Bundessozialgericht

Verhandlung B 1 KR 25/21 R

Krankenversicherung - Krankenhausvergütung - stationäre Behandlung - klinische Studie

Verhandlungstermin 22.06.2022 11:30 Uhr

Terminvorschau

Universitätsklinikum M. A. ö. R. ./. DAK-Gesundheit
Die Beteiligten streiten über die Vergütung von vier stationären Behandlungen im Rahmen einer Studie.

Der bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte und an einem inoperablen Leberkarzinom erkrankte S wurde im Jahr 2011 in vier stationären Aufenthalten im zugelassenen Krankenhaus der Klägerin im palliativen Arm der Studie “Sorafenib in Kombination mit lokaler Mikrotherapie bei nicht-operabler Krebserkrankung der Leber mit Therapiesteuerung durch Gd-EOB-DTPA-gestützte MRT“ behandelt. Während des ersten stationären Aufenthalts erfolgte eine selektive Embolisation mit Metallspiralen zur Vorbereitung der im Rahmen dieser Phase-II-Studie durchgeführten – nur stationär zulässigen – selektiven intravaskulären Radionuklidtherapie (SIRT). Die ersten beiden stationären SIRT-Behandlungen fanden im Januar und Februar 2011 in Kombination mit einem zugelassenen Medikament (Wirkstoff Sorafenib) statt. Allein diese medikamentöse Therapie war die anerkannte Standardtherapie, die jedoch ambulant hätte durchgeführt werden können. Die Medikamentengabe musste wegen Nebenwirkungen im Juni 2011 beendet werden. Die dritte noch im Rahmen der Studie durchgeführte stationäre SIRT-Behandlung erfolgte vom 26. bis 29.10.2011. Die KK beglich die Rechnungen des Krankenhauses zunächst und leitete jeweils eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung ein. Dieser verwies jeweils darauf, dass die Studienbehandlung ein experimentelles Verfahren darstelle. Daraufhin verrechnete die KK die geleisteten Rechnungsbeträge für den ersten stationären Behandlungsfall iHv 852,50 Euro (Zusatzentgelt ZE 106.05 für die selektive Embolisation) und für den zweiten bis vierten Behandlungsfall in voller Höhe mit unstreitiger Forderungen des Krankenhauses, insgesamt 56 642,25 Euro.

Mit der Klage hat das Krankenhaus die Zahlung der jeweils aufgerechneten Vergütung nebst Zinsen begehrt und geltend gemacht, dass die Behandlung des Versicherten im Rahmen der Studie ordnungsgemäß erfolgt sei. Relevant sei allein, dass die Studie stationär habe durchgeführt werden müssen. Alle insbesondere ambulant möglichen Behandlungsalternativen seien nicht auszuschöpfen gewesen. Die gesetzlichen KKn müssten sich am medizinischen Fortschritt beteiligen. Das SG hat die Klage abgewiesen. Das LSG hat die Berufung des Krankenhauses zurückgewiesen. Die KK habe jeweils wirksam mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegenüber unstreitigen Forderungen aufgerechnet. Der Versicherte habe keinen Anspruch auf Behandlung außerhalb des allgemeinen Qualitätsgebots gehabt. Die SIRT habe im Jahr 2011 nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprochen. Das Krankenhaus habe deshalb keinen Anspruch auf Vergütung. Beim Versicherten habe zudem ohne Integration in die Studie keine stationäre Behandlungsbedürftigkeit vorgelegen. Ein Vergütungsanspruch folge auch nicht aus einer grundrechtsorientierten Auslegung der Regelungen des SGB V, da eine Standardbehandlung zur Verfügung gestanden habe.

Mit seiner Revision rügt das Krankenhaus eine Verletzung von § 8 Abs 1 Satz 2 KHEntgG.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Magdeburg - S 15 KR 443/15, 06.03.2018
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt - L 6 KR 46/18, 22.04.2021

Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 22/22.

