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Interview mit Klinik-Aufsichtsrat Peter Jung „Profitable Kliniken sind kein Teufelswerk“

In Berlin schreiben städtische Kliniken schwarze Zahlen, in Bremen nicht. Im Interview erklärt der Berliner Klinik-Aufsichtsrat Peter Jung, was in der Hauptstadt anders läuft.
29.09.2019, 17:25 Uhr
Lesedauer: 5 Min
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„Profitable Kliniken sind kein Teufelswerk“
Von Jürgen Theiner
Herr Jung, Sie sind Aufseher großer Berliner Kliniken, die sich in öffentlicher Trägerschaft befinden und trotzdem schwarze Zahlen schreiben, anders als der Bremer Krankenhausverbund Gesundheit Nord (Geno). Was machen Sie in Berlin besser – oder zumindest anders?

Peter Jung: Zunächst muss man sagen, dass Gesundheit für die Berliner Politik einen sehr hohen Stellenwert hat. Das lässt sich auch an Details ablesen, etwa daran, dass der Regierende Bürgermeister Aufsichtsratschef der Charité ist. Was zusätzlich hilft: Die Hauptstadt wächst, Patienten ziehen zu. In Berlin haben zudem alle Beteiligten verstanden, dass eine gute Gesundheitsversorgung auch profitabel sein kann. Dazu gehören der Wille der Politik, des Managements, des Aufsichtsrates und der Arbeitnehmer, einen ständigen Prozess der Optimierung zuzulassen.

Das klingt recht allgemein. Nennen Sie uns konkrete Beispiele für erfolgreiche Veränderungen, die in Berlin auf den Weg gebracht wurden.

Da gab es einen ganzen Strauß von Maßnahmen, die uns nach harten Sanierungsjahren wieder auf Kurs gebracht haben. Da war zum einen die Bereitschaft der Arbeitnehmer, auf Lohnzuwächse zu verzichten. Dafür ist ihnen noch heute zu danken. Außerdem wurden einfachere Tätigkeiten ausgelagert und nicht mehr zu den Tarifen des öffentlichen Dienstes bezahlt.

Klingt, als hätten überwiegend die Beschäftigten die Zeche bezahlt.

Nein, aber sie haben einen wichtigen Beitrag geleistet. Wir haben intern große Kostentransparenz geschaffen, so dass jede Einheit heute weiß, wo sie steht. Wir haben außerdem Erträge außerhalb des Budgets erhöht, indem wir mehr Umsatz mit ausländischen Patienten und auf Komfortstationen erwirtschaftet haben. Natürlich wurde da vereinzelt kritisiert: Ihr macht ja nur was für die Reichen! Aber mit diesen Erträgen konnten wir intern andere Bereiche mit zusätzlichen Mitteln ausstatten, die sonst nicht zur Verfügung gestanden hätten. Und natürlich: Wir haben die richtigen Leute für das Management geholt. Da muss man einfach gut aufgestellt sein.

Es gibt bundesweite Trends in der Krankenhauswirtschaft, die den Kliniken zu schaffen machen. Das Marktwachstum im stationären Bereich scheint beendet, der Trend geht zu mehr ambulanten Behandlungen. Bei der Geno beklagt man, diese würden von den Kassen zu schlecht vergütet. Stimmt das so, oder können Kliniken den Trend zur Ambulantisierung auch erfolgreich gestalten?

Grundsätzlich trifft es zu, dass Kliniken mit ihren heutigen Strukturen ambulante Leistungen nicht kostendeckend vergütet bekommen. Aber das geht allen Krankenhäusern so. Und es gibt weitere Faktoren, die zu rückläufigen Ergebnissen führen. So hat zum Beispiel das neue Gesetz zur Regelung von Personaluntergrenzen für viele Kliniken sehr negative Folgen. Wenn diese Untergrenzen nicht eingehalten werden, wird das finanziell bestraft. Manche Häuser haben reagiert, indem sie einfach Stationen schließen und auf den Umsatz verzichten. Aber das war sicher nicht so gedacht.

Kommt da noch mehr?

Für die Geno kann es 2020 noch schlimmer kommen! Mit dem neuen Gesetz zur gesonderten Vergütung der Pflege wird nur noch die Pflege durch voll ausgebildetes Personal honoriert. Die Arbeit von Hilfspflegern, also für einfache Tätigkeiten, wird dann von den Kassen nicht mehr bezahlt. Für den Berliner Vivantes-Konzern wird das einen zweistelligen Millionenbetrag an nicht gedeckten Kosten bedeuten.

