Wie sieht eine moderne Ausbildung in Gesundheitsfachberufen aus?

Eine Hebamme berät eine schwangere Frau.
Bild: Colourbox

FAU und Uni-Klinikum Erlangen gestalten die Zukunft der Ausbildung für eine moderne Gesundheitsversorgung

Die Ausbildung in den Gesundheitsfachberufen in Deutschland steht vor einem tiefgreifenden Wandel: Egal ob in der Hebammenausbildung, Ergo- und Physiotherapie oder Logopädie – für eine moderne Gesundheitsversorgung führt an der Akademisierung kein Weg vorbei.

Warum dieser Schritt nicht nur sinnvoll, sondern längst überfällig ist, welche Chancen und Herausforderungen damit verbunden sind und wie die FAU in der Akademisierung von Gesundheitsfachberufen Akzente setzt, erklären Prof. Dr. Christoph Ostgathe, Studiendekan der Medizinischen Fakultät, und Prof. Dr. Matthias W. Beckmann, Direktor der Frauenklinik und Leiter des Studiengangs Hebammenwissenschaft, gemeinsam mit Studiengangkoordinatorin Sonja Sponsel.

Warum ist eine Akademisierung der Gesundheitsfachberufe in Deutschland wichtig und sinnvoll?

Prof. Dr. Christoph Ostgathe spricht sich zusammen mit den anderen Lehrstuhlinhabern für Palliativmedizin gegen den ärztlich assistierten Suizid aus. (Bild: Uni-Klinikum Erlangen)
Prof. Dr. Christoph Ostgathe. (Bild: Uni-Klinikum Erlangen)

Prof. Dr. Christoph Ostgathe: Dieser Schritt ist nicht nur wichtig und sinnvoll, es führt schlichtweg kein Weg daran vorbei. Deutschland hinkt in dieser Hinsicht anderen Ländern um Jahre hinterher. Wir brauchen aber die Akademisierung, wenn wir eine stärker wissenschaftsbasierte Gesundheitsversorgung und damit mehr Qualität und Sicherheit der Patientinnen und Patienten wollen. Das gilt für die Pflege genauso wie für die Begleitung einer Geburt oder eine logopädische Behandlung.

Damit einher geht ein hoher Bedarf an gut ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wir alle wissen um den dramatischen Fachkräftemangel in allen Gesundheitsfachberufen. Die Akademisierung hilft, die Berufsfelder attraktiver zu machen, das haben andere Länder bereits gezeigt. Die Studentinnen und Studenten profitieren von weitreichenden akademischen Perspektiven von der Promotion bis zur Habilitation.

An der FAU und am Universitätsklinikum Erlangen wurde bereits zum Wintersemester 2021/22 der bayernweit erste universitäre Bachelorstudiengang Hebammenwissenschaft eingerichtet. Was hat den Ausschlag hierzu gegeben?

Prof. Dr. Matthias W. Beckmann: Ich kann mich meinem Kollegen nur anschließen. Im Grunde setzen wir im Übrigen schlicht und einfach europäisches Recht und eine europäische Gesamtstrategie um.

Mit Blick auf die Hebammenausbildung kam uns zugute, dass das Hebammenreformgesetz ohnehin zwingend voraussetzt, Hebammen künftig in einem dualen Studium auf ihren Beruf vorzubereiten. Dadurch gab es den politischen Druck, diesen Studiengang einzurichten. Das kam uns sehr zugute, um die Ausbildung vergleichsweise schnell akademisieren zu können, was ein Gewinn für alle ist.

Wir profitieren dabei von einer engen Kooperation mit der Universitätsmedizin Tübingen, die in Deutschland den Studiengang Hebammenwissenschaft als erste an einer Universität etabliert hat.

Fest steht: In den vergangenen Jahrzehnten haben sich Anforderungen deutlich verändert. Deshalb ist ein weitgefächertes Wissen für Hebammen und Entbindungspfleger von enormer Bedeutung.

Worin liegen im Vergleich zur bisherigen Ausbildung die grundlegenden Unterschiede?

Prof. Dr. Matthias W. Beckmann: Das Studium ist sehr anwendungsorientiert und bietet im Vergleich zur Ausbildung eine deutlich größere Zahl an Praxisanleitungsstunden. Damit wird die qualifizierte fachliche Begleitung mehr in den Fokus gerückt.

Außerdem findet die „Examensgeburt“ künftig in unserem Skills Lab statt. Hier wird eine Geburt simuliert und alle Studierenden haben für ihre Prüfung damit die gleichen Rahmenbedingungen. Das war bislang unmöglich, da jede Geburt natürlich anders verläuft.

