L 6 KR 61/16

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 16 KR 442/12
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 KR 61/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert beträgt 9.746,80 EUR.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über den Vergütungsanspruch der Klägerin für eine stationäre Behandlung einer Versicherten der Beklagten.

Die Klägerin ist ein Plankrankenhaus, in dem vom 23. Januar bis zum 26. März 2008 die damals 71-jährige Versicherte zu Aufnahme-Nr ... stationär behandelt wurde. Sie wurde dort mit dem Rettungswagen eingeliefert, nachdem am Vorabend eine halbseitige Lähmung eingetreten war. Gleichzeitig wurde vermerkt, dass die Patientin seit etwa 14 Tagen unter zunehmender Atemnot, einem reduzierten Allgemeinzustand und Übelkeit mit wiederholtem Erbrechen litt. Nachdem sich die Lähmungssymptome schon in der Notaufnahme zurückgebildet hatten, wurde die Patientin zur weiteren Beobachtung in die neurologische Intensivstation aufgenommen und nach drei Tagen auf eine internistische Station verlegt. Im Zuge der weiteren Diagnostik stellte sich im Februar 2008 das Vorliegen eines Non-Hodgkin-Lymphoms heraus.

Darüber stellte die Klägerin der Beklagten eine Rechnung vom 30. April 2008 über 31.656,09 EUR einschließlich Zuschlägen. Dabei ging sie von der Hauptdiagnose nach ICD-10 C83.3 – Non-Hodgkin-Lymphom: Großzellig (diffus) – als Hauptdiagnose aus und gelangte so zur DRG R61B.

Die Beklagte ließ die Rechnung durch den Medizinischen Dienst des Bundeseisenbahnvermögens überprüfen, nach dessen Ergebnis die stationäre Aufnahme wegen einer Hemiparese links und unter der Diagnose einer transitorisch-ischämischen Attacke erfolgt sei. Als Hauptdiagnose nach der ICD-10 sei nach den Deutschen Kodierrichtlinien D002f folglich G45.99 – zerebrale transitorische Ischämie, nicht näher bezeichnet: Verlauf der Rückbildung nicht näher bezeichnet – zu verschlüsseln.

Dies führe – so die Anhörung der Klägerin durch die Beklagte – zur DRG B69C und zu einem verminderten Vergütungsanspruch.

In einer abschließenden Stellungnahme vom 23. Januar 2012 ergänzte der Medizinische Dienst des Bundeseisenbahnvermögens, der von ihm benannte Aufnahmegrund gehe aus allen ihm vorliegenden Berichten hervor. Erst nach dem Abklingen der neurologischen Symptomatik sei wegen aufgetretener Dyspnoe weitere Diagnostik erfolgt, die – nach drei Behandlungstagen – zur Verlegung in die Innere Abteilung geführt habe.

Mit Schreiben vom 16. August 2012 teilte die Beklagte der Klägerin die Verrechnung von 9.746,80 EUR mit einer nach Grund und Höhe nicht strittigen Vergütungsforderung aus der Behandlung (Aufnahme-Nr ...) einer anderen Versicherten der Beklagten mit.

Mit der am 14. Dezember 2012 beim Sozialgericht Halle eingegangenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, das Non-Hodgkin-Lymphom stelle die Hauptdiagnose dar, weil es der Grund für die Symptomatik zum Zeitpunkt der Aufnahme gewesen sei.

Die Beklagte hat unter erneuter ärztlicher Beteiligung vorgetragen, es habe zumindest die Verdachtsdiagnose einer transitorisch-ischämischen Attacke vorgelegen, deren Symptomatik bis zu ihrer Behebung allein behandelt worden sei. Sie sei nach D008b der Deutschen Kodierrichtlinien als Hauptdiagnose zu kodieren. Hintergrund könne auch eine gleichzeitig vorliegende Hypoglykämie sein.

