Eine wahrlich denkwürdige Sitzung hatte der Reutlinger Kreistag am Montag in Zeiten von Corona erlebt: Weil im großen Sitzungssaal die Kreistagsmitglieder gewöhnlich sehr eng beieinander sitzen und die Ansteckungsgefahr in geschlossenen Räumen deutlich höher ist als im Freien, wurde die Sitzung kurzerhand an die frische Luft verlegt. Und zwar auf den Parkplatz hinter dem Landratsamtsgebäude. Der Grund, warum die Sitzung nicht einfach verschoben wurde: Der Vertrag mit der Geschäftsführung der Reutlinger Kliniken endet Ende April. „Ein drohendes Führungsvakuum darf nicht entstehen“, sagte Reumann.
Um die Entscheidung vorwegzunehmen: Die Kreistagsmitglieder haben sich mit großer Mehrheit (bei vier Nein-Stimmen und sechs Enthaltungen) für einen Managementvertrag mit der Regionalen Kliniken Holding (RKH) Ludwigsburg ausgesprochen. Medizinischer Geschäftsführer in Reutlingen wird Prof. Jörg Martin, der auch der Gesamtleiter der RKH ist (wir berichteten). Er wird laut Vertrag mindestens einmal wöchentlich vor Ort in Reutlingen sein. Dominic Nusser übernimmt die betriebswirtschaftliche Geschäftsführung. Während der Kreistags-Open-Air-Sitzung stellten sich beide vor – und auch das Konzept, mit dem sie die Reutlinger Kliniken aus dem Defizit herausholen wollen. Als gelernter Anästhesist, der dann ins Management wechselte, führte Martin aus: „Wir haben die Klinik in Karlsruhe mit einem sehr hohen Defizit übernommen, jetzt schreiben wir dort mit rund einer Million Gewinn mehr als eine schwarze Null.“
Als neuer medizinischer Leiter gab Jörg Martin eine „erste Einschätzung“ über die Situation an den drei Kliniken im Landkreis Reutlingen ab: Die Personalquote sei mit 75 Prozent zu hoch und müsse auf 60 bis 65 Prozent gesenkt werden. Die Auslastung der Kliniken liege bei 75 Prozent, das Ziel müsse aber 80 bis 90 Prozent heißen. Und die Kliniken müssten um 1,5 bis zwei Prozent wachsen. Dazu soll etwa eine Neuroradiologie aufgebaut werden, „denn die Reutlinger Klinik hat die Zulassung dafür“. Angestrebt werde damit, „die komplette Versorgung für Schlaganfallpatienten“ anzubieten. Obendrein soll eine „Telemedizinplattform“ entwickelt werden, Notarztstandorte gebe es hingegen „sehr viele“ – stattdessen denkt der Professor an eine „kleine Maximalversorgung“. Der Klinikstandort Münsingen sei unverzichtbar, dort gehe es um „weitere Spezialisierung“. In Bad Urach hingegen denke Martin an ein Gesundheitszentrum.

Kritik von Rebmann

Genau das bemängelte aber Bad Urachs Bürgermeister Elmar Rebmann (SPD): Er habe sich zwar für die RKH-Lösung ausgesprochen, könne aber die angedachte Entwicklung für die Ermstalklinik nicht mittragen. Ebenfalls negativ bewertete Thomas Ziegler (Linke), dass die Klinik in Bad Urach „ausgebeint“ werden soll. Seinen Worten nach würden weite Teile des Angebots aus der Ermstalklinik nach Reutlingen und Münsingen verlagert, was bleibe: Ein Facharztzentrum mit Notfallpraxis und Kurzzeitpflege. Die Albklinik in Münsingen würde „leicht aufgewertet“, aber die Geburtshilfe und das Akutkrankenhaus verlieren, so der Linken-Politiker. Seine größte Sorge: „Die Verflechtungen mit der RKH werden sich nach drei Jahren nicht mehr aufheben lassen.“ Thomas Zieglers Fazit: „Es gibt kein Gutes im Bösen.“ Landrat Reumann reagierte sauer: Ziegler stelle „einen Mythos der Skandalisierung in den Raum, das ist nicht redlich“.
Nusser versprach als neuer betriebswirtschaftlicher Chef der Reutlinger Kliniken, dass es trotz der „überdurchschnittlichen Personalquote“, so Reumann, „keine betriebsbedingten Entlassungen geben wird“.
Der Job im Krankenhaus müsse wesentlich attraktiver werden, die Mitarbeitersuche sei eine große Herausforderung, so Dominic Nusser vor den Kreisräten. „Wir planen einen nachhaltigen Erlös“, so der neue Manager. Ob angesichts von Corona der straffe Zeitrahmen einzuhalten ist, dass bis zum Ende des Jahres die Bestandsaufnahme an den Reutlinger Kliniken abgeschlossen sein kann? „Eventuell müssen wir die Bewertung nach hinten verschieben“, so Jörg Martin.

Linke, AfD, Grüne dagegen

Nahezu alle Fraktionen bewerteten den Managementvertrag mit der RKH positiv, bis auf die Linken, die AfD und die Grünen. Letztere stimmten dennoch mit Ausnahme von Rainer Buck und Susanne Häcker mit Bauchgrimmen zu. Dr. Rolf Hägele (FWV) etwa betonte: „Ich halte den Vertrag für ein faires Abkommen.“ Die Synergieeffekte seien so gestaltet, „dass wir aus dem Vertrag auch wieder raus können“. Florian Weller (CDU) betonte: „Wir haben eine geeignete und leistungsfähige kommunal verankerte Lösung gefunden.“
Mike Münzing (SPD) führte aus: „Die Reutlinger Kliniken sind als kleines Haus in ihren Chancen und Möglichkeiten begrenzt.“ „Nach wie vor lautet unser Ziel: eine Klinik an drei Standorten“, so Münzing. Hagen Kluck (FDP) betonte: „Wir stimmen dem Vertrag zu, wenn das auch nur die zweitbeste Lösung ist.“ Die allerbeste wäre nach seinem Dafürhalten gewesen, der „komplette Zutritt zur Holding“.
Ingo Uwe Reetzke (AfD) meinte zwar, dass „die Kliniken personalmäßig an der Untergrenze sind“, seine Fraktion zeigte sich aber gespalten, ob sie für oder gegen den Vertrag stimmen sollte. Dementsprechend stimmten sie dafür. Oder dagegen.