beschluss klar, dass sich die Berechnung der Beatmungszeiten eines intensiv-medizinisch versorgten Patienten nach der Regelung der Deutschen Kodierrichtlinien für maschinelle Beatmung richte. Demnach seien nicht nur die tatsächlichen Beatmungszeiten, sondern auch die Zeiten der Spontanatmung auf die Gesamtbeatmungszeit mit anzurechnen. Des Weiteren werde auf die Entscheidung des BSG vom 17.12.2020 - B 1 KR 13/20 R - verwiesen; das BSG habe die Anforderungen an eine Gewöhnung deutlich relativiert. Voraussetzung für die Anrechnung der Spontanatmungszeiten sei eine Gewöhnung, die als der Zustand bezeichnet werde, in dem der Patient aufgrund seiner Erkrankung oder aus sonstigen Gründen nicht in der Lage ist, ohne maschinelle Unterstützung über einen längeren Zeitraum vollständig spontan atmen zu können. Dies liege hier vor. Die Versicherte sei nicht in der Lage gewesen, über einen längeren Zeitraum ohne Atemunterstützung auszukommen. Die Auslassversuche im Rahmen der Spontanatmungszeiten stellten ein Weaning und somit eine Entwöhnung dar, da das Ziel der Beatmung sei, den Patienten ohne Beatmung auskommen zu lassen. Die Spontanatmungszeiten seien somit vollumfänglich auf die Gesamtbeatmungszeit anzurechnen, sodass sich insgesamt 251 Beatmungsstunden, gerechnet ab 15.08.2016, 21:00 Uhr, errechneten oder aber 256,5, gerundet 257 Stunden, gerechnet ab dem 15.08.2016, 15:30 Uhr.
4
Die Beklagte hat erstmals unter dem 22.04.2021 ablehnend Stellung genommen. Die seitens der Klägerin angeführte Entscheidung KDE 549 des Schlichtungsausschusses nach § 19 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG) vom 21.10.2020 sei für den vorliegenden Fall nicht zu beachten, da sie ausdrücklich erst für Behandlungsfälle mit Aufnahme ab dem 01.02.2021 gelte. Die Beklagte hat dann unter dem 18.05.2021 ausgeführt, von der Klägerin seien unter anderem 252 bzw. - jetzt mit der Klage 251 - Beatmungsstunden berücksichtigt worden. Der MDK Bayern sei in seinem Gutachten vom 10.03.2017 zu dem Ergebnis gekommen, dass anhand der von ihm von der Klägerin zur Verfügung gestellten Unterlagen lediglich 217 Beatmungsstunden nachweisbar belegt seien. Bei der Versicherten habe ein Tracheostoma bestanden. Bei dem eingesetzten Gerät habe es sich um ein Heimbeatmungsgerät gehandelt, das die Versicherte seit einem vorherigen Krankenhausaufenthalt nutzte. Der MDK habe festgehalten: „Stat. Aufnahme am 15.08.16 der bereits tracheostmierte(n) und heimbeatmete(n) Patientin (10.06.16) auf die Intensivstation bei Sepsis mit E. coll.“ Die Dokumentation zeige keine intensivmedizinische Beatmung. Dafür wäre die regelmäßige Kontrolle von Blutgasanalysen als arterielle bzw. kapilläre Analyse zur Beatmungssteuerung erforderlich. Im vorliegenden Fall seien fast ausschließlich venöse Blutgasanalysen nachgewiesen. Dies widerspreche einer intensivmedizinischen Beatmungsführung. Auch die Aufstellung der Beratungsstunden zeige eine nächtliche Atemunterstützung mit Pausen tagsüber, so wie die Beatmung zu Hause (Pflegeheim) geführt werde. Damit könnten die Beatmungsstunden nicht anerkannt werden mit Ausnahme der am 16./17.08.2016 erfolgten Beatmungsstunden; hier sei eine intensiver erforderliche Beatmung erkennbar. Maximal könnten damit nur weniger als 95 Stunden anerkannt werden. Hieraus ergebe sich eine Minderung zum Abrechnungsbetrag der Klägerin in Höhe von 18.755,36 €, von denen lediglich 10.528,99 € im Rahmen der Aufrechnung geltend gemacht worden sein. Die Klägerin begehre eine Beatmung „mittels Maskensystem“, obwohl ein Tracheostoma vorgelegen habe. Die Anlage einer Beatmungsmaske wäre zu dokumentieren gewesen. Dass ein Tracheostoma vorgelegen habe, gehe auch aus der mehrfachen Nutzung der „feuchten Nase“ vor, ein Aufsatz auf das Tracheostoma, wenn keine Beatmung erfolgt, damit die Luftröhre nicht austrocknet. Im Übrigen wäre auch eine - dokumentierte - orale Medikamentengabe unter intensivmedizinischer Beatmung nicht möglich gewesen. Es habe sich hauptsächlich um eine Fortsetzung der Heimbeatmung gehandelt, sodass bei der Versicherung die Entwöhnung keine Rolle gespielt habe.