Das Sozialgericht hat ein Gutachten der Sachverständigen Dr. B., Fachärztin für Innere Medizin und Geriatrie, vom 30. April 2016 eingeholt, wegen dessen Inhalt im Einzelnen auf Bl. 76 – 84 d. A. verwiesen wird. Die Sachverständige hat im Wesentlichen die Beurteilung abgegeben, als Hauptdiagnose sei das Non-Hodgkin-Lymphom zu kodieren. Dieses habe den gesamten Krankenhausaufenthalt hauptsächlich veranlasst. Schon zum Zeitpunkt der Aufnahme hätten Symptome – z. B. eine Dyspnoe – vorgelegen, die dem Non-Hodgkin-Lymphom zuzuordnen seien. Die Aufnahme sei wegen seit einer Woche zunehmender Verschlechterung des Allgemeinzustandes, geringer Nahrungsaufnahme und der neu aufgetretenen Hemiparese erfolgt. Die beiden erstgenannten könnten bei einem Non-Hodgkin-Lymphom auftreten.

Die Beklagte hat dazu ausgeführt, Symptome des Non-Hodgkin-Lymphoms hätten schon bei der Aufnahme vorgelegen, aber nicht die Aufnahme in stationäre Behandlung veranlasst.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 22. September 2016 die Beklagte zur Zahlung und Verzinsung des Klagebetrags verurteilt. Es hat zur Begründung ausgeführt, der Vergütungsanspruch habe auch in Höhe des Kürzungsbetrages bestanden. Das Non-Hodgkin-Lymphom sei die Hauptdiagnose im Sinne von Abschnitt D002f der Allgemeinen Kodierrichtlinien. Es habe den stationären Krankenhausaufenthalt der Versicherten hauptsächlich veranlasst. Nach dem Kenntnisstand am Ende der Behandlung habe es die Aufnahme erforderlich gemacht. Bei der Versicherten hätten schon bei Aufnahme u. a. eine länger bestehende Ruhedyspnoe und ein Pleuraerguss vorgelegen, die durch das Non-Hodgkin-Lymphom verursacht worden seien. Insoweit sei der Einschätzung der Sachverständigen zu folgen.

Mit der am 20. Oktober 2016 eingelegten Berufung macht die Beklagte geltend, zwar seien vor der Aufnahme in das Krankenhaus schon vorliegend Symptome wie Verschlechterung des Allgemeinzustandes, Unwohlsein, Übelkeit und Nahrungsverweigerung teilweise auf das Non-Hodgkin-Lymphom zurückzuführen. Die Aufnahme hätten aber nicht diese Symptome, sondern die akut eingetretenen Lähmungserscheinungen und Taubheitsgefühle links veranlasst. Die Beklagte bezieht sich zudem auf ein Gutachten des MDK Sachsen-Anhalt, Dr. P., vom 19. November 2018, wegen dessen Inhalt im Einzelnen auf Bl. 166 – 175 d. A. Bezug genommen wird. Er hat im Wesentlichen die Auffassung vertreten, am Aufnahmetag hätten keine eindeutigen Symptome vorgelegen, die auf das Vorliegen einer malignen Lymphomerkrankung hindeuteten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 22. September 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Nach ihrer Auffassung verkennt die Beklagte, dass die Bestimmung der Hauptdiagnose im Sinne der Deutschen Kodierrichtlinien "nach Analyse" zu erfolgen hat. In Betracht zu ziehen sei auch der Fall zweier konkurrierender Hauptdiagnosen, wobei sich im Hinblick auf den Ressourcenverbrauch nichts anderes ergebe. Jedenfalls sei die Hypoglykämie der Versicherten bei Aufnahme nicht nur mögliche Ursache der Ischämiezeichen, sondern zugleich Folge der Absetzung des Insulins. Diese habe die Versicherte selbständig vorgenommen, nachdem sich ihr Allgemeinzustand über längere Zeit verschlechtert hatte. Dies ergebe sich schon aus dem Einweisungsschein des Arztes, der den Rettungswagen angefordert habe.

