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Ist das Krankenhaus Weißwasser in Gefahr?

Die Klinik ist im sächsischen Krankenhausplan verankert, Weißwasser sogar Modellregion. Doch es gibt Probleme.

Von Sabine Larbig
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Symbolbild © Joachim Rehle

Weißwasser. Es gab viel Diskussionsstoff, als im Dezember 2021 die Geburtenstation wegen Personalmangel durch Krankheit und Urlaub über den Jahreswechsel geschlossen wurde. Im März 2021 wurde die Schließung der Kinderstation mit 15 Betten bekannt gegeben. Kinder und Jugendliche werden seither in Weißwasser nicht mehr stationär versorgt. Dafür stehen Umlandkliniken bereit. Die ambulante kinderärztliche Versorgung wird über das Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) und eine Behandlung lebensbedrohlicher Notfälle über Rettungsstelle/Notfallaufnahme am Kreiskrankenhaus, abgesichert. Normalerweise. Denn aktuell ist am Kreiskrankenhaus Weißwasser, mit Ausnahme der Akutbehandlung lebensbedrohlicher Notfälle, keine kinderärztliche Versorgung möglich.

Sind aktuell Geburten möglich?

Nein. Das ist die neue Hiobsbotschaft. Ab sofort und bis auf Widerruf können auch Geburten/Entbindungen in Weißwasser nicht stattfinden. Grund ist, dass durch Weggang und plötzliche schwere Erkrankung der Fachärzte nur noch Assistenzärzte einsetzbar sind, die nicht eigenständig arbeiten dürfen. „Wir bitten werdende Mütter und Familien mit erkrankten Kindern um Verständnis für die eingetretene und nicht vorhersehbare Notlage. Wir wissen, dass sie nun weite Wege in umliegende Krankenhäuser oder zu Kinderärzten der Region auf sich nehmen müssen und versuchen alles, den personellen Engpass so schnell als möglich zu beseitigen, um die Versorgung vor Ort wieder zu gewährleisten“, appelliert Klinikmanager Steffen Thiele an die Bevölkerung.
Es ist kein guter Zeitpunkt für die Bekanntgabe der Leistungseinschränkung, da die Menschen durch die Ereignisse der letzten Monate bereits aufgebracht sind, wie Diskussionen in sozialen Netzwerken zeigen. Auch für die Klinikleitung kommt der neuerliche Engpass äußerst ungünstig. Immerhin soll der Bereich Kinderheilkunde und Geburtshilfe umstrukturiert werden. Das verlangt auch Verständnis und Vertrauen der Bürger in die Einrichtung. Mit Ereignissen wie den aktuellen wird der „schwierige und steinige Weg“, wie es Thiele bezeichnet, noch beschwerlicher.

Bleibt die Kinderklinik dauerhaft zu?

1975 wurde die neue Klinik in Weißwasser eröffnet. Seit 2013 ist das Kreiskrankenhaus, das jährlich allein rund 10.000 Patienten stationär versorgt, Teil des Klinikverbundes „Gesundheitszentrum des Kreises Görlitz“. Viel Geld wurde in Modernisierung und A
1975 wurde die neue Klinik in Weißwasser eröffnet. Seit 2013 ist das Kreiskrankenhaus, das jährlich allein rund 10.000 Patienten stationär versorgt, Teil des Klinikverbundes „Gesundheitszentrum des Kreises Görlitz“. Viel Geld wurde in Modernisierung und A © Joachim Rehle

Ja. Die Patientenzahl sank auf das Rekordminus von knapp 600 stationär behandelten Kindern und Jugendlichen im Jahr 2020. Eine kritische Situation angesichts der Tatsache, dass selbst bei Nichtbelegung der Station rund um die Uhr alle Strukturen, Pflegepersonal und zwei Ärzte vorzuhalten sind. Folge: Die geschlossene Station wird künftig anderweitig genutzt. „Wir rationalisieren die Kinderheilkunde nicht weg, sondern schaffen Strukturen für die Zukunft“, umschreibt Steffen Thiele den Umwandlungsprozess, bei dem Krankenkassen und Freistaat einbezogen sind. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass alle Beteiligten daran interessiert sind, dass auch perspektivisch weiterhin eine kinderärztliche Erreichbarkeit möglich sein soll.

Wie steht es um die Zukunft der Klinik?

Vom Vorhalten des Klinikstandorts ist auszugehen. Wegen der Krankenhausplanung des Freistaates, des Auftrags der Einrichtung, die Regelversorgung der Bevölkerung abzusichern und weil in den letzten Jahren viel Geld in die Schaffung einer Palliativstation, in Intensivstation und Notfallaufnahme investiert wurde.
Umso mehr freut es Geschäftsführer Steffen Thiele, dass Weißwasser, neben Marienberg, Ende 2017 durch das Gemeinsame Landesgremium zur sächsischen Modellregion „mit Entwicklungs- und Handlungsbedarf“ bestimmt wurde. Dadurch werden in den Krankenhäusern der beiden völlig gegensätzlichen Modellregionen nun Maßnahmen erprobt, die medizinische Versorgung unter Einbeziehung von Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten mit Blick bis 2030 zukunftsfähig machen und perspektivisch auch in anderen Regionen angewandt werden sollen. Der Modellfall-Status ist für Weißwasser zudem insofern ein wichtiger Aspekt, da die Fallzahlentwicklung nach Patientenwohnort bis 2020 im Landkreis Görlitz noch bei plus 2,9 lag, in 2030 mit minus 0,5 gerechnet wird.