5
Die bevollmächtigte der Klägerin hat unter dem 17.06.2021 mitgeteilt, es habe sich um eine tracheostomierte Patientin gehandelt. Nach den Kodierrichtlinien erfolge die Beurteilung der Beatmungsdauer analog zur Regelung eines intensivmedizinisch versorgten Patienten, bei dem die maschinelle Beatmung über Maskensysteme erfolgt. Von daher seien grundsätzlich die gleichen Vorgaben zu beachten. Die Beklagte mache nun geltend, dass keine intensivmedizinische Beatmung vorgelegen hätte, da nur venöse Blutgasanalysen und keine arteriellen Analysen nachgewiesen seien. Es sei nicht nachvollziehbar, wie die Beklagte zu dieser Vorgabe komme. Nach den Kodierrichtlinien erfordere die Analogie zwischen Tracheostoma und Maskensystem, dass der Patient intensivmedizinisch versorgt werde. Es sei keine Vorgabe bekannt, dass ein Patient nur dann intensivmedizinisch versorgt werde, wenn sowohl arterielle, wie auch venöse Blutgasanalysen vorlägen. Auch der MDK sei in seiner Stellungnahme davon ausgegangen, dass die Versicherte intensivmedizinisch versorgt worden sei. Dies sei zu keiner Zeit fraglich oder bestritten gewesen. Andernfalls hätte der MDK in seinem Gutachten keinerlei Beatmungszeiten anerkannten dürfen, da die Gleichstellung der künstlichen Beatmung durch Maskensysteme von der intensivmedizinischen Behandlung abhänge. Es dürfte daher unstrittig sein, dass die Versicherte als intensivmedizinisch zu behandelnde Patientin auf der Intensivstation versorgt worden sei.
6
Nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung hat die Beklagte mit Schreiben vom 29.12.2021 mitgeteilt, sie gehe davon aus, dass der MDK übersehen habe, dass keine Beatmung über Maske, sondern eine „fortgesetzte Heimbeatmung“ vorgelegen habe. Häufig würden Patienten, obwohl eine medizinische Notwendigkeit für eine intensivmedizinische Versorgung nicht mehr gegeben sei, im Rahmen nur einer fortgesetzten Heimbeatmung auf einer Intensivstation (IST) versorgt. Bei einer fortgesetzten Heimbeatmung seien jedoch lediglich die tatsächlich erbrachten Beatmungsstunden zu zählen. Die Beklagte beantrage daher die Einsichtnahme in die Patientenakte.
7
Das Gericht hat der Beklagten daraufhin die Patientenakte zur Verfügung gestellt.
8
Die Bevollmächtigte der Klägerin hat unter dem 18.01.2022 mitgeteilt, die Einlassungen der Beklagten seien nicht verständlich. Aus der MDK-Stellungnahme vom 13.03 2017 werde deutlich, dass der MDK im Rahmen seiner Prüfung von einer tracheotomierten und heimbeatmeten Patientin ausgegangen sei. Für den MDK habe es außer Fragen gestanden, dass die Versicherte intensivmedizinisch behandelt worden sei. Die vom MDK anerkannten Beatmungsstunden seien über die Intensivkurven und Beatmungsprotokolle als belegt anzusehen. Aus dem Entlassbrief werde deutlich, dass neben der Sepsis-Behandlung mit Antibiose eine respiratorische Partialinsuffizienz im Rahmen einer exazerbierten COPD bestanden habe und die Versicherte durchgehend beatmet worden sei, wobei deutlich erhöhte Beatmungsdrücke erforderlich gewesen sein. Es werde geschildert, dass sich die Drücke wieder reduzieren ließen. Zudem werde geschildert, dass ein erneutes Weaning durchgeführt worden sei, sodass den Versicherte zum Entlassungszeitpunkt lediglich zu Nachtstunden noch beatmungspflichtig gewesen sei. Hieraus werde deutlich, dass ein methodisches Verfahren angewandt worden sei, die versicherte von der Beatmung wegzubekommen, was im Sinne der Rechtsprechung des BSG ein Weaning sei.
