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Buchauszug „So krank ist das Krankenhaus“: Wir haben in Deutschland viel zu viele Krankenhäuser
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Krankenpfleger schiebt aeltere Patientin im Rollstuhl model released Copyright xMEVx ALLMVPC77082
imago/allOver-MEV Prof. Dr. Werner: "Das deutsche Gesundheitswesen ist teuer, marode und ineffizient."

Prof. Dr. Jochen A. Werner legt den Finger in die Wunde und zeigt auf, wo unser Gesundheitssystem krankt. Er berichtet vom Pflegenotstand, Politikversagen und verpassten Chancen der Digitalisierung. Ein Auszug aus seinem Buch „So krank ist das Krankenhaus“.

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Wir haben in Deutschland viel zu viele Krankenhäuser, wie schon 2019 eine Studie der Bertelsmann Stiftung nachgewiesen hat. Laut Statistischem Bundesamt gibt es in Deutschland insgesamt 1903 Krankenhäuser, davon sind viele kleine und kleinste Einrichtungen mit maximal 200 Betten.

Das deutsche Gesundheitswesen ist teuer, marode und ineffizient. Zahlreiche Kliniken stehen vor der Pleite. Laut Deutscher Krankenhausgesellschaft wären für den Erhalt des Bestands mehr als sechs Milliarden Euro erforderlich.

Wir werden kleine und leistungsschwache Krankenhäuser schließen, fusionieren oder in Gesundheitszentren umstrukturieren müssen. Ich bin davon überzeugt, dass am Ende dieses Prozesses das Smart Hospital in einem Verbund digitalisierter, leistungsstarker Kliniken seine Stärken optimal ausspielen kann.

Dass mittel- und langfristig mindestens ein Drittel der Häuser geschlossen, zusammengelegt oder umstrukturiert werden müsste, ist unter Expert*innen unstrittig. Bisher ohne nennenswerte Folgen.

Zwar gab es ab Mitte der 1990er-Jahre bis 2012 eine Reduzierung von gut 2400 auf 2017 Krankenhäuser und damit einhergehend eine Verringerung der Bettenzahl von 665.000 auf rund 500.000 – in den letzten zehn Jahren ist dieser Trend allerdings quasi zum Erliegen gekommen.

Krankenhausschließung ist politischer Selbstmord

Ich halte es leider nicht für ausgeschlossen, dass die Gelder der Krankenkassen-Beitragszahler*innen bundespolitisch noch sehr lange in die falsche Richtung umgeleitet werden, können defizitäre Krankenhäuser durch die Unterstützung der Kommunen fast endlos künstlich am Leben gehalten werden.

Dies alles aber bedeutet letzten Endes eine Quersubventionierung anachronistischer Strukturen, das weitere Aufschieben von ungelösten Problemen und damit einen Raubbau an der Zukunft. Es steht also zu befürchten, dass dies noch länger so bleibt.

Das liegt vor allem daran, dass jeder Versuch der Strukturveränderung vor Ort im Grunde politischen Selbstmord bedeutet. Welcher Landrat oder welche Landrätin will denn ernsthaft für die Schließung des Kreiskrankenhauses vor Ort mit seinen 150 Betten werben, mag es auch noch so schwer sein, Ärzt*innen und Pflegekräfte dafür zu finden?

Partikularinteressen werden hier immer einer vernünftigen Lösung entgegenstehen, weil nur bis zum eigenen Kirchturm gedacht wird. Aktuell ist die Krankenhausplanung und damit die Entscheidung über Schließungen Landeshoheit.

Gesundheitspolitik und vor allem die Bedarfsplanung bei Krankenhäusern darf aber nicht länger Lokalpolitik sein. Notwendig ist ein bundespolitischer oder zumindest landespolitischer Masterplan, ohne persönliche Betroffenheit von einer übergeordneten Leitwarte, nach rein sachlichen Kriterien gesteuert.

Die zentralisierte Steuerung ist die Grundvoraussetzung dafür, häufig vorhandene Über- und Unterversorgung von Regionen zu nivellieren und die Qualität der medizinischen Versorgung bundesweit hoch und bezahlbar zu halten.

Über Prof. Dr. Jochen A. Werner:

Prof. Dr. Jochen A. Werner, Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Essen, Mitglied der Leopoldina, treibt seit 2015 die Transformation zum Smart Hospital voran. Zuvor war er Direktor der Marburger Universitäts-HNO-Klinik, anschließend Ärztlicher Geschäftsführer der Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH. Werner nutzt die Digitalisierung, um die Gesundheitsversorgung besser, leistungsfähig, finanzierbar und menschlicher zu machen.

Wir brauchen eine Institution zur Marktregulierung

Vielleicht brauchen wir auch, in Anlehnung an die Bundesnetzagentur, eine Institution zur Marktregulierung und Marktanpassung im Krankenhauswesen. Und bevor es nun den großen Aufschrei gibt: Diese Marktsteuerung ist bei Sitzen von Kassenärzt*innen absolut üblich. Auch dieses System wäre nicht perfekt und fehlerfrei, würde aber die bestehenden Unwuchten deutlich abflachen.

