SchwarzbuchKölner Klinikbeschäftigte veröffentlichen dramatische Berichte

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Drastische Kritik üben streikende Klinikbeschäftigte etwa aus der Pflege an Personalmangel und Überlastung. 

Köln – Ein dementer, frisch operierter 92-Jähriger erstickt in seinem Klinikbett, weil er unbemerkt das hochgestellte Kopfteil verstellt hat und lange keiner nach ihm sieht. Ein Patient stirbt alleine auf der Corona-Isolierstation, weil keine Zeit ist, ihm in den letzten Minuten beizustehen. Eine Klinik-Mitarbeiterin berichtet vom Druck, „einen Bettenplan zu erstellen, allerdings weißt du, der Plan geht nicht auf, alle Patienten können nicht untergebracht werden...“

Was die Unterbesetzung im Alltag wirklich bedeutet

Drei Beispiele aus vielen anonymen Erfahrungsberichten, die am Montag Klinikbeschäftigte der sechs Unikliniken in NRW erstmals aus dem Schwarzbuch Krankenhaus öffentlich zugänglich machten. Zur Veranstaltung in der Nippeser Agneskirche kamen Hunderte streikende Beschäftigte zusammen. Am Eingang der Kirche halten sie ein Transparent hoch: „Personalmangel tötet.“ Drastische Worte. Die Berichte dokumentieren, „was es für die Patientinnenversorgung und -sicherheit bedeutet, wenn in Unterbesetzung gearbeitet wird und was es für die Beschäftigten heißt, immer wieder diesen Situationen ausgesetzt zu sein“, erläutern die Initiatoren, darunter Anuschka Mucha, Intensivpflegekraft an der Uniklinik Köln. Sie erhielten prominente Unterstützung etwa von Kriminalbiologie Marc Benecke und Comedian Christoph Sieber, die Statement vorlasen, Carolin Kebekus und andere sind online mit dabei. Erschüttert, berührt reagierten Gäste auf die Berichte.

Forderungskatalog

In der Auseinandersetzung um den Tarifvertrag Entlastung von Verdi und Arbeitgebern trugen Klinikbeschäftigte Erfahrungsberichte zusammen und setzen sich weiter für bessere Arbeitsbedingungen und Patientenversorgung ein. Nötig seien konkrete Betreuungsrelationen, die Belastungssituationen gar nicht erst auftreten ließen, und ein „schichtgenauer Belastungsausgleich“. Vertreter von SPD, Bündnisgrünen, FDP und Linken sicherten bei der Veranstaltung in der Kirche Unterstützung zu.

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Mehrere Kliniken reagierten auf die Aktion und Vorwürfe. „Die anonymen Schilderungen enthalten keine konkreten Angaben zu den jeweiligen Krankenhäusern, zum Zeitpunkt des Geschehens oder zu beteiligten Personen. Insofern ist eine Zuordnung und damit inhaltliche Aufarbeitung der beschriebenen Fälle nicht möglich“, erklärte ein Sprecher der Uniklinik Köln. Beschäftigte könnten aber auf mehreren Wegen kritische Situationen melden. Die Kliniken würden das Vorhaben unterstützen, „mit einem Personalaufbau in der Pflege die Personalschlüssel im Rahmen des Tarifvertrags Entlastung deutlich zu verbessern“. (MW/dpa)

Streikende Pflegekräfte und Mitarbeitende aus vielen und anderen Klinikbereichen kamen zusammen, um mit Blick auf die laufenden Tarif-Verhandlungen mit der Gewerkschaft Verdi den Druck noch einmal massiv zu erhöhen – nach bereits rund zehn Wochen Streik.

Über Personalmangel werde viel gesprochen, Mucha und Kollegin Lisa Schlagheck aus Münster in ihrer Moderation, aber „kaum über die gefährlichen bis tödlichen Konsequenzen von Unterbesetzung. Wir können das Schweigen über diese Zustände nicht länger verantworten“, so die Mitinitiatorinnen. Sie lobten Teilnehmende auch für ihren Mut, Defizite beim Namen zu nennen.

Auszüge aus den Berichten

Hier Auszüge aus einigen der vorgetragenen anonymisierten Berichte; die Texte sind auf der Schwarzbuch Krankenhaus-Homepage veröffentlicht:

Intensivstation: „Unbemerkt gestorben“ „Auf einer großen fachübergreifenden Intensivstation musste eine Kollegin die Station für einen Transport verlassen. Es war ein Notfalltransport. Als sie zurückkam, war ihr anderer Patient tot. Die Medikamente, die den Kreislauf aufrecht erhalten, waren leergelaufen, keiner hatte es gemerkt.“

Corona-Isolierstation: „Beim Sterben zusehen“ „Ich musste draußen bleiben, da alle examinierten Pflegekräfte gerade in den Zimmern waren oder andere wichtige Aufgaben zu erledigen hatten. Und so stand ich vor dem Monitor und habe beobachtet, wie der Herzschlag des Sterbenden langsamer wurde und die Sauerstoffsättigung immer weiter sank. Ich habe dem Patienten von draußen beim Sterben zugeguckt – weil zu wenig Personal da war, um ihn in seinen letzten Lebensminuten zu begleiten.“

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Patienten-Service: „Da kommt keiner“: „Ich musste Abendbrot verteilen ... In dem ersten Zimmer komm ich rein und ...ich sehe, dass der Patient zappelt auf dem Bett und ich frag ihn: „Ist Ihnen kalt?“ und der Bettnachbar sagt: „Nein, dem geht’s nicht gut, wir haben geklingelt aber leider kommt keiner“... Die Schwestern waren unter Stress, schlecht besetzt...“

Aus einer Kinderabteilung: „Im Kinderherzkatheter steht seit über einem Tag ein schwer krankes Kind von der Intensivstation auf dem Plan. Das Kind ist an letzter Stelle, also in den Abendbereich geplant. Davor stehen drei Herzkatheteruntersuchungen... Nun habe ich Rufdienst und werde für 18 Uhr einbestellt... Eigentlich gibt es bis 20 Uhr einen Spätdienst für die Anästhesiepflege... Als ich ankomme, frage ich ,Was mache ich, wenn der Spätdienst um 20 Uhr geht? Dann stehe ich hier allein da, obwohl das Kind zwei Leute mindestens braucht...’ Mir wird gesagt, bis 20 Uhr sei man fertig. Der Spätdienst geht um 20 Uhr, um 20.45 Uhr fangen wir an zu reanimieren, mein Anästhesist und ich sind allein. Uns fehlen mindestens vier Hände, um optimal zu reanimieren, das Kind stirbt fast. Das Kind hat überlebt, ich habe um 1 Uhr nachts, als ich fertig war mit Aufräumen, geweint.“

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