(24.3.2020) Die vertragsärztliche Verordnung bzw. ärztliche Einweisung ist keine formale Voraussetzung des Anspruchs eines Krankenhauses gegen die Krankenkasse auf Zahlung der Behandlungskosten. Maßgeblich ist allein, ob die Patienten der Krankenhausbehandlung bedurften. Eine strenge Einhaltung des Grundsatzes „ambulant vor stationär“ riefe Versorgungsmängel hervor und setzte die Krankenhäuser bei der Aufnahmeprüfung unzumutbaren Haftungsrisiken aus (Bundessozialgericht, Urteil vom 19.06.2018 - B 1 KR 26/17 R).

KrankenhausflurDer Fall:

Ein alkoholabhängiger und u.a. an einer depressiven Episode leidender Patient suchte im August 2011 ohne Einweisung durch einen niedergelassenen Arzt ein zugelassenes Krankenhaus auf (ein psychiatrisches und psychosomatisches Krankenhauses mit einem Zentrum Suchtmedizin und einer Tagesklinik). Dort ließ er sich teilstationär entgiften und erhielt u.a. Akupunkturbehandlungen und Ergotherapie sowie stützende Einzelgespräche.

Die beklagte gesetzliche Krankenversicherung des Patienten sagte der Klägerin nach Meldung der stationären Aufnahme die Übernahme von Kosten zunächst bis zum 26. August 2011 unter dem Vorbehalt der medizinischen Prüfung zu.

Auf einen Kostenübernahme-Verlängerungsantrag der Klägerin vom 26. August 2011 lehnte die Beklagte mit Verweis auf die medizinische Prüfung des Falles eine weitere Kostenübernahme ab.

Die klagende Krankenhausträgerin bekam die Behandlungskosten für die teilstationäre Behandlung von über 5.000 € von der Krankenkasse des Patienten am Ende nicht erstattet. Die Behandlung, so die Kasse, sei ohne vertragsärztliche Einweisung (als "Selbsteinweisung") erfolgt, so dass keine Kosten übernommen werden müssten. Laut Vereinbarung in § 3 Abs 2 Landesvertrag Niedersachsen nach § 112 SGB V dürfen Krankenhäuser stets nur nach Einweisung behandeln.

Die Klage des Krankenhausträgers auf Zahlung wurde vom Sozialgericht abgewiesen, dann aber vom Landessozialgericht bestätigt. Nun musste das Bundessozialgericht über die Revision der Krankenkasse entscheiden.

Die Entscheidung:

Das BSG bestätigte den Zahlungsanspruch des Krankenhausträgers und wies die Revision der Krankenkasse als unbegründet zurück.

Maßgeblich sei, ob der Patient der Krankenhausbehandlung bedarf, weil das Behandlungsziel nicht durch vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann (vgl. § 39 Abs. 1 S 2 SGB V). Dies sei hier der Fall.

Die vertragsärztliche Verordnung ("Einweisung") habe demgegenüber grundsätzlich nur eine bloße Ordnungsfunktion. Sie helfe Versicherten bei der Entscheidung, sich in Krankenhausbehandlung zu begeben und ein geeignetes Krankenhaus zu finden. Die Verordnung sichere - auch im Interesse der Beitragszahler - die Prüfung, dass vertragsärztliche Behandlungsmöglichkeiten erschöpft sind. Sie vermittele zugleich Informationen für das aufnehmende Krankenhaus, das die Erforderlichkeit der Behandlung selbst zu prüfen hat. Die Steuerungs- und Entlastungseffekte genügen dem Gesetz aber nicht für ein striktes Gebot, Krankenhausbehandlung stets von einer vertragsärztlichen Verordnung abhängig zu machen. Dies riefe Versorgungsmängel hervor und setzte die Krankenhäuser bei der Aufnahmeprüfung unzumutbaren Haftungsrisiken aus. Denn wenn ein Bedarf an einer Krankenhausbehandlung bestehe, mache sich ein Krankenhaus haftbar, wenn es den Patienten gleichwohl nicht behandele. Das BSG weist darauf hin, dass ein zugelassenes Krankenhaus Versicherte, die sich mit einer Akutsymptomatik vorstellen, ohne dass ein klarer Notfall vorliegt, und die keine vertragsärztliche Verordnung von Krankenhausbehandlung haben, nicht einfach ohne Untersuchung wegschicken und auf vertragsärztliche Behandlung verweisen darf. Stellt es bei der Untersuchung fest, dass Krankenhausbehandlung erforderlich ist, soll und darf es den Versicherten behandeln, ohne noch eine vertragsärztliche Verordnung abwarten zu müssen.

Die hiervon abweichende Vereinbarung in § 3 Abs 2 Landesvertrag Niedersachsen nach § 112 SGB V sei unwirksam. Denn sie verstoße gegen Bundesrecht.

Praxisanmerkung:

Der Grundsatz „ambulant vor stationär“ ist eben nur ein Grundsatz und hier lag eine Ausnahme von dem Grundsatz vor. Das BSG stellt klar, dass solche Ausnahmen auch nicht durch einzelvertragliche Regelungen auf Landesebene mittels Krankenhausbehandlungsverträgen ausgehebelt werden können.

Die Entscheidung erweitert die Handlungsmöglichkeiten der Krankenhäuser und gibt Rechtssicherheit. Zu empfehlen ist, dass der Krankenhausarzt in den Behandlungsunterlagen in knappen Worten dokumentiert, warum seines Erachtens nach das Behandlungsziel nicht mit Mitteln außerhalb des Krankenhauses erreicht werden kann.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
Vertretung und Beratung im Medizinrecht und Arztrecht
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