9
Die Beklagte hat unter dem 18.01.2022 mitgeteilt, nach den Kodierrichtlinien erfolge die Beurteilung der Beatmungsdauer analog zur Regelung eines intensivmedizinisch versorgten Patienten, bei dem die maschinelle Beatmung über Maskensysteme erfolgen. Gemäß den DKR 1001 Maschinelle Beatmung handle es sich um einen heimbeatmeten tracheotomierten Patienten, der weiter über sein Tracheostoma beatmet werde. Die Beatmungsstunden seien dann zu erfassen, wenn es sich im vorliegenden Fall um einen intensivmedizinisch versorgten Patienten gehandelt habe. Eine intensivmedizinische Versorgung habe jedoch im vorliegenden Fall nicht vorgelegen. Die Beatmung sei ausweislich der Patientenkurve unter Verwendung des Heimbeatmungsgeräts der Versicherten erfolgt. Aus dem Entlassungsbericht des Voraufenthaltes vom 14.07 2016 sei erkennbar, dass die Versicherte auf ein zur Heimbeatmung geeignetes Gerät umgestellt worden sei, nämlich auf ein Gerät vom Typ CARAT plus. Bei dem Beatmungsgerät CARAT handele es sich nicht um ein für die intensivmedizinische Beatmung geeignetes Gerät, was sich aus der Gerätebeschreibung ergebe. Im vorliegenden Fall habe schon deshalb keine intensivmedizinische Beatmung vorliegen können, da keine Versorgung mit einem Beatmungsgerät des Krankenhauses erfolgt sei. Auf die übrigen Ausführungen in den Schriftsatz der Beklagten vom 18.01.2022 nimmt das Gericht Bezug.
10
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, einen Betrag in Höhe von 10.528,29 € nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15.05.2018 zu bezahlen.
11
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
12
Das Gericht hat die Patientenakte von der Klägerin und die Verwaltungsakten der Beklagten beigezogen. Die beigezogenen Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf diese Unterlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

13
Die zulässige Klage ist begründet.
14
Die von der Beklagte durfte vorgenommene Aufrechnung war nicht rechtmäßig. Das Gericht ist zu der rechtlichen Auffassung gelangt, dass die von der Klägerin erstellte Rechnung vom 04.11.2016 (Rechnungs-Nr.: 1-0573975) betreffend den stationären Krankenhausaufenthalt der Versicherten E. vom 15.08.2016 bis 25.08.2016 auf der Grundlage der DRG A11I (Beatmung > 249 Stunden, ohne komplexe oder bestimmte OR-Prozedur, ohne IntK > 588 / 828 / 1104 Punkte, ohne komplizierende Konstellation, Alter > 15 Jahre, ohne komplexe Diagnose oder Prozedur, ohne schwerste CC, ohne äußerst schwere CC) mit einem Gesamterlös von 22.595,54 € den gesetzlichen Vorschriften entspricht und die Klägerin mehr als 249 Beatmungsstunden der Abrechnung zugrunde legen durfte.
15
Die äußeren Umstände der vollstationären Behandlung der Versicherten E. sind nicht streitig. Es handelte sich um eine Versicherte, die bereits von 20.05.2016 bis 20.06.2016 von der Klägerin vollstationär behandelt wurde (anschließend in der R. Klinik) und die am 15.08.2016 „mit Einweisung durch den Notarzt bei V.a. eine Pneumonie bei zunehmender Dyspnoe und Fieber bei tracheotomierter und heimbeatmeter Patientin“ erneut stationär aufgenommen und ab 21:00 Uhr auf die „Interdisziplinäre IST“ gelegt wurde, wo sie bis zur Entlassung verblieb. Die Versicherte hatte das Heimbeatmungsgerät CARAT dabei, die Beatmung erfolgte durchgehend und ausschließlich über dieses Gerät.
16
Zu Unrecht verlangt die Beklagte, dass eine intensivmedizinische Beatmung der Versicherten, für die das Heimbeatmungsgerät von vorneherein nicht geeignet gewesen sei, vorliegen müsse, Die seitens der Beklagten zutreffend genannten Bestimmungen der Kodierrichtlinien 1001 bestimmen:
17
Die für den Zeitpunkt der stationären Behandlung (2016) maßgeblichen Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) von 2013 (2013-1001/Maschinelle Beatmung) lauteten:
18
Für den Sonderfall von heimbeatmeten Patienten, die über ein Tracheostoma beatmet werden, ist analog zur Regelung zu intensivmedizinisch versorgten Patienten, bei denen die maschinelle Beatmung über Maskensysteme erfolgt, vorzugehen.