In der mündlichen Verhandlung haben die Verwaltungsakte der Beklagten zu Vers.-Nr ... und die Patientenakte zu Fall-Nr ... vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Berufung hat keinen Erfolg.

Der unstrittige Vergütungsanspruch aus einem anderen Behandlungsfall, gegen den die Beklagte nach § 387 des Bürgerlichen Gesetzbuches die Aufrechnung erklärt hat, ist in der geltend gemachten Höhe nicht erloschen. Denn der Beklagten stand der geltend gemachte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch nicht zu. Sie hatte nämlich nicht ohne rechtlichen Grund in der Höhe der Aufrechnung (weitere) Zahlungen auf den hier umstrittenen Behandlungsfall geleistet. Auf diese Zahlungen hatte die Klägerin Anspruch.

Dieser Vergütungsanspruch der Klägerin entstand dem Grunde nach durch die im Sinne von § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V erforderliche stationäre Versorgung des Versicherten in ihrem zugelassenen Krankenhaus. Ihrer Höhe nach bemisst sich die Vergütung nach vertraglichen Fallpauschalen auf gesetzlicher Grundlage. Dies ergibt sich aus § 109 Abs. 4 S. 3 SGB V (in der Fassung vom 23. April 2002, BGBl. I S. 1412) in Verbindung mit § 7 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG – in der Fassung vom 15. Dezember 2004, BGBl. I S. 3429) und § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (in der Fassung vom 26. März 2007, BGBl. I S. 378). Näheres regeln die Vertragsparteien auf Bundesebene nach § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 3 KHEntgG durch einen Fallpauschalenkatalog und Abrechnungsbestimmungen in Fallpauschalenvereinbarungen. Die danach zu ermittelnde DRG-Position bestimmt sich u.a. nach der ICD-10 in der jeweiligen Fassung des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information – hier für das Jahr 2008 (ICD-10 GM 2008) – und den von den Vertragsparteien auf Bundesebene vereinbarten Deutschen Kodierrichtlinien für dieses Jahr.

Zu Recht hat die Klägerin ihre Vergütung nach der DRG R61B abgerechnet, die aus der Hauptdiagnose eines Non-Hodgkin-Lymphoms - ICD-10 C83.3 - folgt. Denn dieses Krankheitsbild war im Sinne von Abschnitt D002f der Deutschen Kodierrichtlinien, Version 2008, nach Analyse für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes "verantwortlich". Die Klägerin hat nämlich auf der Grundlage von Symptomen, die schon bei der Aufnahme der Patientin aufgefallen waren, (auch) eine notwendige Diagnostik und Behandlung vorgenommen, die sich aus der objektiven Sicht im Nachhinein – nach Analyse – auf das Non-Hodgkin-Lymphom bezogen haben. Diese objektive Sicht ist maßgeblich (BSG, Urt. v. 5.7.2016 – B 1 KR 40/15 R – Juris, Leitsatz 2 und Rn. 17).

Für die objektivierte Sicht, welche Diagnose für die Veranlassung "verantwortlich" war, kommt es auf die Motive, die konkret zur Aufnahme geführt haben, nicht an. Ebenso wenig spielt es eine Rolle, dass es mit der transitorisch-ischämischen Attacke eine zweite Diagnose gibt, die nach dem Vorhandensein zum Zeitpunkt der Aufnahme als Hauptdiagnose in Betracht käme. Denn diese Diagnose hat die Klägerin im Hinblick auf ihren bedeutend niedrigeren Ressourcenverbrauch zu Recht hinter der Diagnose des Non-Hodgkin-Lymphoms zurücktreten lassen, wie die Sachverständige überzeugend bestätigt.

