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45-Jährige kritisiert Umgang mit Problemen am Klinikum Lippe

Detmold: Pflegerin kündigt entnervt

Detmold

Ein im Streit entlassener Chefarzt, eine Online-Petition gegen den Geschäftsführer, ein IT-Leiter mit mutmaßlich falschem Doktortitel und Patienten, die sich falsch behandelt fühlen - das Klinikum Lippe ist seit Wochen in schwerem Fahrwasser. Eine frühere Pflegekraft (45), die anonym bleiben möchte, gibt einen Einblick in den Arbeitsalltag – aus ihrer Sicht.

Von Christian Althoff

Das Symbolfoto zeigt eine Frau, die Spritzen aufzieht. 
Das Symbolfoto zeigt eine Frau, die Spritzen aufzieht.  Foto: imago  

 Die Frau – nennen wir sie Sonja Rieger – ist Altenpflegerin und Wundmanagerin und bei einer Leiharbeitsfirma angestellt, die Personal an Krankenhäuser und Pflegeheime vermittelt. „Nur deshalb bin ich überhaupt noch in diesem Beruf“, sagt die Frau. „Als Leiharbeitskraft kann ich meine Arbeitszeiten selbst festlegen und werde nicht dauernd aus der Freizeit geholt, wie es meinen Kolleginnen passiert.“

"Es zählte nur jede Hand"

Am 1. August 2022 sei ihr erster Arbeitstag im Klinikum Detmold gewesen – zusammen mit vielen anderen Leiharbeitern, erzählt Sonja Rieger. „Ich hatte mich auf die Arbeit gefreut – vor allem, weil ich hoffte, als Wundmanagerin arbeiten und mich weiterbilden zu können.“ Sie habe Erfahrung in der Versorgung chronischer Wunden und im Aufstellen von Therapieplänen. „Aber ich musste schnell feststellen, dass meine Qualifikation nicht wichtig war. Dort zählte einfach nur jede Hand am Bett.“

Infusion statt Getränk

Sie sei zuerst auf der Station 5 B, der Dermatologie, eingesetzt worden. Die Personalnot dort sei groß gewesen, aber nicht so groß wie später auf der 5 A. „Wir waren pro Schicht mit ein bis zwei Kräften für 38 Betten zuständig.“ Da sei teilweise die Versorgung der Kranken auf der Strecke geblieben. „Vor allem bei der Pflege Dementer, die besonders viel Aufmerksamkeit brauchen, gab es Defizite“, sagt die 45-Jährige. „Sie lagen in ihrem Urin, sie wurden nicht oft genug oder auch gar nicht umgelagert, und weil die Zeit fehlte, ihnen in Ruhe Getränke zu reichen, wurden manche einfach von den Krankenschwestern an eine Infusion gelegt.“

Nach Kritik versetzt

Sie erinnere sich an einen dementen Patienten in einem Isolierzimmer, der Durchfälle gehabt habe. Sie habe ihn nach ihrem Dienstantritt am Morgen eingekotet vorgefunden. Auch das Zimmer sei verschmutzt gewesen, und es habe nicht zu Trinken am Bett gestanden. „Die Nachtschwester hatte sich nicht gekümmert.“ Sie habe das dem Pflegeleiter der Station gemeldet, aber es habe kein Feedback gegeben. „Stattdessen wurde ich versetzt, auf die 5 A mit allgeneinchirurgischen Betten und Wundpatienten.“

Dort habe es zu ihrer Zeit keine einzige allgemeinchirurgische Schwester gegeben. „Man hat von mir Dinge verlangt, für die ich überhaupt nicht ausgebildet war, wie das Ziehen einer Drainage.“ Und nach Operationen seien von den Ärzten Schmerztherapie-Schemata angeordnet worden, von denen sie keine Ahnung gehabt habe. „Ich wusste nicht, wann Operierte nach Blinddarm- oder Schilddrüsen-OPs aufstehen dürfen, und es war schwierig, jemanden zu fragen.“ Es sei vorgekommen, dass sie als Altenpflegerin zusammen mit einer Schwesternschülerin im ersten Jahr und einem Mädchen, das ein Schulpraktikum gemacht habe, alleine auf der Station gewesen sei. Ihr Eindruck sei gewesen, dass die Ärzte vielfach überhaupt nicht über die Ausbildung des Personals informiert gewesen seien. Sie habe sich schließlich zeigen lassen, wie man Blut abnimmt und Infusionen legt, um diese oft angeordneten Arbeiten überhaupt übernehmen zu können.