Im Skills Lab können die angehenden Hebammen und Entbindungspfleger an Puppen zudem jeden Handgriff und jede Notsituation trainieren, bevor sie gut vorbereitet in die Praxis gehen. Die akademische Lehre an der FAU und die praktische Ausbildung bei uns an der Frauenklinik als zentrale Praxiseinrichtung sind dabei detailliert aufeinander abgestimmt.

Wie sind die Erfahrungen mit diesem Wechsel in der Ausbildung bis dato?

Portrait von Sonja Sponsel.
Sonja Sponsel (Bild: Alessa Sailer/Uni-Klinikum Erlangen)

Sonja Sponsel: Bislang gelingt es uns sehr gut, den Übergang zu gestalten. Immerhin haben wir neben den Studentinnen und Studenten auch noch den letzten Jahrgang Hebammenschülerinnen, der seine Ausbildung beendet. Uns ist der Austausch untereinander sehr wichtig. Was wir bereits feststellen konnten ist, dass das Studium die Attraktivität der Ausbildung nochmal deutlich gesteigert und diese aufgewertet hat. Entsprechende Rückmeldungen bekommen wir sehr häufig. Außerdem haben wir sehr wenige Abgänge nach der Probezeit.

Prof. Dr. Matthias W. Beckmann: Aus fachlicher Sicht wird der große Unterschied sein, dass sich mit der Akademisierung der Hebammenausbildung das Fachgebiet strukturell verändert. Geburten werden in verschiedene Risikoklassen eingeteilt. Die Vision ist, dass die niedrigen Risikoklassen von Hebammen begleitet werden und die höheren Risikoklassen von Ärztinnen und Ärzten und Hebammen gemeinsam. Und das in einer Wand-zu-Wand-Lösung, damit die maximale Sicherheit jeder Risikoklasse geboten werden kann.

Welche Herausforderungen und Probleme sind im Praxisalltag mit der Akademisierung von Gesundheitsfachberufen verbunden?

Matthias W. Beckmann
Prof. Dr. Matthias W. Beckmann, Direktor der Frauenklinik und Leiter des Studiengangs Hebammenwissenschaft. (Bild: Foto Glasow)

Prof. Dr. Matthias W. Beckmann: Wir brauchen eigentlich akademisch ausgebildetes Personal, das die Studentinnen und Studenten in der theoretischen Ausbildung betreut. Doch das ist nicht vorhanden. Dieses Nadelöhr gibt es in allen Bereichen.

Hinzu kommen die fehlenden Räumlichkeiten. Darüber hinaus haben wir derzeit eine Ungleichheit im Studium, dass in einer Vorlesung eine Studierende, die in ihrem Studium eine monatliche Vergütung bekommt, neben einem Medizinstudenten sitzt, der dafür aber keinen Cent erhält. Diese gefühlte Ungleichheit wird sich mit zunehmender Akademisierung der Gesundheitsfachberufe an Zahl noch verstärken. Hier muss eine grundsätzliche politische Entscheidung getroffen werden, wie dieses zukünftig zu handhaben ist.

Welche Möglichkeiten und Ideen gibt es, um diesen Herausforderungen in Zukunft besser begegnen zu können?

Prof. Dr. Christoph Ostgathe: Eine Überlegung ist es, erfahrene Hebammen aus der Klinik sowie freiberuflich Tätige entsprechend für die Lehre und Praxisanleitung akademisch nachzuqualifizieren. Wir haben viele gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, denen wir das unbedingt ermöglichen sollten. Mit Blick auf das Auflösen der Ungerechtigkeit in puncto Bezahlung gibt es wohl nur zwei Optionen: Entweder bekommt niemand mehr etwas oder alle bekommen eine Art Bafög-Höchstsatz.

Wie soll die Akademisierung von Gesundheitsfachberufen in Erlangen weiter vorangetrieben werden?

Prof. Dr. Christoph Ostgathe: Wir sind bereits mitten in der Akademisierung weiterer Gesundheitsfachberufe. Die Logopädie ist vor mehr als 10 Jahren über eine Modellklausel in die Akademisierung gestartet. Ergo- und Physiotherapie stehen quasi bereits in den Startlöchern.

Zudem sind wir an der Konzeption eines berufsbegleitenden, interdisziplinären Masterstudiengangs, angelehnt an die Facharztausbildung. In einem so genannten „Common Trunk“ werden für alle – egal ob Hebamme oder Physiotherapeut – gemeinsam Grundlagen vermittelt, danach folgt die jeweilige Spezialisierung.

Ich bin überzeugt, dass es ein echtes Plus für Qualität in der medizinischen Versorgung ist, wenn angehende Ärztinnen und Ärzte, Hebammen und Entbindungspfleger, Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten, etc. bereits in der Ausbildung lernen, vernetzt zu arbeiten.

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