Grobe Missstände in Klinik? Pfleger schlagen Alarm und "sind am Limit"

Die Umsätze steigen, doch im Helios Klinikum in Pasing berichten Mitarbeiter von groben Missständen. Überall würde gespart, teils sogar das Leben der Patienten riskiert.
| Paul Nöllke
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Das Helios Klinikum in Pasing: Hier protestieren heute die Mitarbeiter.
Das Helios Klinikum in Pasing: Hier protestieren heute die Mitarbeiter. © Imago/FrankHoermann

München - Kurze Zeit glaubte Peter B. (Name geändert), dass alles besser wird. Keine Schichten mehr, in denen der Pfleger ganz alleine über zu viele Patienten wachen muss, keine Nächte mehr, in denen er durch die Stationen des Klinikums läuft, um irgendwo noch Medikamente zu finden und auch keine Abende, an denen er zu Hause kaum zur Ruhe kommt, weil er sich Sorgen um seine Patienten macht.

Ein Pflegehelfer für 27 Patienten

Doch dazu kommt es nicht. "Eigentlich wurde alles sogar noch viel schlimmer", sagt B. heute. Vor über zwei Jahren war das Helios Klinikum in Pasing bereits einmal Schlagzeile in der AZ. Damals war ein Pflegehelfer nachts alleine mit 27 Patienten gewesen.

Er hatte diesen Missstand offiziell als Gefährdung angezeigt, woraufhin das städtische Gesundheitsreferat das Klinikum genauer unter die Lupe nahm und forderte, jede Station im Haus rund um die Uhr mit examinierten Pflegekräften zu besetzen. Die Geschäftsführung des Helios Klinikums ließ diese Forderung anwaltlich prüfen - und befolgte sie letztendlich nicht.

Dennoch habe sich die Situation danach kurz etwas gebessert, berichten mehrere Betroffene, mit denen die AZ gesprochen hat. Doch langfristig sei das nicht gewesen. Und dann kam die Corona-Pandemie.

Durften die Pfleger keine Masken tragen?

"Am Anfang der Pandemie wurde uns gesagt, dass wir keine Masken tragen sollten, um Patienten nicht zu beunruhigen", erzählt B., das habe die Pflegeleitung so angeordnet. Dabei sei damals klar gewesen, dass die Masken wichtig zur Bekämpfung des Virus seien, in anderen Kliniken war es längst die Norm. Auf AZ-Anfrage bestreitet Helios dies. Man habe "sehr frühzeitig" die Empfehlung zur Maske gegeben. Inzwischen stelle man FFP2-Masken für Mitarbeiter zur Verfügung.

Im April 2020 musste das Klinikum wegen Corona schließen

Im April musste das Klinikum dennoch für eine Woche schließen, da Patienten und Angestellte vermehrt Corona bekamen. Die Patienten durften das Haus über mehrere Tage nicht mehr verlassen, keinen Besuch bekommen und beklagten "Zustände wie im Gefängnis." Überrascht sei davon damals keiner gewesen, berichtet ein anderer Pfleger, der seinen Namen, wie auch B., nicht in der Zeitung lesen will.

Allgemein ist die Sorge bei Mitarbeitern groß, identifiziert zu werden. "Helios ist ein großer und mächtiger Konzern, wenn die einen auf dem Kieker haben, findet man nirgendwo mehr einen Job." Manche Geschichten von Mitarbeitern kann die AZ daher nicht schildern, weil die Sorge zu groß ist, identifizierbar zu sein und ihren Job zu verlieren.

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Schlechte Gehälter bei Helios

Ein riesiges Problem bei Helios sei das schlechte Gehalt, bemerkt ein Sprecher der Gewerkschaft Verdi. Die Kliniken zahlten unterdurchschnittlich - und bekämen so immer weniger gutausgebildete Pflegekräfte. So verdiene ein langjährig beschäftigter Pflegefachhelfer bei den Helios Kliniken München maximal 2.943,62 Euro. Im Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes bekäme er in vergleichbarer Position 3.332 Euro, also 390 Euro pro Monat mehr.