19
Aktuell lautet die Bestimmung in den DKR zur maschinellen Beatmung (2021-1001/Maschinelle Beatmung):
20
Bei heimbeatmeten Patienten, die über ein Tracheostoma beatmet werden, sind die Beatmungszeiten zu erfassen, wenn es sich im Einzelfall um einen „intensivmedizinisch versorgten Patienten“ handelt.
21
Die Definition des „intensivmedizinisch versorgten Patienten“ findet sich aktuell in den DKR 2021-1001/Maschinelle Beatmung und lautet wie folgt:
„Beatmungsstunden sind nur bei „intensivmedizinisch versorgten“ Patienten zu kodieren, das heißt bei Patienten, bei denen die für das Leben notwendigen sogenannten vitalen oder elementaren Funktionen von Kreislauf, Atmung, Homöostase oder Stoffwechsel lebensgefährlich bedroht oder gestört sind und die mit dem Ziel behandelt, überwacht und gepflegt werden, diese Funktionen zu erhalten, wiederherzustellen oder zu ersetzen, um Zeit für die Behandlung des Grundleidens zu gewinnen. Das Grundleiden, das die intensivmedizinische Behandlung bedingt hat, muss in diesem Zusammenhang nicht mit der Hauptdiagnose identisch sein.“
22
Diese intensivmedizinische Versorgung umfasst mindestens ein Monitoring von Atmung und Kreislauf und eine akute Behandlungsbereitschaft (ärztliche und pflegerische Interventionen zur Stabilisierung der Vitalfunktionen unmittelbar möglich).
23
In den Kodierrichtlinien 2013 (2013-1001/Maschinelle Beatmung) war diese Definition noch nicht enthalten; die entsprechende Regelung lautete:
24
Maschinelle Beatmung („künstliche Beatmung”) ist ein Vorgang, bei dem Gase mittels einer mechanischen Vorrichtung in die Lunge bewegt werden. Die Atmung wird unterstützt durch das Verstärken oder Ersetzen der eigenen Atemleistung des Patienten. Bei der künstlichen Beatmung ist der Patient in der Regel intubiert oder tracheotomiert und wird fortlaufend beatmet. Bei intensivmedizinisch versorgten Patienten kann eine maschinelle Beatmung auch über Maskensysteme erfolgen, wenn diese an Stelle der bisher üblichen Intubation oder Tracheotomie eingesetzt werden.
25
Nach dieser (letztgenannten) Fassung der Kodierrichtlinien 2013 ergibt sich bereits direkt aus dem Wortlaut der DKR-Bestimmungen, dass tracheotomierte Patienten als „künstlich beatmete Patienten“ bzw. als maschinell beatmete Patienten gelten und somit die Beatmungsstunden bzw. die Verwendung eines Beatmungsgeräts (zwingend) zur maschinellen Beatmung gezählt werden müssen.
26
Nach der 2021-1001/Maschinelle Beatmung) kommt es - nicht auf die intensivmedizinische Beatmung, sondern - auf die intensivmedizinische Versorgung der Erkrankten an. Die intensivmedizinische Versorgung umfasst - entsprechend der Definition der DKR - mindestens ein Monitoring von Atmung und Kreislauf und eine akute Behandlungsbereitschaft (ärztliche und pflegerische Interventionen zur Stabilisierung der Vitalfunktionen unmittelbar möglich). Eine solche intensivmedizinische Behandlung ist zwar nicht bereits (lediglich formal) mit der Aufnahme einer Patientin in einer IST (hier: die Interdisziplinäre ITS der Klägerin) gegeben, es lagen aber eindeutig - und aus der Patientenakte durchgehend zu entnehmen - die Voraussetzungen einer intensivmedizinischen Versorgung der Versicherten vor. In der mündlichen Verhandlung hat der ärztliche Vertreter der Klägerin noch einmal die bei der Versicherten vorgenommenen medizinischen Monitoringmaßnahmen geschildert (Herzfrequenz-Messen, Blutdruckmessen, Atemfrequenz, Sauerstoffsättigung, Kohlendioxid in der Ausatemluft).
