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Wie Sachsens Kliniken Behandlungsfehler vermeiden wollen

Hunderte Male geht jedes Jahr in Krankenhäusern in Sachsen etwas schief. Auch Patienten können etwas tun, damit es gar nicht erst so weit kommt.

Von Sylvia Miskowiec
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Richtiger Patient, richtige Seite? Bevor die OP beginnt, werden wichtige Dinge noch einmal durchgecheckt.
Richtiger Patient, richtige Seite? Bevor die OP beginnt, werden wichtige Dinge noch einmal durchgecheckt. © 123rf

Die Narkose zu hoch dosiert, bei der OP etwas übersehen, das falsche Medikament verabreicht – auch Ärzten und Pflegepersonal passieren Fehler. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen weist in Sachsen 667 Behandlungsfehler für 2021 aus, das vergangene Jahr ist noch nicht ausgewertet. Hinzu kommen Fehler, die Patienten der Gutachterstelle der Landesärztekammer melden. Es gibt aber auch eine hohe Dunkelziffer.

„Meistens liegen Fehler nicht an der Fachlichkeit des Personals, sondern in der Organisation, im Prozess selbst“, sagt Ruth Hecker, Vorstandsvorsitzende des Aktionsbündnisses Patientensicherheit. „Es gilt, diese Fehler zu analysieren und die beeinflussenden Faktoren abzustellen, damit sie sich nicht wiederholen.“ Es werde sehr viel getan, damit Patienten sicher versorgt sind – was aber die Mitwirkung von allen Beteiligten erfordere. Neben der Einhaltung strenger Hygienevorschriften bringen unter anderem die folgenden Maßnahmen mehr Sicherheit in den Klinikalltag:

Ausführliche Aufklärung

Bevor überhaupt behandelt wird, muss aufgeklärt werden. Darauf hat jeder laut Patientenrechtegesetz einen Anspruch – und zwar auf ein Gespräch mit dem Arzt selbst, nicht nur mit nichtärztlichem Personal wie Pflegekräfte, betont der AOK-Bundesverband. Das Aufklärungsgespräch ist Voraussetzung dafür, dass Patienten selbstbestimmt über die Behandlung entscheiden und in entsprechende Schritte einwilligen können. Ohne Zustimmung stelle eine Heilbehandlung eine strafbewehrte Körperverletzung und einen Behandlungsfehler dar, der die Haftung des Arztes auf Schadenersatz aus unerlaubter Handlung begründen könne, so der AOK-Bundesverband. „In einem Aufklärungsgespräch ist es wichtig, dem Patienten mögliche Komplikationen verständlich zu erläutern und seine Fragen zu beantworten“, sagt Maria Eberlein-Gonska Leiterin des Qualitäts- und Medizinischen Risikomanagements der Uniklinik Dresden. „Von außen ist es nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich, ob es sich um einen Behandlungsfehler oder eine Komplikation handelt. Ein Arzt muss da im Vorfeld sorgfältig informieren.“

Checkliste und Auszeit

Schon auf Station werden vor OPs wichtige Anforderungen geprüft. In der Dresdner Uniklinik zum Beispiel muss eine Checkliste abgearbeitet werden, unter anderem über die Anästhesie- und OP-Aufklärung und die Markierung der zu operierenden Seite. „Diese Liste begleitet in digitaler Form den Patienten in den OP-Saal, wo an der Schleuse die Vollständigkeit geprüft wird. Im OP-Saal checken die Operateure in einem sogenannten Time-out unmittelbar vor dem Hautschnitt nochmals wichtige Parameter zur Patientensicherheit“, erklärt Eberlein-Gonska. „Jeder Prüfschritt wird in der Patientenakte dokumentiert und durch das Qualitätsmanagement monatlich ausgewertet. Werden die von uns festgelegten Referenzwerte nicht erfüllt, erbitten wir eine Ursachenanalyse.“

Verpflichtendes Reanimationstraining

Um im Ernstfall sofort adäquat handeln zu können, absolvieren Mitarbeitende mit Patientenkontakt regelmäßige Reanimationstrainings, an der Dresdner Uniklinik etwa jedes Jahr.