In Weißwasser ist der Prozess der Aufteilung der Versorgung auf ambulante und stationäre Bereiche mit der Umwandlung der Kinderheilkunde bereits angelaufen.

Was bedeutet Modellprojekt praktisch?

Gesetzlich ist es so geregelt, dass Kliniken Geld für Personal sowie Investitionen in Infrastruktur und Medizintechnik durch ihre Leistungen erwirtschaften müssen. Staat und Krankenkassen zahlen dafür unterschiedliche Zuschüsse. Sie richten sich nach Art der medizinischen Eingriffe, Bettenbelegung und Krankheitsbildern, ob Patienten Kinder oder Erwachsene sind. „Das ist die Krux, um die sich alles dreht. Geld kommt nur durch medizinische Leistungen. Bei sinkender Bevölkerungszahl sinken aber auch die Patientenzahlen und die wirtschaftliche Basis wird somit fragiler“, erklärt der Klinikmanager, der schon 2019 ein negatives Jahresergebnis in Weißwasser hatte. Nun, mit dem Modellprojekt und damit verbundenen, deutschlandweit einmaligen, Regelungen ist vorerst für zwei Jahre wirtschaftliche Stabilität erreicht, können Lösungen ausprobiert werden, die dauerhaft leistbare und bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung garantieren.

Patientenzahlen, Personalmangel, Leistungsbezahlung sind Probleme, weshalb die Klinik nun in einem Modellprojekt ist. Begleitet wird es auch von Regionalkoordinator Markus Cording und Jana-Cordelia Petzold, Referentin für Sozialmarketing.
Patientenzahlen, Personalmangel, Leistungsbezahlung sind Probleme, weshalb die Klinik nun in einem Modellprojekt ist. Begleitet wird es auch von Regionalkoordinator Markus Cording und Jana-Cordelia Petzold, Referentin für Sozialmarketing. © Joachim Rehle

Wie geht es in Weißwasser nun weiter?

Fest steht bereits, dass im Krankenhaus künftig keine Früh- und Risikogeburten mehr möglich sind. Auch, weil es 2020 gerade 15 solcher Fälle gab.
Zudem befindet sich die Klinik als Ganzes in Umprofilierung zum Gesundheitscampus, bei dem ambulante und stationäre Behandlungen stärker verknüpft werden. Dafür sind Ärzte auf den Stationen, in Klinikambulanz und angegliedertem MVZ angestellt. Während die Ärzte von der Vergütung und Sicherheit, ohne eigene Praxen führen zu müssen, profitieren, sind für Klinik und Patienten kurze Wege durch enge und fachübergreifende Zusammenarbeit sowie gemeinsame Nutzung und Auslastung vorhandener Medizintechnik vorteilhaft. Parallel können in der gesamten Klinikstruktur neue Finanzierungs- und Abrechnungsmodelle, weg von der Leistungsbezahlung, sowie veränderte Arbeitswelten mit mehr Freizeit für medizinisches Personal erprobt werden. „Die Schließung der Kinderklinik war ein erster, wenn auch unpopulärer, Schritt in der Transformation. Doch leere Betten sind nur eine Zwischenphase und bieten Chancen zur Entwicklung und Weiterentwicklung“, unterstreicht Steffen Thiele.

Woher kommt das nötige Personal?

Nach Erhebungen des Deutschen Krankenhaus Institutes hatten Anfang 2016 rund 60 Prozent deutscher Krankenhäuser Probleme, offene Stellen im ärztlichen Dienst zu besetzen. Weißwasser ist also keine Ausnahme. Aber: Fachkräftegewinnung im ländlichen und von Strukturwandel betroffenem Raum ist noch schwieriger als in Ballungszentren. „Wir müssen Fachpersonal begeistern, hier zu leben und zu arbeiten, die Vorteile des Lebens im ländlichen Raum rüberbringen. Nur letztlich entscheidet jeder selbst“, so Thiele.

Dies weiß auch Laura Halw, Personalratsvorsitzende der Klinik in Weißwasser. Sie sagt, nicht die Klinik, sondern der Pflegeberuf allgemein, sei unattraktiv. „Ich war selbst an einigen größeren Häusern und kam zurück, weil es hier familiär ist, Vollzeitstellen unbefristet sind, es betriebliche Altersvorsorge, viel Urlaub, Weiterbildungen und die Möglichkeit individueller Arbeitszeiten gibt. Auch beim Lohntarif jammern wir auf hohem Niveau.“ Dass Personalmangel und Fluktuation nicht am Geld oder der Klinik selbst liegen, meint auch der Klinikmanager, der zudem stolz aufs Ausbildungsniveau der Weißwasseraner Klinik ist. „Seit Jahren kommen die besten Pflegeschüler im Kreis von hier.“

Ist Ärzteausbildung vor Ort denkbar?

Mittelfristig hofft man dauerhaft auf ausreichend Mediziner. Vorausgesetzt, die Klinik wird als akademisches Lehrkrankenhaus der Uni Dresden anerkannt. Beantragt wurde es Ende 2019. „Wir sind auf dem Weg dahin, dachten aber nicht, dass sich der Prozess so hinzieht“, äußert Markus Cording, Regionalkoordinator medizinische Versorgung Region Weißwasser. Man habe „unsäglichen Optimismus“, dass es klappe, da man auch in der Landeshauptstadt Dresden wisse, dass Weißwasser die Studenten und späteren Mediziner für Inneres, Chirurgie, Unfallchirurgie dringend benötige. „Es gibt viele, die sich hinter den Kulissen Gedanken für und um den Klinikerhalt machen“, so Cording.

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