Selb Selb will sein Krankenhaus zurück

Keine Aussage zur zukünftigen Struktur der beiden Häuser des Klinikums Fichtelgebirge: Geschäftsführer Martin Schmid in der Sondersitzung des Selber Stadtrates in der Dr.-Franz-Bogner-Schule. Foto: Florian Miedl

Mit massiver Kritik überschüttet der Stadtrat in seiner Sondersitzung den Klinikum-Geschäftsführer Martin Schmid. Der will sich nicht zu einer künftigen Struktur äußern.

 
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Selb - Seine Forderungen hat der Stadtrat Selb in seiner Sondersitzung klar formuliert: Das Haus Selb des Klinikums Fichtelgebirge soll die chirurgischen Kliniken, die im Zuge der Corona-Pandemie nach Marktredwitz verlagert worden sind, wiederbekommen, ebenso den für Arbeitsunfälle zuständigen Durchgangsarzt. Außerdem soll die Notfallversorgung in beiden Häusern aufrechterhalten werden. Nur so könne das Haus Selb die Versorgungsstufe II behalten, die die Stadt als Oberzentrum unbedingt braucht. Der Klinikum-Geschäftsführer Martin Schmid hielt sich dagegen bedeckt, was die zukünftige Struktur angeht. Vor dem Hintergrund der Pandemie und der vom Gesundheitsministerium erlassenen Allgemeinverfügung gebe es keine Planungssicherheit.

Dank von allen Seiten

Alle Stadtratsmitglieder, die sich in der Diskussion zu Wort meldeten, dankten den Ärzten und Mitarbeitern des gesamten Klinikums für ihre aufopferungsvolle Arbeit und ihr Engagement in den vergangenen Wochen. Auch Schmid lobte das gesamte Team für seinen Einsatz.

Schmid hatte in seinem Sachstandsbericht (siehe Artikel unten) lediglich den Status Quo erläutert, aber keine Aussage zu einer weitergehenden Planung getroffen, was ihm die Stadträte und auch die zahlreichen Besucher - darunter viele Mitarbeiter des Klinikums - übel nahmen.

Dabei hatte Oberbürgermeister Ulrich Pötzsch in seiner Begrüßung die Marschrichtung des Stadtrates vorgegeben. Aktuell gebe es in Selb viele Diskussionen darüber, wie es mit dem Krankenhaus in Selb weitergehe. "Wie sieht der nächste Schritt nach der Separierung in eine Covid-Klinik in Selb und ein allgemeines Krankenhaus in Marktredwitz aus? Und wie kann der Regelbetrieb wieder aufgenommen werden?" Für das Oberzentrum Selb/Asch sei ein Haus mit Versorgungsstufe II klare Aufgabe, "und das wollen wir behalten". Auch aus der Wirtschaft gebe es deutliche Äußerungen, dass die Chirurgie und damit der für Arbeitsunfälle zuständige Durchgangsarzt unbedingt notwendig seien, um den Industriestandort zu sichern.

Eines sei sicher: Die Bürger wollten den direkten Weg ins Haus wieder zurückhaben. Und die Notaufnahme hänge natürlich eng mit der Chirurgie zusammen. Die Sondersitzung diene der Diskussion und Information, die Entscheidungen fälle der Aufsichtsrat, sagte Pötzsch.

Pötzschs Aufforderung nach eine Stellungsnahme zur Zukunft der Häuser beantwortete Schmid nicht konkret. In der jetzigen Situation wäre das "Glaskugellesen". Der Geschäftsführer wies darauf hin, dass es zurzeit keinen Impfstoff gegen Covid-19 gebe und man auch nicht wisse, welche Vorsichtsmaßnahmen weiter zu treffen seien. Auch auf Bundesebene seien die Entwicklungen nicht abzusehen. "Deswegen kann ich noch nicht sagen, wie man eine künftige Ausrichtung vornehmen kann." Das wäre auch der Entscheidung des Aufsichtsrates vorgegriffen, wobei die finanzielle Situation sicher eine Rolle spielen werde. Es gebe im Moment viel zu viele unklare Faktoren.

Pötzsch hielt dem entgegen, dass der Kreistag ein klares Bekenntnis zu beiden Häusern gegeben habe. Auch sei die Zwei-Haus-Lösung wichtig für die Abdeckung des Landkreises und habe sich in Corona-Zeiten bewährt. Zudem könne man durch eine Spezialisierung zusätzliche Patienten gewinnen und eine Konkurrenz der beiden Häuser vermeiden.