Ein Transparent bei einem Streik gegen die Helios-Gruppe.
Ein Transparent bei einem Streik gegen die Helios-Gruppe. © Stefan Sauer dpa/lmv/lno

Lohnverhandlungen mit Verdi scheiterten

Doch im letzten Jahr habe sich etwas verändert. Helios bekam mit Florian Aschbrenner einen neuen Geschäftsführer. Dieser hatte zu Beginn wohl die Bereitschaft geäußert, sich dem Tariflohn anzunähern, dieser wird zum Beispiel schon im Helios Klinikum Dachau gezahlt.

Doch daraus wurde nichts, die Verhandlungen mit Verdi scheiterten vorerst. Nun würden die Pflegekräfte, aufgrund von Inflation, jeden Monat "weniger verdienen". Zu den laufenden Gehaltsverhandlungen will sich Helios auf AZ-Anfrage nicht äußern.

Verdi beim Protest in Perlach.
Verdi beim Protest in Perlach. © Verdi

Doch woher bekommt Helios seine Pflegekräfte? Viele kommen aus dem Ausland. Der Konzern hatte in der Vergangenheit vor allem aus Osteuropa Pfleger angeworben. Inzwischen würden diese aber knapp, erzählen Helios-Klinikleiter aus anderen Teilen Deutschlands. Sogar aus Mexiko wirbt Helios inzwischen Pfleger ab.

Sprachbarrieren können Leben gefährden

Das führe teilweise zu großen Problemen im Krankenhausalltag: Peter B. erzählt von einem Fall, in dem ein Patient falsch behandelt worden war, weil der Pfleger die Worte "kalt" und "heiß" vertauscht hatte. "Manche Pfleger wissen nicht einmal, was der Patient meint, wenn er sagt, er hat Schmerzen", so B., "so etwas kann im schlimmsten Fall mal ein Leben kosten."

Helios bemühe sich sehr, ausländische Pflegekräfte auszubilden, erklärt der Sprecher der Klinik. Die Klinik gehöre zu "den engagiertesten Arbeitgebern im Bereich der Berufsanerkennung von internationalen Fachkräften". Das Klinikum Pasing sei sogar ausgezeichnet worden.

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Ein weiteres Problem, so B., sei, dass sich viele der ausländischen Pfleger nicht trauten, die Probleme bei Helios publik zu machen. "Viele haben Angst, dass sie sonst gefeuert werden und dann auch ihre Aufenthaltsgenehmigung verlieren. Diese Sorge verstehe ich natürlich." In den letzten Monaten hat sich jedoch die Situation in der Wahrnehmung vieler Beschäftigter noch einmal verschlechtert.

"Wir haben nicht mehr genug Medikamente auf den Stationen"

Ein Beispiel: "Seit ein paar Monaten haben wir nicht mehr genug Medikamente auf den Stationen", erzählt ein Pfleger. "Dann muss ich über die Stationen gehen und nach Medikamenten suchen." Das dauere manchmal über eine Stunde. "Ich verstehe nicht, wie das passieren kann, wir sind doch ein Krankenhaus!" Helios bestreitet dies: "Einschränkungen bei der Bestellung von Medikamenten gab es zu keiner Zeit", so der Sprecher.

Wenn man B. fragt, wieso er noch bei Helios arbeitet, erklärt er: "Ich hatte schon Hoffnung, dass es wieder besser wird. Wenn ich jetzt woanders hingehe, dann ändert sich für die Patienten ja auch nichts."


Protest am Klinikum

Bereits vorige Woche hatte die Gewerkschaft Verdi zu einer Protestaktion vor dem Klinikum Perlach aufgerufen. Der Grund: Helios weigert sich, den Lohn an den branchenüblichen Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) anzugleichen. Das bedeutet laut Verdi, dass Mitarbeiter sogar immer weniger verdienen, da die Inflationsrate die Lohnerhöhungen übersteigt.

Ein Beispiel: Das Gehalt eines langjährig beschäftigten Pflegefachhelfers ist bei Helios deutlich geringer als in anderen Kliniken: Er bekommt hier 2.943,62 Euro. Im TVöD wären es ganze 3.332,80. Auch eine Münchenzulage zahlt das Klinikum nicht. Für heute plant Verdi um 12 Uhr eine weitere Kundgebung vor dem Klinikum in Pasing.