Das alles mag unbarmherzig klingen, ist aber in der Grundausrichtung ohne Alternative. Gerade wir im Ruhrgebiet wissen sehr wohl, wie schmerzhaft der Strukturwandel ist.

Das jahrzehntelange Zechensterben, das mit der Stilllegung der letzten deutschen Zeche im Dezember 2018 endete, der Kampf gegen die Schließung des Stahlwerks in Duisburg-Rheinhausen in den 1980er-Jahren oder des Opel-Werks in Bochum 2014 nach über 50 Jahren Produktion, das alles waren Zäsuren, die sich tief in das kollektive Gedächtnis eingebrannt haben.

In anderen Regionen Deutschlands gab es ähnliche Einschnitte, etwa das Werftensterben, den Niedergang der Textilindustrie und später der Unterhaltungselektronik.

Immer hat der Markt mit seiner Dynamik und seinen manchmal unbarmherzigen Kräften dafür gesorgt, dass unausweichliche wirtschaftliche Entwicklungen bestenfalls verzögert und hoffentlich sozial abgefedert, aber letztlich nie verhindert werden konnten.

Das Buch von Jochen A. Werner (Anzeige)

So krank ist das Krankenhaus: Ein Weg zu mehr Menschlichkeit, Qualität und Nachhaltigkeit in der Medizin

Deutschland ist wenig zukunftsgerichtet

An dieser Stelle hervorzuheben ist die vom nordrhein-westfälischen Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann angestoßene Initiative zur konstruktiven Neugestaltung des Krankenhausplans seines Bundeslandes.

Karl-Josef Laumann ist mittlerweile zum dritten Mal Gesundheitsminister in NRW. Darüber hat er sich eine Position erarbeitet, die ihm Glaubhaftigkeit bezüglich der Notwendigkeit tiefgreifender Veränderungen verleiht.

Eine Tatsache, die jetzt als Speerspitze einer nachhaltigen Initiative zur stärkeren Zentralisierung der Krankenhauslandschaft im Bundesgebiet dienen könnte. Andere Bundesländer zeigten sich hier weniger zukunftsgerichtet.

In Bayern zum Beispiel hat man nach der Landtagswahl 2018 in der Koalitionsvereinbarung zwischen CSU und Freie Wählern zuvor schon den Pflock Richtung Verharren in der aktuellen Situation eingeschlagen und den Krankenhäusern quasi Bestandsschutz zugesprochen.

Die Monopolkommission, ein ständiges, unabhängiges Beratungsgremium, das die Bundesregierung berät, hat 2022 weitreichende Reformvorschläge zur Krankenhauslandschaft vorgelegt.

Von Laumann angestoßene Initiative weist in die richtige Richtung

Monopolkommissions-Chef Prof. Dr. Jürgen Kühling befürwortet mehr Wettbewerb, auch zur Festlegung, wo es eine Über- oder Unterversorgung gibt, ebenso klare Kriterien zur Krankenhausschließung und neue Wege der Finanzierung. Es gelte zu definieren, so Kühling, welche Versorgungsleistungen flächendeckend vorzuhalten sind und welche in spezialisierten Zentren.

Immer wieder werde ich gefragt, was ich denn ergänzend zu meinen Forderungen nach einer massiven Digitalisierungsoffensive konkret vorschlage, um das Gesundheitswesen zu stabilisieren und in die Zukunft zu führen.

Die von Karl-Josef Laumann angestoßene Initiative weist da meiner Meinung nach, genau wie die Vorschläge der Monopolkommission, in die richtige Richtung. Ich meine, dass wir bei sich zuspitzender Finanzlage und dem bereits eingetretenen Personalmangel die Kräfte viel stärker als bisher bündeln, bundesweit Oberzentren ausweisen und Sektorengrenzen niederlegen müssen.

Dies bedeutet im Klartext, dass die föderale Planung durchlässiger werden muss, mit dem übergeordneten Blick auf das ganze Bundesgebiet. Die stationäre Versorgung sollte über Oberzentren koordiniert werden, zumeist von Universitätskliniken.

Diese Koordinatoren müssen abgestimmt in die hierzu erforderliche Lage versetzt werden. In den Verantwortungsbereich der Zentren gehören explizit auch Fragen zur Lehre und Forschung. Die notwendige Schließung oder Umwidmung von Krankenhäusern kann nicht der unternehmerischen Freiheit überlassen werden.

Der Text ist ein Abdruck aus dem Buch: "So krank ist das Krankenhaus - Ein Weg zu mehr Menschlichkeit, Qualität und Nachhaltigkeit in der Medizin“ von Prof. Dr. Jochen A. Werner (Klartext Verlag).

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