Zurück zum Gesundheitswesen

Das Gesundheitswesen muss Bestandteil einer gemeinwohlorientierten Daseinsvorsorge sein, fordert Götz Eisenberg.  Foto: dpa
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Götz Eisenberg fordert in seinem Corona-Tagebuch, das die Politik Lehren aus der Pandemie ziehen muss und Krankenhäuser nicht zum Geschäftsmodell werden dürfen.

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. Was für ein Glück, dass wir Heribert Prantl haben. Seit Jahrzehnten ist er eine zuverlässige Stimme der Vernunft. Vor Kurzem hat der Publizist in der Süddeutschen Zeitung eine Kolumne veröffentlicht, in der es um die Lehren geht, die aus der Corona-Krise für das Gesundheitswesen zu ziehen wären.

Er erinnert daran, dass man in Deutschland seit 1985 damit begonnen hat, das Gesundheitssystem zu privatisieren. Die medizinische Vernunft unterwarf sich dem Diktat der Ökonomie, der Geschäftsführer rangiert seither über dem Chefarzt, Ärzte sind eher "Erwerbsmänner als Krankenfreunde", wie es schon Platon kommen sah. Wohlverstandene medizinische Vernunft hätte bedingungslos für die Interessen der Kranken einzutreten und alles so einzurichten, dass sie, wenn möglich, genesen können und vor weiterer Krankheit geschützt werden. Stattdessen haben wir es zugelassen, dass aus Krankenhäusern ein Geschäftsmodell wurde, mit dem Gewinne zu erzielen sind.

Aus dem Gesundheitswesen wurde peu à peu eine Gesundheitsindustrie. Es wurde rationalisiert und "verschlankt", was das Zeug hält: 30 000 Betten wurden abgeschafft, 50 000 Stellen, vor allem im Pflegebereich, gestrichen. Die verbliebenen Pflegekräfte sind überlastet und erhalten miserable Löhne und Gehälter. Fallpauschalen wurden eingeführt, Liegezeiten verkürzt und Bettenkapazitäten nach dem Just-in-time-Prinzip berechnet.

Gesundheitsminister Spahn hat vor einem halben Jahr noch Überlegungen angestellt, "unrentable" Krankenhäuser zu schließen, nachdem eine Bertelsmann-Studie entsprechende Empfehlungen ausgesprochen hatte. Und nun werden unter Verweis auf die drohende Überlastung des Gesundheitssystems und fehlendes Personal in der Intensivpflege unsere Grund- und Freiheitsrechte massiv beschnitten. Gut, dass die Leute ein derart kurzes Gedächtnis haben, sonst würden sie "denen da oben" diese Begründung um die Ohren hauen.

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Prantl erinnert auch daran, welche Verheerungen die Austeritätspolitik im Süden Europas angerichtet hat. Wie viele Tote gehen auf das Konto dieser unmenschlichen und verfehlten Politik? Vielleicht begreifen nun endlich mehr Menschen, welche Perversion es bedeutet, an der Krankheit verdienen zu wollen und aus Kliniken börsennotierte Unternehmen zu machen. Im alten China war die Logik umgekehrt: Ärzte wurden nur bezahlt, solange ihre Patienten gesund waren, sobald jemand erkrankte, stellte er seine Zahlungen ein. Das stiftete ein solides Interesse an der Gesunderhaltung der Menschen.

Prantl schreibt, es sei an der Zeit, "die Gesetze der vergangenen Jahre zu korrigieren und sie nicht wie Naturgesetze zu behandeln. Sie gehören so korrigiert, dass das Gesundheitswesen wieder zum Bestandteil einer gemeinwohlorientierten und bedarfsgerechten Daseinsvorsorge wird, sie ebenso wenig wie die Wasserversorgung durchkommerzialisiert werden darf." Ich würde noch ein paar Schritte weitergehen und sagen: All die Bereiche, von denen wir nun gemerkt haben, dass sie "systemrelevant" sind, gehören in Gemeinbesitz, in die Hände eines Staates, der sich als Sachwalter der wohlverstandenen Interessen der Allgemeinheit versteht und nicht als "geschäftsführender Ausschuss der herrschenden Klasse", als den Marx den real existierenden Staat zutreffend beschrieb.

Die Versorgung mit Gas, Strom, Wasser, ökologisch hergestellten, gesunden Nahrungsmitteln, die Bereitstellung von menschenwürdigem Wohnraum, das Transport- und Verkehrswesen, müssen dem privaten Profitstreben entzogen und im Interesse des Gemeinwesens genossenschaftlich organisiert werden. Wer das nach den Erfahrungen der letzten Wochen nicht kapiert, dem ist nicht zu helfen. Mindestens diese Bereiche gehören in staatliche Hand, von mir aus könnte das Profitprinzip insgesamt abgeschafft und zukünftig Gebrauchswerte statt Tauschwerte produziert werden.

Kapitalismus bedeutet eine unaufhörliche Expansion von Waren und Produktion, er kann nicht existieren, ohne ständig zu expandieren. Vor allem im Interesse der Natur und des Fortbestands des Planeten müssen wir lernen, uns eine Welt ohne Wachstum vorzustellen. Vielleicht hat die Corona-Krise die Möglichkeit und die Vorzüge einer solchen Gesellschaft ins Bewusstsein treten lassen. Wir benötigen eine Gesellschaft, die sich vom Fetisch Wachstum verabschiedet hat und ihren Zusammenhalt nicht auf Geld und Konsum gründet. Was wir brauchen, sind Tugenden des Unterlassens, Prämien aufs Nichtstun, Kontemplation statt Produktion, Faulheit statt rastlosem Tun. "Vielleicht wird die wahre Gesellschaft der Entfaltung überdrüssig und lässt aus Freiheit Möglichkeiten ungenützt, anstatt unter irrem Zwang auf fremde Sterne einzustürmen", schrieb Adorno in seinem Buch "Minima Moralia".

Das komplette Corona-Tagebuch von Götz Eisenberg erscheint auf dem Blog von Konstantin Wecker: "Hinter den Schlagzeilen".

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Von Götz Eisenberg