1. Startseite
  2. Rhein-Main

Spitze bei Covid-Erkrankten noch nicht erreicht

KommentareDrucken

NRW_Klinik_dpa_2_051120
Schutzausrüstung gibt es genug, auch Kapazitäten an Intensivbetten lassen sich erweitern. Der Engpass ist das Personal. © Fabian Strauch/dpa

Um den Personalmangel aufzufangen, verschieben die ersten Krankenhäuser wieder planbare Eingriffe. Und bleiben auf den Kosten sitzen.

Im Ballungsraum ist die Lage besonders angespannt: Nach Angaben des Sozialministeriums wurden bis vergangenen Freitag bereits 16 Patientinnen und Patienten aus dem Rhein-Main-Gebiet nach Nordhessen verlegt. „Derzeit besteht noch kein Engpass. Allerdings ist bereits jetzt klar, dass die Verfügbarkeit von Intensivpflegepersonal der limitierende Faktor für den weiteren Ausbau der Kapazität sein wird“, sagt Sprecherin Yvonne Wagner auf Anfrage. „Die Lage ist momentan noch beherrschbar“, meint Steffen Gramminger, Geschäftsführer der Hessischen Krankenhausgesellschaft.

„Auf den Normalstationen in Hessen liegen wir schon deutlich über dem Spitzenwert von April“, sagt Susanne Johna. Die Internistin arbeitet am Sankt-Josefs-Hospital in Rüdesheim und ist erste Vorsitzende des Marburger Bundes Bundesverbands. Auf den Intensivstationen sei es noch nicht so weit. Doch die Belastung steige jeden Tag, sagt Johna. Immer wieder komme es vor, dass hessische Kliniken sich mangels Kapazitäten für eine gewisse Zeit von der intensivmedizinischen Versorgung abmelden. Der Grund sei nicht allein Corona. „Die anderen Krankheiten machen ja auch keine Pause.“ Erst zwei Wochen nach dem neuen Lockdown werde sich das Ausmaß der zweiten Welle tatsächlich zeigen: „Die Spitze der Belegungen ist noch lange nicht erreicht.“

Der entscheidende Unterschied zum Frühjahr: Die Personaldecke in den Kliniken ist dünner. Das liegt nicht allein an der kalten Jahreszeit, in der generell mehr Menschen krank sind. Wer Erkältungssymptome hat, bleibt in Corona-Zeiten erst recht zu Hause. Wie überall sind auch viele Beschäftigte des Gesundheitswesens in Quarantäne oder haben sich gar infiziert.

In Darmstadt 24 Mitarbeitende infiziert

Am Klinikum Darmstadt sind aktuell 24 Mitarbeitende infiziert – von insgesamt 3350. Hinzu kommen 60 Menschen, die als Kontaktpersonen in Quarantäne sind. Weitere 150 Kräfte arbeiten unter Auflagen, obwohl sie Kontaktpersonen des Grades 1b sind – also nicht positiv und ohne Symptome, wie Kliniksprecherin Eva Bredow-Cordier mitteilte. „Sie müssten zu Hause bleiben, wenn sie nicht im Krankenhaus arbeiten würden.“ Weil sie systemrelevant seien, dürften sie aber ohne Patientenkontakt oder nur in Schutzausrüstung in Abstimmung mit dem Gesundheitsamt tätig bleiben.

Die Ansteckung findet laut dem Frankfurter Uniklinik-Chef Jürgen Graf dabei fast immer im Privatbereich statt. Bei der Arbeit sind die Beschäftigten gut geschützt – auch das ist ein Unterschied zum Frühjahr, als Masken, Anzüge und Handschuhe knapp waren. „Schutzausrüstung ist zurzeit kein Problem“, bestätigt der Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft.

Das Anlegen von Schutzkleidung kostet allerdings mehr Zeit, sagt Georg Schulze, der bei Verdi Hessen den Fachbereich Gesundheit leitet. Er hat sich bei Kolleg:innen in der Pflege umgehört. Alle sagten, dass die Mehrheit der aufgenommenen Erkrankten mit Corona infiziert sind oder Verdachtsfälle seien. Damit steige der Arbeitsaufwand – und das bei knappem Personal. „Da kommt es zum Teil zu erschreckenden Verhältnissen“, hat Schulze gehört. Eine oder zwei Pflegekräfte für 17 Covid-Patienten sei keineswegs ein Einzelfall. „Das Problem gibt es relativ häufig.“ Manchen Notaufnahmen fehle die Zeit, zu desinfizieren. „Die Intensivstationen laufen nach und nach voll“, sagt Schulze. „Elektive Eingriffe müssen abgesagt werden.“ Doch anders als im Frühjahr verweigert die Bundespolitik den Kliniken bislang eine Entschädigung für das Freihalten von Betten. Die Folge: „Gerade die nach wirtschaftlichen Kriterien arbeitenden Häuser arbeiten normal weiter.“

Planbare Eingriffe verschoben

Nach Kenntnissen der Krankenhausgesellschaft gibt es schon Kliniken, die planbare Eingriffe verschieben, um Personal dort einzusetzen, wo es am dringendsten benötigt wird. „Durch Krankheitsausfälle und Quarantänemaßnahmen ist die Personallage zusätzlich angespannt“, bestätigt Geschäftsführer Gramminger. Auch er fordert die Ausgleichszahlungen durch den Bund. „Erlösausfälle bleiben momentan bei den Kliniken hängen.“

Die Forderung des Präsidenten der Landesärztekammer, Edgar Pinkowski, geht ebenfalls nach Berlin. Das Bundesgesundheitsministerium müsse die Personaluntergrenzen in Krankenhäusern wieder aussetzen. „In dieser Situation ist die Verordnung von Pflegepersonaluntergrenzen, in der die Mindestbesetzung vollständig wieder eingeführt und auf weitere Fachabteilungen ausgeweitet wird, der falsche Weg.“ Er unterstütze hier ausdrücklich Hessens Sozialminister Kai Klose (Grüne) und den Klinikverbund Hessen. Pinkowski warnt: Experten rechneten für die kommenden Wochen mit einem weiteren Anstieg von Covid-Patient:innen auf den Intensivstationen. Die exponentielle Verbreitung des Virus betreffe auch die Beschäftigten im Gesundheitswesen. „Aus diesem Grund müssen Kliniken ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter flexibel einsetzen können.“ Nur dann reichten die Intensivkapazitäten.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Landtag, Christiane Böhm, unterstützt die Forderung der Kliniken nach Ausgleichzahlungen: „Solange keine Vorhaltekosten übernommen werden, sind die Kliniken gezwungen, ihre Intensivstationen weiter möglichst umfassend auszulasten.“ Sollte der Bund sich weigern, müsse das Land die Kosten übernehmen.

„Die Lösung der Kostenproblematik muss auf Bundesebene erfolgen“, kontert das Sozialministerium. Die Beratungen des „Planungsstab stationär“ gehe den hessischen Weg eines „gestuften und regional angepassten Vorgehens“. Dieser Stufenplan sehe auch die Verschiebung elektiver Eingriffe vor. „Zunächst nicht landesweit, sondern je nach Notwendigkeit in den einzelnen Versorgungsgebieten.“

Auch interessant

Kommentare