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Der Helios-Konzern

Für Helios war das Corona-Jahr 2020 äußerst lukrativ: Allein in München erzielte die Gruppe laut Handelsregister einen Rekord-Jahresüberschuss von satten 17 Millionen Euro. Das gleiche Bild auch in ganz Deutschland: Der Umsatz stieg alleine im 4. Quartal des Jahres 2020 um 11 Prozent - aufs ganze Jahr gesehen stieg er um 7 Prozent auf 6,34 Milliarden Euro.

In Deutschland hat die Helios Klinikgruppe 86 Kliniken, 2016 übernahm Helios auch Spaniens größte Klinikgruppe "Quirónsalud", die 44 Kliniken betreibt. Insgesamt ist der Konzern, der zu Fresenius gehört, so einer der größten Anbieter von Krankenversorgung in Europa.

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  • Pflegefachkraft2021 am 09.11.2021 00:15 Uhr / Bewertung:

    Leider ist dies der IST-Zustand. Und nicht nur in den Kliniken Perlach-Pasing.
    Bei mir auf Arbeit haben in den letzten Monaten viele gekündigt bis Ende des Jahres kommen noch einige dazu. Und von Seiten der Leitung wird nichts unternommen. Weniger Personal gleichbleibende Belegung. Nach eineinhalb Jahren wurden 2 Stationen zusammengelegt, die sich über 2 Etagen erstrecken. Viele Mitarbeiter oft krank Mindesbesetzung nicht vorhanden, teilw. 20 Pat. Am Tagdienst zu versorgen, im Nachtdienst über 30 Patienten mit einem Pflegefachhelfer zu versorgen. Und das auf einer akut Geriatrie und Reha von einem kirchlichen Träger in der Maxvorstadt. Allgemein wurde durch die Pandemie die Situation nicht besser. Hauptsache Betten sind belegt und Geld kommt rein. Der Mitarbeiter wirkt, da als Ballast, vor allem, wenn er die Zustände anspricht.

  • FlAsch am 08.11.2021 21:55 Uhr / Bewertung:

    Lieber Peter B. bitte zieh die Konsequenzen, denn lieber ein Krankenhaus mit ordentlichen Bedingungen für Pflege, Ärzte und Patienten, als mehrere mit halbscharigen Bedingungen. So gesehen könnte die B. Stiftung Recht haben, wenn KH gestrichen werden, bleibt für die Pflege der übrigen mehr Personal. Dass das eine Milchmädchenrechnung ist, wird jedem klar der auf die Clusterbildung der Helios Kliniken schaut.
    Aktuell werden Intensivbetten in München gebraucht, hatte nicht Helios dtl. Kapazitäten vor einem Jahr aufgebaut? Jedenfalls flossen da viele Euro in die Bereitstellung von entsprechender Bettenkapazität (17 Mio. entsprächen 340 Intensivbetten). Seltsam, dass diese Betten jetzt nicht physikalisch verfügbar sind, geschweige mit Personal betrieben werden können.
    Hier war doch auch Helios ganz vorne mit dabei, oder?
    Wie auch immer, so lange die staatlichen Kontrollorgane dem Management nicht empfindlich auf die Füße treten wird sich hier nichts verbessern. Leider.

  • RuprechtNikolaus am 08.11.2021 17:44 Uhr / Bewertung:

    Gut recherchiert! Genauso ist das! Ergebnis: Und Boni für die Entscheider beim Helios Konzern - Frust und Arbeitsplatzverlust bei den Beschäftigten! Übrigens: Nicht nur in der Pflege! Genauso betroffen sind der Ärztliche Dienst, der Medizinisch-technisch Dienst und die Verwaltung! - Ein Chef-Arzt, kurz vor dem Ruhestand, sagte einmal: "Die privaten Krankenhaus-Träger werden ihrer sozialen Verantwortung gegenüber Beschäftigten und Patienten nicht mehr gerecht!" Da liegt eine ganze Menge Wahrheit drin. Übrigens: Dem "Chef" wurde zwei Jahre vor seiner Rente das Ausscheiden aus dem Unternehmen "nahe gelegt"! Er ist Nach über drei Jahrzehnten - ohne "ein Wort des Dankes" ausgeschieden! Es wäre sowieso nicht ehrlich gewesen!