Wesentlich deutlicher wurde da schon Dr. Klaus von Stetten, Stadtrat der Aktiven Bürger und Leiter des Gesundheitsamtes Bayreuth. Alle Bürger im nördlichen Landkreis hofften, dass ab Oktober wieder Normalbetrieb möglich wird. "Und dafür muss es ein Konzept geben." Die Bürger seien besorgt, da das Haus in den vergangenen Jahren die Küche, das Labor, die Entbindungsstation, die Narkose- und die HNO-Abteilung an Marktredwitz verloren habe. Deswegen sei die Angst verständlich, dass die coronabedingten Verlagerungen der chirurgischen Kliniken festgezurrt werden. Ein standortnahes Krankenhaus sei vor allem anderen Daseinsvorsorge für die Bürger. Auch habe der Landkreis in den vergangenen 16 Jahren Defizite in Millionenhöhe übernommen, um beide Standorte zu erhalten. "16 Jahre waren ausreichend Zeit, ein Haus mit zwei Standorten konzeptionell erfolgreich auszurichten. Wir werden das dumpfe Gefühl nicht los, dass Ihnen das nicht gelungen ist."

Schmid konterte, dass das Klinikum ein Haus mit zwei Betriebsstätten sei: "Dass muss endlich in die Köpfe rein." Und selbst wenn in Selb nur eine Abteilung wäre, behalte es die Versorgungsstufe II. Zum Vorwurf der Konzeptlosigkeit sagte Schmid, man habe etliche Workshops gehalten. Für die Struktur sei der Aufsichtsrat verantwortlich. Wenn Vorschläge nicht angenommen würden, sei das politischer Wille. Dann müsse das aber auch bezahlt werden. Die Defizite seien das Resultat der politischen Entscheidung, was vorgehalten werden soll. Zudem argumentierte er, dass alles Geld, das das Klinikum erwirtschaftet, in den Betriebsdefizitausgleich fließe. Die Frage sei, bis in welche Höhe der Landkreis das Defizit ausgleichen wolle, das bei etwa 3,5 Millionen Euro jährlich liege. Im Aufsichtsrat werde man nach einer vernünftigen Struktur in Symbiose mit der Wirtschaftlichkeit suchen. Denn nur der Defizitausgleich reiche nicht. Es müsse ja auch investiert werden.

Stefan Rummel, Sprecher der Freien Wähler Selb, schlug sich auf die Seite von Stettens. "Keine Planungssicherheit heißt nicht keine Planung." Allerdings fordert er auch klare Zusagen der großen Politik. Auch brachte er die Idee einer grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung in die Diskussion ein.

SPD-Sprecher Walter Wejmelka nannte die Zwei-Haus-Lösung einen Glücksfall. Allerdings bräuchten die Kliniken einen Plan für den Normalbetrieb. Auch er schloss sich den Forderungen seiner Vorredner an und sagte, dass die nach Selb verlegte Diabetologie kein Ersatz für die Chirurgie sei. Er erinnerte daran, dass die Versorgung nicht an der Landkreisgrenze aufhöre: "Die Selber fahren durchaus nach Hof." Auch dürfe man den nördlichen Landkreis nicht zu einer Region zweiter Klasse machen. Auf seine Frage, wie schnell die verlagerten Abteilungen wieder nach Selb zurückkehren könnten, antwortete Schmid: "Wenn der Aufsichtsrat das so bestimmt, können wir genauso schnell wie vorher umswitchen."

Wolfgang Kreil zeigte zumindest in finanzieller Hinsicht Verständnis für Schmid. Bei einem Defizit von etwa vier Millionen Euro Jahr stelle sich die Frage, wie lang und wie viel der Landkreis zuschießen wolle. Nach seiner Meinung gibt es drei Handlungsfelder: mehr Einnahmen, weniger Ausgaben und die Verteilung des Defizites auf mehr Schultern. Und da sah Kreil gerade den Freistaat in der Pflicht.

Kai Hammerschmidt (SPD) sagte, dass Aufsichtsrat, Geschäftsführung, Kreistag und auch die Landtags- und Bundestagsabgeordneten kollektiv den Hebel ansetzen "und das Problem dahin tragen, wo es zu lösen ist".

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Besucher äußern heftige Kritik

Bürger und Mitarbeiter melden sich in der Sondersitzung zu Wort. Auch die Notärzte sind mit der aktuellen Situation unzufrieden.

Selb - Nicht nur die Selber Stadträte haben offensichtlich ihre Probleme mit der derzeitigen Aufteilung der beiden Häuser des Klinikums. So legte Dr. Tobias Uhing als Vertreter der Notarztdienstgruppe Selb den Finger in die Wunde. Wenn es keine Notversorgungen in Selb mehr gebe, müsse man die Patienten ins Hofer Klinikum fahren, um sie anschließend nach der Notversorgung wieder zurückzuverlegen. "Das ist unzumutbar", sagte der Mediziner.

Außerdem würden bei Fahrten der Rettungsdienste nach Hof oder Marktredwitz die Wege zwangsläufig länger, was dazu führe, dass die Rettungsfahrzeuge länger gebunden seien. Das sei dringend zu vermeiden. Grundsätzlich sei es besser, Patienten nach Selb zu bringen und nicht durch den halben Landkreis zu fahren.

Zudem sei es offenbar möglich, eine ganze Abteilung, nämlich die Diabetologie, nach Selb zu verlegen, während es offenbar zurzeit nicht möglich sei, einen Chirurgen nach Selb abzustellen, der eine Platzwunde nähen kann. Und einen weiteren Punkt sprach Uhing an: Bei einem Wegfall der Notversorgung werde auch die Ausbildung von Notärzten schwieriger. Darunter werde die Versorgungsqualität leiden.