"Im Dauerlauf gearbeitet"

Ihre Aufgaben habe sie oft im Dauerlauf erledigt, sagt Sonja Rieger, „und wenn Sie fünf Zimmer abgearbeitet hatten, klingelte es schon wieder aus sieben anderen."   Zum Teil hätten sich in Mehrbettzimmern Patienten, die fit gewesen seien, um andere Patienten gekümmert und ihnen Essen oder Trinken gereicht, weil keine Schwester dagewesen sei. Auch einige Ärzte habe sie am Limit erlebt. „Bei uns lag eine Frau im Sterben. Trotzdem hat eine Ärztin eine neue Antibiotika-Therapie angeordnet. Sie regte sich fürchterlich auf, weil die Anordnung nicht sofort umgesetzt wurde. Ich glaube, sie wusste gar nicht, dass die Frau starb.“

Der Standort Detmold des Klinikums Lippe: Hier arbeitete die Frau fünf Monate.
Der Standort Detmold des Klinikums Lippe: Hier arbeitete die Frau fünf Monate. Foto: Klinikum Lippe

Die Versorgung der Patienten habe sie zum Teil mit einem Stirnrunzeln verfolgt, sagt die Pflegekraft. „Kranke mit chronischen Wunden müssen jeden Tag Zink und Calcium bekommen, und nach Möglichkeit auch proteinreiches, also eiweißreiches Essen. Alles das bekamen sie aber nicht. Nur am Entlassungstag kriegten sie eine Zink- und eine Calcium-Tablette. Was dahinter steckte – ich weiß es nicht.“ In einem anderen Fall sei ein Patient mit nekrotischen Fersen, also absterbendem Gewebe, entlassen worden mit der Verordnung, die Fersen mit einem hochkomplizierten Verband zu versorgen. „Es dauert eine Stunde, so einen Verband an beiden Fersen anzulegen. Diese Zeit hat aber kein Pflegedienst.“ Sie habe als Wundmanagerin vorgeschlagen, die Füße mit anatomischen Fersenpolstern zu versorgen, sogenannten Heel Lifts. „Aber davon wollten die nichts wissen.“

"Resignation und Frustration"

Ob es in anderen Krankenhäusern wegen des Personalmangels ähnlich zugehe, wisse sie nicht, sagt Sonja Rieger, weil dieses ihre erste Klinik gewesen sei. „Was mich aber letztlich dazu gebracht hat, wieder zu kündigen, war die Atmosphäre. Der Umgangston war einfach eine Katastrophe.“ Sie wisse nicht, wo das seinen Ursprung genommen habe, aber es gebe überhaupt keine Wertschätzung. „Ich habe jeden, der mir auf dem Flur in einem weißen Kittel entgegenkam, gegrüßt. Aber es grüßte fast nie jemand zurück.“ Ihr Gefühl sei, dass in dem Haus eine große Resignation herrsche und mancher seine Frustration an seinen Kollegen abreagiere. „Ich hatte eine Schüler-Praktikantin unter meine Fittiche genommen, die super motiviert war und sich richtig reingehängt hat. Aber damit war nach zwei Wochen Schluss, weil sie den Eindruck hatte, dass man zwar ihre Arbeitskraft einsetze, ihr aber nichts beibringen wollte.“

Zwei Überlastungsanzeigen

Sie selbst habe während Ihrer Zeit im Klinikum Lippe zwei Überlastungsanzeigen geschrieben, um davor zu warnen, dass ein „Weiter so“ zu Schäden führen könne – „an meiner Gesundheit oder der von Patienten.“ Aber weder die Pflegedienstleitung noch der Betriebsrat hätten sich bei ihr gemeldet. „Es wurde einfach darüber hinweggegangen. Wer so mit seinen Mitarbeitern umgeht, darf sich nicht wundern, wenn er keine neuen Leute findet und Patienten unzufrieden sind.“

Nach fünf Monaten kündigte Sonja Rieger. Sie arbeitet heute wieder in einem Pflegeheim und sagt:  "Ich wäre gerne im Krankenhaus geblieben. Aber ohne jede Einarbeitung - das kann man vergessen."

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