Gesundheitssystem:Geldquelle Patient

Ärzte und Kliniken verdienen weniger, wenn sie Menschen mit einfachen Mitteln heilen. Gerade Krankenhäuser in der Provinz kämpfen um ihr wirtschaftliches Überleben - mit teils fragwürdigen Mitteln.

Von Kristiana Ludwig

Das deutsche Gesundheitssystem gehört zu den besten der Welt. Wer krank ist, bekommt alles, was zur Genesung nötig ist. Die Wahrheit ist aber: Wer Pech hat, bekommt sehr viel mehr als das. Das Gesundheitswesen ist nicht nur eine Institution der Nächstenliebe, es ist auch ein Wirtschaftszweig. Hier werden Milliarden bewegt, die Folge ist ein Paradoxon: Finanziell haben Kliniken wenig davon, wenn sie Patienten gut beraten und mit einfachen Mitteln heilen. Sie profitieren stattdessen von Menschen, die sie aufwendig operieren, oder von solchen, die sie an Geräte anschließen und deren Genesung sich möglichst lange hinzieht. Das große Geld gibt es für maximalen Aufwand.

Doch das Gesundheitssystem ist kein Markt wie andere, hier geht es um das Leben von Menschen. Trotzdem wirken gerade hier ökonomische Mechanismen mit teils fatalen Folgen. Klinikmanager und Ärzte werden verleitet, in Stückzahlen zu denken. Je mehr Herzkatheter, künstliche Hüften oder Knieprothesen sie ihren Patienten verpassen, desto besser ist das für ihre Bilanz. Je länger ein Mensch an lebenserhaltende Maschinen gehängt wird, desto höher der Erlös. Die künstliche Beatmung von Schwerkranken wird absurderweise lukrativer, wenn Ärzte weniger für sie tun. Mediziner spüren den ökonomischen Druck, der auf ihren Entscheidungen lastet. Manche von ihnen profitieren auch persönlich von einer Überbehandlung der Patienten. Dass Ärzte Bonuszahlungen bekommen pro Eingriff, den sie vornehmen, ist zwar verpönt, aber nicht verboten.

Krankenhäuser sind hierarchische Orte. Wenn ein leitender Arzt immer wieder zweifelhafte Behandlungen anordnet, fällt seinen Mitarbeitern Zynismus oft leichter als Protest. Zugleich ist das Risiko, wegen einer unnötigen Operation belangt zu werden, gering. Denn obwohl die gefährlichen Anreize bekannt sind, ist die Kontrolle löchrig.

Vor dem Gesetz ist zwar jeder Eingriff, dem ein Patient nicht zugestimmt hat, schlicht Körperverletzung. Doch das Rechtssystem bringt Ärzten großes Vertrauen entgegen. Sie sind in ihrem medizinischen Urteil frei. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen überprüft keine ihrer Diagnosen, sondern lediglich die Rechnungen der Kliniken und Pflegedienste. Patienten können deshalb nur schwer beweisen, dass es auch ohne die Knieprothese gegangen wäre.

Nicht nur für Patienten, auch für Polizisten und Staatsanwälte ist das Gesundheitswesen viel zu oft eine Black Box. Das Regelwerk ist komplex, die medizinischen Fragen diffizil. Korruption findet nicht unbedingt in Form von Geldbündeln statt, oft beginnt sie mit Gefälligkeiten und Absprachen zwischen Ärzten, die schwierig nachzuweisen sind. Wenn etwa ein Orthopäde alle seine Patienten zu einem befreundeten Radiologen schickt und dieser ihm dafür Prämien zahlt, dann fällt das erst einmal niemandem auf. Wer Rückenschmerzen hat, freut sich womöglich sogar über die umfangreiche Untersuchung. Erst wenn Menschen, die hilflos in einer Klinik liegen, zum Objekt solcher Handelsbeziehungen werden, ist der Missbrauch offenkundig. Deutschland benötigt daher dringend mehr geschulte Ermittler, die das Gesundheitswesen als Tatort durchleuchten.

Die Politik muss die falschen Anreize, durch die Patienten zu Schaden kommen, abschaffen. Die Bezahlung von Ärzten und Kliniken darf sich nicht mehr nur nach der reinen Masse der Behandlungen richten. Entscheidend sollte sein, dass ein Mensch gesund wird. Wenn sich Ärzte Zeit für ein Gespräch mit Patienten und deren Familien nehmen, um mit ihnen über die Konsequenzen von Operationen, über Leben, Tod und Pflegebedürftigkeit zu sprechen, muss auch das vergolten werden.

In Krankenhäusern, die schwerstkranke Patienten über längere Zeit behandeln oder riskante Operationen anbieten, sollte eine bestimmte Ausstattung und Ausbildung der Mediziner Pflicht werden. Bislang hat der Staat die Krankenhauslandschaft weitgehend sich selbst überlassen. So kämpft jedes Provinzhospital mit teils fragwürdigen Mitteln um sein wirtschaftliches Überleben, auch auf Kosten der Patienten. Es wird Zeit für eine mutige staatliche Planung: Überzählige Häuser gehören geschlossen - zugunsten einer stärkeren Förderung spezialisierter Zentren. Weil das Gesundheitswesen eben kein privatwirtschaftlicher Markt ist, muss auch Steuergeld in die Erhaltung und den Ausbau von Kliniken fließen. Heute sind die Häuser gezwungen, das Geld, das sie im OP erwirtschaften, in die Reparatur kaputter Fenster zu stecken statt in Medizin.

Für Patienten und ihre Familien sollte es selbstverständlich und viel einfacher werden, die Meinung eines zweiten Mediziners einzuholen. Das Recht, sich für oder gegen eine Therapie zu entscheiden, gilt nicht nur für Ärzte, sondern ganz besonders für Patienten. Damit nicht das Pech darüber entscheidet, ob man behandelt oder überbehandelt wird.

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