Ähnlich äußerte sich Ute Täuber, Mitarbeiterin in der Notaufnahme und Vertreterin des Seniorenbeirates. Bei ihr seien ebenfalls etliche Klagen eingegangen, dass kein Chirurg vor Ort sei, der sich um kleinere Verletzungen kümmern könne. Dieses Problem bat sie schnell zu lösen, die Situation sei sehr unglücklich.

Geschäftsführer Martin Schmid antwortete, dass man die Entscheidung, die chirurgischen Kliniken nach Marktredwitz zu verlegen, äußerst ausführlich in der "Task Force Corona" besprochen habe. Die Entscheidung sei auch richtig so, da man angesichts der Pandemie keine Durchmischung riskieren könnte. Diese Entscheidung gelte bis zum 30. September, "und das wird auch durchgehalten".

Ein weiterer Besucher wollte von Schmid wissen, ob auch ärztliches Personal zu dieser Task Force gehöre. Das verneinte Schmid. Nach seinen Worten gehören dazu lediglich Mediziner aus Marktredwitz unter der Leitung des ärztlichen Direktors Chefarzt Dr. Philipp Koehl. Diese Mediziner haben nach Schmids Worten die entsprechende Fachkenntnis.

Zu Wort meldete sich auch Dr. Bernd Pufe, ehemaliger Oberarzt des Klinikums. Nach seinen Worten stehen die Bürgerinnen und Bürger des nördlichen Landkreises hinter dem Krankenhaus Selb und lieben es: "Das sollte man berücksichtigen." Er verstehe zwar die Probleme des Klinikum-Geschäftsführers, dennoch gebe es Beispiele aus der Vergangenheit, an die man sich erinnern müsse. So seien die Patientinnen nach der Schließung der gynäkologischen Abteilung in Selb nicht nach Marktredwitz gegangen, sondern hätten sich nach Norden, also nach Hof, orientiert. Und die Erfahrung zeige auch, dass Patienten aus Hof nicht nach Marktredwitz kommen. Vor diesem Hintergrund sprach sich Pufe wie zuvor Oberbürgermeister Pötzsch dafür aus, Patienten überregional zu gewinnen, indem man sich spezialisiere. "Da sollten wir weitermachen."

Bis zum 30. September ändert sich nichts

Geschäftsführer Martin Schmid zeigt, wie sich das Klinikum auf Corona eingestellt hat. Die Vorgaben sind weiter gültig.

Selb - In seinem Vortrag vor dem Stadtrat hat der Klinik-Geschäftsführer genau erläutert, welche Maßnahmen das Klinikum ergriffen hat, um den Herausforderungen der Pandemie zu reagieren. Bereits im Februar ist nach seinen Worten eine "Task Force Corona" eingerichtet worden, die auch aktuell noch täglich tage.

Um die Auflagen der Allgemeinverfügung umzusetzen, wurden die Wirbelsäulen-Chirurgie sowie die Abteilung Orthopädie und Endoprothetik und damit auch der Durchgangsarzt ins Haus Marktredwitz verlagert, um in Selb die notwendigen Kapazitäten zur Behandlung der Covid-19-Patienten zu schaffen. Beschränkt worden sei damit auch die Notfallversorgung auf Covid-Patienten. Im weiteren Verlauf habe das Haus Selb weitere Beatmungsplätze bekommen, während gleichzeitig nicht dringende Operationen verschoben worden seien.

Laut Schmid hat das Haus Marktredwitz die allgemeine Notfallversorgung für das gesamte Gebiet übernommen und die chirurgischen Kliniken aus Selb integriert. In beiden Häusern galt ein allgemeines Besuchsverbot.

Die internistische Abteilung in Selb wurde quasi zur Corona-Abteilung, alle internistischen Fälle ohne Corona wurden in Marktredwitz behandelt. Inzwischen ist die internistische Abteilung in Selb wieder geöffnet. Wie Schmid sagte, gab es am Dienstag im Haus Selb nur noch einen Patienten mit Corona-Verdacht.

Die momentane Lage stellt sich nach Schmids Worten folgendermaßen dar: Das Haus Selb ist nach wie vor Covid-Haus, jedoch eben mit Öffnung weiterer Stationen für den internistischen Regelbetrieb. Nach Selb verlagert worden sei die Diabetologie, seit dem 1. Juli sei auch die Notfallversorgung für internistische Patienten wieder geöffnet.

Im Haus Selb sind die Station S1 die Covid-Station und Screening-Bereich, die S3 und S5 internistische Stationen und die S6 die Diabetologie. Im Haus Marktredwitz sind A5 und A7 Screening-Stationen.

Grundsätzlich, so Schmid, werde man den Betrieb an die geänderte Allgemeinverfügung und an das aktualisierte Infektionsschutzgesetz anpassen. Dessen Geltung sei mittlerweile bis zum 30. September verlängert.

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