Chefarzt-FallKölner Erzbistum erwägt erneut Verfassungsbeschwerde

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Bundesverfassungsgericht dpa

Symbolbild

Köln – Die „Essener Gespräche“ sind für Juristen, die mit Verfassungs- und Staatskirchenrecht befasst sind, so etwas wie die Fashion Week für die Modebranche, die Berlinale für Cineasten oder die Prinzenproklamation für die Kölner Society: Man sieht sich, tauscht sich aus, erörtert Trends. Auf der diesjährigen Tagung im März trauten Teilnehmer ihren Augen und Ohren nicht: Gleich drei Bundesverfassungsrichter waren gekommen, und zwei von ihnen reichten, bildlich gesprochen, ein Silbertablett herum: Die katholische Kirche solle den „Chefarzt-Fall“ noch einmal nach Karlsruhe tragen.

So deutliche Avancen, sagen hochrangige Kirchenjuristen, hätten sie noch nie gehört. Ob das zuständige Erzbistum Köln dem Lockruf der Richter folgen soll, darüber ist innerkirchlich Streit entbrannt. Nächste Woche läuft die Frist für eine Verfassungsbeschwerde ab.

Es geht um einen zehnjährigen Rechtsstreit, der zum Präzedenzfall wurde und am Ende sogar den Europäischen Gerichtshof (EuGH) erreichte. Gegenstand der Auseinandersetzung ist die Kündigung, die der kirchliche Träger des St.-Vinzenz-Krankenhauses in Düsseldorf 2009 gegen den katholischen Internisten Romuald A. ausgesprochen hatte. Dieser schloss 2008, zwei Jahre nach einer Scheidung, vor dem Standesamt erneut die Ehe. Die Kirche sah darin einen schweren Verstoß des Mediziners gegen seine Loyalitätspflicht: Nach katholischer Lehre ist eine zweite zivile Heirat ausgeschlossen.

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Der Arzt klagte gegen seine Kündigung und bekam durch alle Instanzen bis hinauf zum Bundesarbeitsgericht (BAG) recht. Zwar sei es ureigenste Sache der Kirche, Anforderungen an die Loyalität ihrer Mitarbeiter festzulegen. Im konkreten Fall habe sie ihren eigenen Maßstab aber nicht konsequent gehandhabt, sondern nichtkatholische Kollegen trotz Wiederheirat weiterbeschäftigt. Warum für A. anderes gelten sollte, sei nicht erkennbar, so das BAG.

Das sah das Bundesverfassungsgericht 2014 anders. Es hob das Urteil auf und betonte das in der Verfassung verbriefte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen. Was das Erzbistum Köln als Erfolg verbuchen konnte, kam Kritikern wie der sprichwörtliche Pyrrhus-Sieg vor, der sich auf lange Sicht als Niederlage herausstellt. Die Erfurter Arbeitsrichter gaben sich jedenfalls nicht zufrieden und wandten sich an den EuGH. Ein Kenner des Verfahrens weiß zu berichten, die Verfassungsrichter hätten das als Affront und „Majestätsbeleidigung“ gesehen.

Verständnis für die Kirche am EuGH geringer

Spätestens jetzt wurde der arbeitsrechtliche Streit auch zu einem Kräftemessen zwischen Karlsruhe und Luxemburg um das Verhältnis des nationalen Rechts zum Europa-Recht. In Luxemburg ist das Verständnis für die kirchenfreundlichen Bestimmungen des Grundgesetzes traditionell gering ausgeprägt. Dagegen war für die Kirchen bei der Wahrung ihrer Privilegien auf Karlsruhe stets Verlass. Der Grunddissens der obersten Gerichte spiegelte sich im Urteil des EuGH vom November 2018 wider: Gehorsam gegenüber der katholischen Ehelehre sei keine „wesentliche und gerechtfertigte“ berufliche Anforderung an einen Chefarzt, entschied der EuGH und wertete die Kündigung als diskriminierend. Dies setzte das BAG im Februar 2019 erwartungsgemäß in einem weiteren Urteil um.

Das fuchste nun sowohl den Zweiten Senat in Karlsruhe als auch die Kölner Bistumsjustiziarin Daniela Schrader. Die von Kollegen als – zurückhaltend formuliert – überambitioniert beschriebene Juristin gilt als treibende Kraft des Verfahrens. Schon den ersten Gang nach Karlsruhe habe sie gegen erhebliche Bedenken durchgesetzt. Und auch jetzt, so ein Insider, wolle sie „die Sache durchziehen“. Kardinal Rainer Woelki wiederum soll in gleichem Sinn auch von Karlsruhe aus bearbeitet worden sein.

Doch dagegen hat sich Widerstand formiert, auch unter den Bischöfen. Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ ist der renommierte Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing, bisher mit dem Fall betraut, nicht mehr mit von der Partie. Er soll intern ausdrücklich von der Verfassungsbeschwerde abgeraten haben. Kollegen Thüsings wundert das nicht: Denn egal wie Karlsruhe entscheidet – heute könnte Romuald A. nach einer Änderung der kirchlichen Arbeits-Richtlinien 2015 ohnehin nicht mehr gekündigt werden.

Empörung über Kölner Alleingang

Warum sich also derart verkämpfen? Warum den spektakulären Fall und das leidige, faktisch abgeräumte Thema „Kündigung wegen Wiederheirat“ erneut hochziehen?, fragen Kritiker. Und warum den Bogen liefern, auf den Karlsruhe Pfeile spannt, die für Luxemburg gedacht sind? Die berechtigte Frage nach der Reichweite des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen könne Karlsruhe viel besser in einem Grundsatzfall beantworten, der die evangelische Kirche betrifft: Dürfen die Kirchen bei der Einstellung von Mitarbeitern auf die Religionszugehörigkeit achten, oder müssen sie Konfessionslose gleich behandeln?

In einem Treffen der Generalvikare und Finanzdirektoren kam es unlängst zum Eklat, als die Forderung laut wurde, für einen Kölner Alleingang keine gemeinsamen Ressourcen bereitzustellen. Der Fall schade der Kirche, Woelki solle ihn ruhen lassen – dieses Votum sollte Generalvikar Markus Hofmann dem Kardinal überbringen. Am Montag redeten die Bischöfe noch einmal auf Woelki ein. Einzelne verstanden seine Reaktion als Einlenken, andere blieben skeptisch. Einer aus der Runde sagte, für ihn sei es nicht ausgemacht, was Woelki am Ende tue.

Auf Nachfrage teilte das Erzbistum am Freitag lapidar mit, „wir haben derzeit keinen neuen Stand“. Was allerdings nicht die ganze Wahrheit ist: Eine Erklärung zur Sache ist nämlich vorbereitet – was immer am Ende darin steht. Sollte es der Gang nach Karlsruhe sein, hat der frühere Bundesarbeitsrichter Christoph Schmitz-Scholemann schon einen kollegialen Rat für Romuald A.s Anwalt parat: „Wenn sich meine Karlsruher Kollegen tatsächlich so offensiv um den Fall bemüht haben, würde ich schon mal den Befangenheitsantrag schreiben.“

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