Gelegentlich lohnt sich ein Blick in die Arbeit des Qualitätsmanagements, insbesondere wenn die Qualitätskommission mit viel Elan immer neue politische Vorgaben umsetzt, sodass die medizinische Versorgung dagegen langweilig erscheint - oder immer größere personelle Engpässe drohen, auch ohne die üblichen Herausforderungen wie Krankheit, Arbeitszeitausgleich oder Urlaub. Die Liste der Posten und Beschäftigungen für scheinbar unausgelastete, ursprünglich medizinisch, therapeutisch und pflegerisch tätige Mitarbeiter ist lang!

Wir verfügen über je einen Beauftragten für medizinische Fortbildung, medizinisches Notfallmanagement, Mitarbeiterklagen, Patientenbeschwerden und Medizinproduktesicherheit. Daneben haben wir Arzneimittelbeauftragte, CIRS-Beauftragte, Datenschutzbeauftragte nebst zahlreichen Mitgliedern in der Datenschutzkommission, MDK(DRG)-Beauftragte, Arbeitssicherheits- und Strahlenschutzbeauftragte. Hygienebeauftragte gibt es für die Ambulanz, die Funktionsabteilungen, jede einzelne Station, die Tagesklinik und die Physiotherapie - natürlich neben dem hygienebeauftragten Arzt. Hinzu kommen ein transfusionsbeauftragter Arzt und ein Wundmentor, ein Internetbeauftragter, Koordinator für die Öffentlichkeitsarbeit sowie Brandschutzbeauftragter mit für jede Einheit erforderlichen zwei Brandhelfern. Selbstverständlich erfordert jede Position auch noch einen, wenn nicht sogar mehrere Stellvertreter.

Alle diese Personen müssen in der Regel einen einwöchigen Einführungs-, Fortgeschrittenen- und jährlich einen Refresher-Kurs absolvieren - möglichst an fernen Standorten, damit sie nicht durch dringende Klinikrückfragen belästigt werden. Halb- oder Ganztagsfortbildungen sind nur Veranstaltungen vorbehalten, an der alle Mitarbeiter des Hauses teilnehmen müssen, am besten gleichzeitig. Zwar muss nicht jede Position mit einem Arzt besetzt werden, aber oft lässt sich dies aus fachlichen Gründen nicht verhindern. Und immer wieder erleben wir, dass Mitarbeiter in der Kommissionsarbeit und dem damit verbundenen Engagement und somit von der medizinischen Bildfläche verschwinden. Kenner der Materie wissen wie zeitaufwendig die Vorbereitungen für die begehrten Qualitätszertifikate sind, die Kliniken für Monate mehr oder weniger medizinisch stilllegen, und die nach bestandener Prüfung zu einer Glückseligkeit führen, wie sie nach Rettung eines Patienten noch nie erlebt wurde.

Natürlich sind alle diesen Maßnahmen sinnvoll und beruhen auf der Erkenntnis, dass zur Klärung der Schuldfrage - in Deutschland immer an erster Stelle - wichtig ist, den Verantwortlichen sofort nennen zu können. Bei Versagen sollte wenigstens kein Organisationverschulden nachweisbar sein. Es ist deshalb unverständlich, dass viele Patienten gerade in hochgradig qualitätszertifizierten Krankenhäusern vereinsamen und den Eindruck haben, letztlich kümmere sich niemand um sie. Bei so vielen zusätzlichen Sitzungen, Fortbildungen und Gesprächsterminen besteht kaum noch die Möglichkeit, Patientengespräche zu führen.

Hinzu kommt, dass der karrierebewusste Mitarbeiter weiß, dass Engagement in Kommissionen seiner Stellung im Krankenhaus nicht abträglich ist. Das Dumme ist, dass dies nicht nur größere Kliniken trifft, sondern auch kleinere, deren Personal allein quantitativ gar nicht in der Lage ist, mit der Einrichtung systemrelevanter Positionen Schritt zu halten. Hier können nur noch Multitalente tätig werden. Das Tragische an der Situation ist, dass der heldenhafte Rückzug aus solchen Kommissionen und Gremien keine erstrebenswerte Lösung darstellt, sondern sich als Bumerang erweist, wenn die Umsetzung der gefassten Beschlüsse drohen.

Bleibt zu hoffen, dass wir interessierte und kritische Mitarbeiter haben, die die Prioritäten der medizinischen Versorgung im Auge haben und eine Verwaltung, die erkennt, welche Kriterien für den Erfolg einer Klinik wirklich ausschlaggebend sind.

Ihr

figure 1

"Es ist unverständlich, dass viele Patienten gerade in hochgradig qualitätszertifizierten Krankenhäusern vereinsamen und den Eindruck haben, letztlich kümmere sich niemand um sie."

Prof. Dr. med. Hans-Raimund Casser Ärztlicher Direktor DRK Schmerz-Zentrum Mainz, Vizepräsident IGOST