Bei Absehbarkeit, dass die Fortsetzung einer stationären Behandlung binnen zehn Tagen in Betracht komme, sei der Patient nicht zu entlassen oder zu beurlauben (hier: Fallzusammenführung i.S des Wirtschaftlichen Alternativerhaltens)

| Bundessozialgericht, vom 26.04.2022

Die bei der beklagten (KK) Versicherte wurde im Krankenhaus der Klägerin (im Folgenden: Krankenhaus) zunächst vom 5. – 11.5.2011 wegen der Abklärung von Blutabgängen zur Diagnostik und Therapie aufgenommen. Die Versicherte wurde mit der Diagnose Analkarzinom am Tag vor der interdisziplinären Tumorkonferenz des Krankenhauses entlassen und in Umsetzung des Ergebnisses der Tumorkonferenz am 19.5.2011 zur laparoskopischen Sigmoideostoma-Anlage (künstlicher Darmausgang) und (operatives Lösen von bindegeweblichen Verwachsungen, hier im Bauchraum) sowie zur Implantation eines Ports für eine anschließende Radiochemotherapie erneut är aufgenommen und am 31.5.2011 aus der stationären Behandlung entlassen. Das Krankenhaus berechnete zwei […]

Versicherte dürfen nicht entlassen werden, wenn – etwa durch eine medizinisch gebotene Diagnostik oder eine sonstige gebotene medizinische Intervention im weitesten Sinne – in einem überschaubaren Zeitraum

  1. Klarheit darüber geschaffen werden kann, ob eine Fortsetzung der stationären Behandlung medizinisch geboten ist, und
  2. ggf die Fortsetzung der Behandlung aus medizinischen Gründen auch tatsächlich erfolgen kann.

Maßgeblich dafür ist der im Zeitpunkt der Entscheidung über die Entlassung verfügbare Wissens- und Kenntnisstand der Krankenhausärzte. Insoweit gilt hinsichtlich der Fortsetzung der stationären Krankenhausbehandlung nichts anderes als hinsichtlich der Aufnahme Versicherter in die stationäre Krankenhausbehandlung. Es ist von dem im Behandlungszeitpunkt verfügbaren Wissens- und Kenntnisstand der verantwortlichen Krankenhausärzte auszugehen. Die Krankenhausärzte haben keinen Beurteilungsspielraum oder eine Einschätzungsprärogative im Sinne eines Entscheidungsfreiraums mit verminderter Kontrolldichte

Der Senat geht davon aus, dass in der Regel ein Zeitraum von zehn Tagen ab der Entscheidung über die Entlassung bis zur Fortsetzung der Behandlung noch als überschaubar anzusehen ist und damit noch das erforderliche Behandlungskontinuum wahrt […] Dies gilt allerdings dann nicht, wenn die Verzögerung auf rein organisatorischen Zwängen und Kapazitätsproblemen im Krankenhaus beruht. Das gebietet es dann, Versicherte auch über zehn Tage hinaus zu beurlauben.

Es standen nach diesen Grundsätzen anstelle der Entlassung und Wiederaufnahme der Versicherten gleich zweckmäßige und notwendige, aber wirtschaftlichere Möglichkeiten im Rahmen eines Behandlungsfalls zur Verfügung, die nur 7412,46 Euro Kosten verursacht hätten.

Das Krankenhaus hätte angesichts der bevorstehenden Tumorkonferenz die Versicherte nicht entlassen dürfen. Es war auch absehbar, dass die Fortsetzung der stationären Behandlung binnen zehn Tagen in Betracht kam. So ist es auch geschehen. Nach den Feststellungen des LSG wurde die Behandlung innerhalb von weniger als zehn Tagen, nämlich nach acht Tagen in Umsetzung der Empfehlung der Tumorkonferenz fortgesetzt. Das Krankenhaus hätte deshalb bis dahin entweder die Versicherte in der stationären Behandlung belassen oder sie beurlauben müssen. Nach dem Gesamtzusammenhang der bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) sprachen medizinische Gründe weder dagegen, die vollstationäre Behandlung der Versicherten umgehend fortzusetzen, noch dagegen, die Versicherte zwischen beiden Eingriffen für wenige Tage zu beurlauben. Jedenfalls gerechnet mit Ablauf des 12.5.2011 (Besprechungstag) war auch aus Sicht des Krankenhauses binnen sieben Tagen die stationäre Behandlung durch erneute Aufnahme der Versicherten fortzusetzen.

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