Bei der Patientin bestand auch außerhalb der transitorisch-ischämischen Attacke bei der Aufnahme in stationäre Behandlung bei der Klägerin eine entsprechende Behandlungsbedürftigkeit. So lag eine vermerkte, seit einiger Zeit zunehmende Atemnot vor. Diese ist nach der Patientenakte schon am Aufnahmetag mit der Gabe von Sauerstoff behandelt worden. Die Atemnot war nach der insoweit nicht ärztlich angegriffenen, nachvollziehbaren Einschätzung der Sachverständigen zumindest auch Symptom eines Pleuraergusses, der ebenfalls bereits am Aufnahmetag durch eine Röntgenaufnahme des Thorax diagnostiziert worden ist. Diesen schätzt die Sachverständige seinerseits als Ausdruck des Non-Hodgkin-Lymphoms ein. Dieser ärztlichen Beurteilung folgt der Senat. Im Übrigen änderte es am Ergebnis auch nichts, wenn – wie Dr. P. meint – der Ursachenzusammenhang zwischen dem Pleuraerguss und dem malignen Lymphom letztlich nicht zu sichern ist. Es ist jedenfalls die Klärungsbedürftigkeit der bestehenden Atemnot gewesen, die die Ärzte der Klägerin schon während des Aufenthaltes auf der neurologischen Station an eine karzinöse Ursache denken und diese unter konsiliarischer Einschaltung einer Internistin abklären ließen. Eben solche Klärungsvorgänge sind es, die Abschnitt D002f der Deutschen Kodierrichtlinie einer Analyse aus dem Nachhinein unterwirft. Dass das Lymphom bereits bei der Aufnahme vorgelegen hat, hat die Beklagte nachvollziehbar zugestanden und ergibt sich aus dem Gutachten der Sachverständigen.

Die Behauptung von Dr. P., die neben der neurologischen Symptomatik bestehenden Befunde hätten am 23. Januar 2008 noch nicht zur stationären Aufnahme geführt, ist zum Ausschluss einer Hauptdiagnose nicht entscheidend. Sie betrifft aus der Sicht im Nachhinein allenfalls die subjektive Sichtweise des einweisenden und notärztlich tätig werdenden ärztlichen Personals. Dabei lässt sie außer Acht, dass sich diese Personen über mögliche weitere Aufnahmegründe in stationäre Behandlung schon keine Gedanken machen werden, wenn eine akut auftretende Symptomatik allein jedenfalls die Verbringung in stationäre Behandlung erzwingt. Objektive Behandlungsbedürftigkeit im Krankenhaus der Klägerin bestand nach dem Inhalt der Patientenakte und den stimmigen Schlussfolgerungen der Sachverständigen auch für die Symptome außerhalb des neurologischen Gebietes von Anfang an, zumal sich die Halbseitensymptomatik schon in der Notaufnahme zurückgebildet hatte, wie sich aus der Patientenakte ergibt. Die anderen klärungsbedürftigen, letztlich zur Diagnose des Non-Hodgkin-Lymphoms führenden Symptome haben die Verweildauer des stationären Aufenthalts entscheidend beeinflusst, ohne dass die Beklagte insoweit Bedenken vorgetragen hätte, was angesichts der zu Tage getretenen Krankheitsbilder auch fernliegend erscheint.

Der Zinsanspruch folgt aus der Budget- und Entgeltvereinbarung für das Jahr 2008 und beginnt mit dem Tag der Aufrechnungserklärung gegenüber der Klägerin als Ausdruck der unterbleibenden Zahlung auf den unstrittigen und fälligen Leistungsfall.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nach § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG nicht vor, weil die Entscheidung auf tatsächlicher Würdigung vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts beruht, die der Senat teilt.

Der Streitwert folgt nach § 47 Abs. 1 S. 1 des Gerichtskostengesetzes dem Antrag der Beklagten, ihre Verurteilung zu der entsprechenden Zahlung aufzuheben.
Rechtskraft
Aus
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