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Gibt es für die Geno Einnahmequellen, die noch nicht erschlossen sind? Bisher hat der Bremer Verbund kaum Angebote für Entlasspatienten, die anschließend Kurzzeitpflege und Reha brauchen.

Ja, Vivantes beispielsweise bietet alles aus einer Hand: stationäre Versorgung, Reha, ambulante Dienste, Nahversorgung in Zusammenarbeit mit medizinischen Versorgungszentren, Foren für Senioren, Stationen für Auslandspatienten. Das ist ein großer Vorteil.

Hat Bremen vielleicht schlicht zu viele Krankenhäuser? Neben den vier Kliniken der Gesundheit Nord gibt es ja noch die gleiche Zahl von Häusern in freigemeinnütziger Trägerschaft.

Auch das ist kein Bremen-Problem. In Deutschland haben wir zu viele Krankenhäuser. Aber welcher Politiker unterstützt die Reduzierung von Betten oder gar die Schließung eines Hauses in seinem Stadtteil? Da werden Sie kaum jemanden finden. Eher machen die dagegen mobil und haken sich mit interessierten Chefärzten unter. Es muss allerdings neue Strukturen geben. Digitalisierung und Ambulantisierung werden sich durchsetzen. Dazu gibt es von der Uni Bayreuth gute Konzepte, die sich auch die Verantwortlichen in Bremen anschauen sollten, wenn sie das noch nicht getan haben.

Was ist Kern dieser Ideen?

Die Vorstellung ist, sogenannte intersektorale Versorgungszentren zu gründen. Das sind Krankenhausstandorte, deren stationärer Bereich stark abgespeckt wurde, während der ambulante Bereich über das normale Leistungsspektrum hinausgeht. Solche Häuser wären in Verbünden größeren Kliniken zugeordnet. Der Vorteil derartiger Modelle ist nicht zuletzt, dass auf die komplette Schließung bisheriger Krankenhausstandorte verzichtet werden kann.

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Welche Impulse müssten von der politischen Führung in Bremen ausgehen?

Zunächst mal braucht es das Verständnis, dass profitable Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft kein Teufelswerk sind. Die Politik muss das Management und den Aufsichtsrat auch bei unpopulären Maßnahmen unterstützen, also etwa bei Stationsschließungen. Ohne Rückendeckung durch die Politik könnte auch das tatkräftigste Management nichts bewirken.

Was kann die Geschäftsführung eines Klinikverbundes wie der Geno tun, um die Arbeitnehmer von der Notwendigkeit des Wandels zu überzeugen?

Die Beschäftigten der Geno wissen doch auch, dass es so nicht weitergehen kann. Und sie wissen, dass der sicherste Arbeitsplatz in einer Unternehmung ist, die Geld verdient.

In der Krankenhauswirtschaft tummeln sich viele Berater, die für Klinikleitungen und politische Entscheider Gutachten zur Umstrukturierung schreiben. Auch die Geno hat mit der Firma WMC schon solche Consulting-Firmen beschäftigt. Braucht man die wirklich? Es gibt Kritiker, die sagen: Wir haben bei der Geno kein Erkenntnis-, sondern ein Entscheidungsproblem.

Man kann die Beraterbranche nicht über einen Kamm scheren. Da gibt es welche, die schreiben für teures Geld standardisierte Konzepte, drücken sie dem Klinikmanagement in die Hand und sagen: Viel Glück damit! Andere engagieren sich individueller und begleiten die anstehenden Prozesse mit. Aber grundsätzlich würde ich sagen: Ein Klinikverbund wie die Geno verfügt über genügend eigene Expertise, um eine Vorstellung davon zu entwickeln, wie tragfähige Strukturen in der Zukunft aussehen können.

Das Gespräch führte Jürgen Theiner.

Info

Zur Person

Peter Jung (61)

ist Mitglied des Aufsichtsrates des kommunalen Berliner Klinikverbundes Vivantes und des Universitätsklinikums Charité. Der Bremer war bis 2009 Vorstandsvorsitzender des Fruchtgroßhändlers Atlanta.

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