Terminbericht

Die Revision des klagenden Krankenhauses hatte teilweise Erfolg. Hinsichtlich der Vergütungsansprüche des Krankenhauses für Behandlungen im Januar und Februar 2011 hat der Senat die Revision zurückgewiesen. Hinsichtlich des Vergütungsanspruchs für Oktober 2011 hatte die Revision im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung Erfolg. Der Senat konnte insoweit auf Grundlage der Feststellungen des LSG nicht entscheiden, ob dem Krankenhaus der für die Behandlung vom 26. bis 29. Oktober 2011 geltend gemachte Vergütungsanspruch gegen die beklagte Krankenkasse (KK) zusteht.

Das Krankenhaus hat keinen Anspruch auf Vergütung der Studienbehandlungen des Versicherten im Januar und Februar 2011. Das LSG hat die Berufung des Krankenhauses gegen das ablehnende Urteil des SG insoweit zu Recht zurückgewiesen. Voraussetzung des Vergütungsanspruchs ist, dass der Versicherte gegen die KK einen Anspruch auf Versorgung mit der vom Krankenhaus erbrachten Leistung hatte. Dies war bei den Behandlungen im Januar und Februar 2011 nicht der Fall. Versicherte haben grundsätzlich nur Anspruch auf Leistungen, die dem allgemeinen Qualitätsgebot entsprechen. Die Versorgung im Rahmen der Studie entsprach nach den bindenden, nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des LSG nicht diesem Maßstab. Es kann dahinstehen, ob bei Durchführung einer klinischen Studie Ausnahmen vom Qualitätsgebot für die stationäre Behandlung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung bestehen. Dies ergibt sich zwar nicht bereits aus § 8 KHEntgG. Als preisrechtliche Regelung bestimmt die Vorschrift nur die Höhe der Vergütung und begründet weder Leistungsansprüche der Versicherten noch einen Vergütungsanspruch des Krankenhauses dem Grunde nach. Für eine Absenkung des Qualitätsmaßstabes könnte jedoch die Regelung des § 137c Abs 2 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V in der im Behandlungsjahr geltenden Fassung sprechen. Dem steht vorliegend aber § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V entgegen. Die Teilnahme an einer klinischen Studie kann die stationäre Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit nicht allein begründen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn zur Erreichung desselben Behandlungsziels eine ambulant durchführbare Standardtherapie zur Verfügung steht. Das war hier nach den bindenden Feststellungen des LSG jedenfalls im Januar und Februar 2011 der Fall. Eine Absenkung der Qualitätsanforderungen kommt auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Potentialmaßstabes in Betracht, da dieser seinerzeit noch nicht galt. Ferner lagen die Voraussetzungen des Leistungsanspruchs aufgrund einer grundrechtsorientierten Auslegung der Vorschriften des SGB V (jetzt § 2 Abs 1a SGB V) nicht vor.

Der Senat konnte auf Grundlage der Feststellungen des LSG nicht abschließend darüber entscheiden, ob dem Krankenhaus ein Anspruch auf Vergütung für die Behandlung des Versicherten vom 26. bis 29. Oktober 2011 zusteht. Es kommt ein Anspruch im Rahmen einer grundrechtsorientierten Auslegung der Vorschriften des SGB V in Betracht. Nach den Feststellungen des LSG musste die medikamentöse Standardbehandlung im Juni 2011 aufgrund eingetretener Komplikationen ausgesetzt werden. Die weitere Feststellung des LSG, dass im Oktober 2011 noch eine Standardtherapie zur Verfügung stand, ist damit nicht vereinbar. Die noch fehlenden Feststellungen muss das LSG nachholen.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 22/22.

Hinweis zur Verwendung von Cookies

Wir verwenden ausschließlich Sitzungs-Cookies, die für die einwandfreie Funktion unserer Webseite erforderlich sind. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir diese Cookies einsetzen. Unsere Informationen zum Datenschutz erhalten Sie über den Link Datenschutz.

OK