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Retten oder sterben lassen?: Corona-Patienten: Erste Klinik muss „Triage“ anwenden

Hamburg/Berlin/Frankfurt/Nürnberg –

In der Corona-Pandemie spitzt sich die Lage auf den Intensivstationen zu. Während Politiker besorgte Appelle an die Bürger richten, gab in Sachsen erstmals ein Klinikchef zu, über Leben und Tod entscheiden zu müssen.

Gegenüber „t-online“ hat ein ärztlicher Direktor zum ersten Mal öffentlich erklärt, in seiner Klinik Entscheidungen über Leben und Tod treffen zu müssen. „Wir waren in den vergangenen Tagen schon mehrere Male in der Situation, dass wir entscheiden mussten, wer Sauerstoff bekommt und wer nicht“, bestätigte Dr. Mathias Mengel, ärztlicher Direktor des Klinikum Oberlausitzer Bergland gGmbH, dem Online-Portal. In seinem Krankenhaus in Zittau sei demnach schon mehrmals triagiert (frz. „ausgewählt“) worden.

Covid-Patienten in Sachsener Klinik: Erstmals Entscheidungen über Leben und Tod

Wie Mengel „t-online“ berichtete, gebe es ein kleines Team, das die Entscheidungen kurzfristig treffe. Die Patienten, die nicht versorgt werden könnten, versuche man in andere Kliniken zu verlegen. „Aber wir sind im Epizentrum, manche Häuser nehmen gar nicht mehr auf“, so Mengel. Laut „t-online“ könne nicht verlegungsfähigen Patienten teilweise nicht mehr geholfen werden. In Sachsen sind laut Robert Koch-Institut (RKI) und der Deutschen Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) aktuell 1.344 der insgesamt 1.511 Intensivbetten in Sachsens Krankenhäusern belegt.

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Auch in Nordrhein-Westfalen befürchten Politiker und Experten eine Betten-Knappheit. Zuletzt sprach Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) von „dramatischen“ Berichten von den Intensivstationen in Deutschland. Seit Oktober habe sich die Zahl der Covid-Patienten auf den Intensivstationen in NRW vervierfacht, am Samstag sei die Zahl auf über 1000 gestiegen. Es seien nur noch 15 Prozent der Intensivkapazitäten verfügbar – „mit sinkender Tendenz“. Laut RKI und DIVI sind in NRW 4.989 der 5.802 Intensivbetten belegt.

Trotz Lockdown erstmal kein Patientenrückgang auf Intensivstationen

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich beunruhigt über die Entwicklung der Corona-Infektionszahlen und die Lage auf den Intensivstationen geäußert. „Es ist nicht die Zeit für Ausnahmen“, sagte Merkel am Dienstag nach Angaben von Sitzungsteilnehmern in der Videositzung der Unionsfraktion im Bundestag nach den Entscheidungen von Bund und Ländern über einen harten Lockdown von diesem Mittwoch an. Sie wurde mit den Worten zitiert: „Wir tun uns gemeinsam nichts Gutes, wenn wir jetzt wieder nach der Ausnahme suchen. Weil wir dann noch länger im Lockdown verharren müssen.“

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Trotz dem ab Mittwoch in ganz Deutschland geltenden Lockdown rechnen die Intensivmediziner unter den Anästhesisten vorläufig nicht mit einem Rückgang der Patientenzahlen auf den Intensivstationen. Laut Professor Dr. Gernot Marx, Sprecher des „Arbeitskreises Intensivmedizin“ der „Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin“ (DGAI) und selbst Klinikdirektor in Aachen, werde es zunächst bei Spitzenwerten und Extrembelastung bleiben.

Intensivmediziner: „Extreme Belastungen“ und täglich neue Spitzenwerte

Zwar sei die Erleichterung über den erneuten Lockdown und bundeseinheitliche Regeln bei Marx und seinen Kollegen groß, wie der Intensivmediziner im Interview mit der deutschen Presseagentur sagte. Dennoch werden die Effekte erst frühestens in zwei Wochen spürbar sein. „In den nächsten Tagen und wahrscheinlich auch Wochen werden wir erst mal einen weiteren Anstieg der Patientenzahlen auf den Intensivstationen haben, auf weit über 5000“, erklärte der Klinikdirektor. „Die Entwicklungen sind insgesamt aber ungewiss.“

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Momentan erreiche man täglich neue Spitzenwerte und müsse mit „extremen Belastungen“ umgehen. „Das kann auf diesem Level nicht mehr endlos weitergehen, auch nicht mit dem zusätzlichen Personal, das wir in unserer Klinik zum Beispiel aus den Reihen der Medizinstudenten jetzt wieder einsetzen“, erklärte Marx. Die Belastungen seien regional unterschiedlich – am stärksten betroffen seien Krankenhäuser in Berlin, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Bayern.

Virologin warnt vor „schrittweisem Kollaps“ des Gesundheitssystems

Laut dem DIVI-Intensivregister sind in ganz Deutschland momentan 20.754 von 24.445 Intensivbetten belegt, 10.925 Betten stehen zudem als Notfallreserve bereit und könnten innerhalb von sieben Tagen aufgestellt werden. Laut Marx werde man diese Reserve möglicherweise im weiteren Verlauf der Pandemie antasten müssen.

In Hamburg gibt es 313 dieser Reservebetten. Momentan sind in dem Bundesland 501 von 580 Intensivbetten belegt, 93 davon mit Covid-Patienten (Stand 16.12.). Insgesamt werden momentan 459 Covid-Patienten in den Hamburger Krankenhäusern behandelt.

Auf der Bundespressekonferenz vor Beginn des erneuten Lockdowns am Mittwoch nannte die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek es „zynisch“ anzunehmen, dass die Lage in Ordnung sei, wenn es noch freie Betten in den Intensivstationen gebe. Das verkenne die Lage der Sterbenden und Schwerkranken. Wenn es so weitergehe wie bisher, gebe es zudem einen „schrittweisen Kollaps des Gesundheitssystems“. (prei/dpa)
 

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