27
Das Vorliegen einer - nach den Bestimmungen der DKR verlangten - Monitoringmaßnahme hängt im Übrigen nicht davon ab, dass durchgehend digitale Aufzeichnungen zu den Maßnahmen erfolgen; es genügt die regelmäßige, engmaschige Erhebung von Gesundheitsdaten bzw. Gesundheitsparametern und deren Dokumentation in der Patientenakte. Die Voraussetzungen der DKR-Definition der intensivmedizinischen Versorgung lagen somit nachweislich vor; dies hat auch der MDK offensichtlich so gesehen und so bewertet. Einer konkret intensivmedizinischen Beatmung bedurfte es zur Erfüllung der Definitions-Kriterien nicht; es kommt daher auch nicht auf eine diesbezügliche Leistungsfähigkeit des Heimbeatmungsgeräts an.
28
Streitig war im Kern - darauf hat die Klägerseite hingewiesen - ob die Entwöhnungszeiten bzw. die Zeiten der Spontanatmung der Versicherten zu den Beatmungsstunden gezahlt werden können. Auch dies ist auf der Grundlage der dazu vorliegenden Rechtsprechung zu bejahen. Das BSG hat im Urteil vom 17.12.2019 - B 1 KR 19/19 R - entschieden: Ein Krankenhaus darf auch ohne Entwöhnungserfolg Spontanatmungsstunden in die Beatmungsvergütung einbeziehen, wenn es versucht hat, einen Patienten methodisch gezielt von maschineller Beatmung mit mindestens täglich sechsstündiger Maskenbeatmung zu entwöhnen. Berufungsinstanz zu diesem BSG-Verfahren war das Bayerische Landessozialgericht; es hatte im Urteil vom 12.03.2019 - L 5 KR 202/18 - entschieden: Spontanatmungsstunden sind auch dann als Beatmungszeit abzurechnen, wenn der Entwöhnungsversuch bis zur Entlassung des Versicherten nicht zu einer stabilen respiratorischen Situation geführt hat.
29
Die Voraussetzungen für die Berücksichtigung der Spontanatmungszeiten waren gegeben; die Klägerin hat bei der Versicherten während des gesamten stationären Aufenthalts - im Ergebnis aber ohne Erfolg - versucht, die Versicherte von der maschinellen Beatmung zu entwöhnen. Wörtlich heißt es in den Entlassungsbericht der Klägerin vom 118.11.2016 (an den Hausarzt) diesbezüglich: „Im Verlauf war während des stationären Verlaufs der stete Wunsch der Patientin nach maschineller Beatmung auffällig (bei jedoch Normwerte gern pO₂ und pCO₂ in den bestimmten Blutgasanalysen). Aufgrund dessen führten wir ein erneutes Weaning durch, so dass Frau H. (Anm. d. Ger.: Name falsch, aber der Versicherten E. eindeutig zuordenbar) zum Einlasszeitpunkt lediglich zu den Nachtstunden noch beatmungspflichtig ist. Wir empfehlen die Beatmung weiter zu reduzieren, um im Verlauf eine durchgehende Spontanatmung zu erreichen. Als Behandlungsziel ist ein Zuwachsen des Tracheostomas durchaus realistisch“. Diese Angaben decken sich mit den in der Patientenakte dokumentierten Interventionen und Beatmungszeiten der Klägerin. Die Stunden des stationären Aufenthalts der Versicherten vom 15.08.2016, 21:00 Uhr bis 25.08.2016, 8:00 Uhr sind daher als sämtlich Beatmungsstunden zu berücksichtigen; es sind 251 Stunden und damit sind die Voraussetzungen des DRG A 11I erfüllt.
30
Der Anspruch auf Verzinsung ergibt sich aus § 12 Nr. 1 der Pflegesatzvereinbarung 2016. Danach ist die Rechnung innerhalb von drei Wochen nach Rechnungseingang zu zahlen und sind ab Überschreitung der Zahlungsfrist Verzugszinsen in Höhe von 4 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu entrichten. Mit Verrechnung der vermeintlichen Gegenforderung durch die Beklagten ergibt sich daher ein Anspruch auf Verzinsung ab den jeweiligen Aufrechnungstagen; es ergeben sich somit drei - gesondert geltend gemachte und auch zu berücksichtigende - Verzinsungszeiträume.
31
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Teilsatz 3 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
32
Die Streitwertfestsetzung erfolgt durch gesonderten Beschluss.