Raum des Schreckens

Die Bremse am Bett ist gelöst, der Blasenkatheter liegt ausgepackt am offenen Fenster, daneben ein Medikament ohne Beschriftung – ein als „Room of horrors“ auserkorenes Patientenzimmer ist für Schulungen mit Fehlern gespickt, die in Behandlungen, Pflege und Therapien passieren können. Für Medizinstudenten der TU Dresden und das medizinische Personal sei solch ein Schreckenskabinett bestes Übungsgelände, um den Blick für Schwachstellen zu sensibilisieren, sagt Ärztin Anne Röhle, die Horrorraum-Schulungen durchführt, und konstatiert: „Viele Augen sehen fast alles. Während einzelne Personen etwa 50 Prozent der Fehler entdecken, schneiden vor allem Gruppen, die sich aus mehreren Fachbereichen zusammensetzen, viel besser ab. Das zeigt, wie wichtig eine gute Zusammenarbeit des medizinischen Personals ist – und die trainieren wir hier gleich mit.“

Sag's noch mal

Viele Fehler passieren auch in der Kommunikation. Ärzte und Pflegekräfte geben sich deshalb in der Regel Rückversicherungen, wiederholen Ansagen. Das Ganze ist vergleichbar mit einer telefonischen Bestellung beim Pizzadienst. Im Krankenhaus gibt es dann nur keine Pizza Margherita mit doppelt Käse, sondern Ansagen wie „Bitte drei Milliliter des Mittels xy aufziehen“ und Antworten wie „Ich ziehe drei Milliliter des Mittels xy auf.“

Der aktive Patient

Auch die Patienten selbst spielten eine wichtige Rolle, wenn es um die Vermeidung von Behandlungsfehlern geht, sagt Dr. Ruth Hecker vom Aktionsbündnis Patientensicherheit und ermutigt: „Wann immer eine Unsicherheit auftaucht, eine Frage im Raum steht oder etwas Ungewöhnliches auffällt, dann sollten Patienten dies direkt ansprechen.“ Dabei gehe es nicht um die Abgabe von Verantwortung der Mediziner an Patienten, sondern um zusätzliche Sicherheit nach dem Mehraugenprinzip.

Pläne für ein Register

Geht es nach den Wünschen vieler Mediziner, so soll die Zukunft transparenter werden. Konkret heißt das: Fehler aus jedem Versorgungsbereich sollen in einem zentralen, nationalen Register ohne Namensnennung dokumentiert werden. Laut einer Umfrage des Marburger Bundes zum Thema Fehlermanagement in Sachsen wünschen sich 90 Prozent der Befragten eine solche anonyme Anlaufstelle. Stefan Gronemeyer, Vorstandsvorsitzender des Medizinischen Dienstes Bund, sieht das ähnlich und betont: „Ziel dabei ist es, aus diesen Fehlern zu lernen und Präventionsmaßnahmen abzuleiten. Wem es gelingt, systematische Fehlerquellen zu identifizieren und zu eliminieren, kann eine Wiederholung dieser Fehler verhindern.“

Wenn's schiefgegangen ist

Wer einen Verdacht auf einen Behandlungsfehler hat, der kann sich an die Gutachterstelle der Landesärztekammer Sachsen wenden. Die gesetzlichen Krankenkassen helfen ebenfalls, vorausgesetzt, der Schaden ist im Rahmen einer Kassenleistung entstanden. Bei einem begründeten Verdacht kann die Krankenkasse ein für Patienten kostenfreies Gutachten beim Medizinischen Dienst in Auftrag geben.

Ebenso kostenfrei ist die Unabhängige Patientenberatung. Wichtig ist, dass belegt werden kann, dass ein Fehler passiert ist, aus dem der erlittene Schaden resultiert. Daher sollten Beweise gesichert und notiert werden, wer alles an der Behandlung beteiligt war und welche Mitpatienten Zeugen sein könnten, rät die Stiftung Warentest. Wer rechtsschutzversichert ist, sollte zudem seinen Versicherer informieren. Achtung: Behandlungsfehler verjähren nach drei Jahren, wenn zwischenzeitlich keine rechtlichen Schritte eingeleitet wurden.

Anlaufstellen:

  • Gutachterstelle für Arzthaftungsfragen der Landesärztekammer Sachsen, Schützenhöhe 16, 01099 Dresden, Tel.: 0351-8267-133, www.slaek.de
  • Unabhängige Patientenberatung Deutschland, Tel.: 0800-011-7722, www.patientenberatung.de