Corona-Pandemie 

Divi-Gate: Regionale Klinikchefs kontern Vorwürfe zu Intensivstationen

25.5.2021, 05:55 Uhr
Eine Autorengruppe wirft der Intensivmedizin in Deutschland vor, die Lage auf den Stationen übertrieben dargestellt zu haben. 

© Waltraud Grubitzsch, dpa Eine Autorengruppe wirft der Intensivmedizin in Deutschland vor, die Lage auf den Stationen übertrieben dargestellt zu haben. 

In den Kliniken in der Region sitzt der Ärger tief. Das Thesenpapier sei "abenteuerlich und absurd", eine "Unverschämtheit und bitter unseren Mitarbeitern gegenüber", bringt Achim Jockwig, Vorstandsvorsitzender des Klinikums Nürnberg, seinen Unmut zum Ausdruck. Manfred Wagner, medizinischer Direktor und Pandemiebeauftragter des Klinikums Fürth, spricht von einem "Schlag ins Gesicht" und fügt hinzu: "Also da staut sich bei mir schon innere Wut an, wenn ich sowas lese."


Inzidenz in Nürnberg sinkt: Öffnen bald die Biergärten?


Das Papier, um das es geht, hat längst bundesweit für Schlagzeilen gesorgt, in den sozialen Medien ist gar vom #divigate die Rede. Divi, das steht für Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin. Geschrieben hat das Thesenpapier, das gespickt ist mit Vorwürfen gegen die deutschen Kliniken, ein Forscherteam um den Arzt und Ökonomen Matthias Schrappe. Dort heißt es, die Intensivmedizin habe die Coronalage übertrieben dargestellt. Obwohl keine Überlastung des Gesundheitssystems drohte, habe man den Bürgern mit dem Szenario einer Triage Angst gemacht und so die harten Lockdown-Maßnahmen gerechtfertigt. Zu größerer Bekanntheit verhalf den Thesen ein Interview Schrappes mit der Welt.

Eine Woche ist das nun her – und mittlerweile steht fest: Einige Zahlen in dem Thesenpapier waren grob falsch. Die Autorengruppe hat manches davon bereits aktualisiert.

"Sehr wohl eine tägliche Triagesituation"

So erhob Schrappe den Vorwurf, Covid-Patienten seien absichtlich auf Intensivstationen behandelt worden. Um sein Argument zu rechtfertigen, verwies er darauf, dass Ende April 61 Prozent der Covid-Patienten auf Intensivstationen behandelt worden seien, während es in den Nachbarländern weniger waren. Stecke da etwas der Versuch "der Erlösmaximierung" dahinter?, fragte Schrappe im Interview.

Tatsächlich ist die Zahl falsch, die Kritik vom Klinikum Nürnberg zudem deutlich: "Wir wären froh gewesen, wenn nicht so viele Patienten intensivmedizinische Hilfe gebraucht hätten, da die Intensivkapazitäten für Covid-Patienten und andere Patienten, die nach einer Operation, einem Unfall, einem Herzinfarkt oder Schlaganfall einen Platz auf der Intensivstation brauchen, zeitweise sehr knapp waren."

Doch auch diese Knappheit bestreiten die Autoren in ihrem Papier - allerdings auch hier mit falschen Zahlen. So hieß es in der unkorrigierten Fassung des Thesenpapiers, dass in der ersten Welle rund 3000 Patienten intensivmedizinisch behandelt wurden, in der zweiten rund 6000. Die Gefahr überlasteter Intensivstationen hätte es nie gegeben. Doch die Darstellung der Zahlen ist falsch: Denn dabei handelt es sich nicht um die Gesamtzahl der Intensivpatienten in der jeweiligen Welle, sondern um die maximale Zahl an Covid-Patienten, die gleichzeitig an einem Tag auf Intensivstationen behandelt werden mussten.

Die Passage wurde im Papier bereits berichtigt, an der Kritik der regionalen Mediziner ändert das freilich nichts: "Wer - wie die Autoren - behauptet, die Angst vor knappen Intensivkapazitäten oder der Triage war unbegründet, hat vor allem auch in unserer Region die angespannte Lage nicht erlebt", sagt Johannes Eissing, Sprecher des Universitätsklinikums Erlangen. "Es gab Tage, an denen am Uni-Klinikum Erlangen nur ein bis zwei Intensivbetten für lebensbedrohliche Notfälle frei verfügbar waren." Zudem habe man den OP-Betrieb heruntergefahren, Operationen verschieben und Normalstationen schließen müssen, betont die Uniklinik auf Nachfrage.


Intensivbetten abgebaut? Warum das Gerücht nicht stimmt


Auch Stefan John, Leiter der Abteilung interdisziplinäre Intensivmedizin am Klinikum Nürnberg-Süd, verweist für sein Haus auf "den riesigen Berg" an verschobenen Operationen. "Dies ist vor allem für die betroffenen Patienten eine Katastrophe und stellt sehr wohl eine tägliche Triagesituation dar."

Wagner verteidigt Erhöhung der Intensivkapazitäten

Die Autorengruppe wirft den Kliniken sogar Subventionsbetrug vor. So investierte der Bund im vergangenen Frühjahr knapp eine halbe Milliarde Euro in zusätzliche Intensivbetten. Auch die Kliniken Nürnberg und Fürth erhielten damals finanzielle Unterstützung, die dort unter anderem zur Anschaffung von Beatmungsgeräten genutzt wurde.

Diese Erhöhung der Kapazitäten im Frühjahr 2020 aber nun im Nachhinein zu kritisieren, sei "einfach", verteidigt der Fürther Pandemiebeauftragte Wagner: "Wir haben im März 2020 die Leichentransporter durch Bergamo in Italien fahren sehen und jeder hatte Angst, dass das Gleiche bei uns passiert." Um auf den Fall vorbereitet zu sein, habe man in Fürth die Kapazitäten massiv erhöht. "Die schlimmsten Hochrechnungen sind bei uns dann glücklicherweise nicht eingetreten." Mit diesem Wissen im Nachhinein die Maßnahmen zu kritisieren, sei nun leicht. "Aber stellen sie sich vor, man hätte nicht reagiert und der Katastrophenfall wäre eingetreten. Das hätte uns jeder vorgeworfen", betont Wagner.