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Interview

Landesmittel für Klinikbau in Neubrandenburg - Eng bleibt es trotzdem

Neubrandenburg / Lesedauer: 6 min

Das Land steuert Millionen Euro für einen Erweiterungsbau des Dietrich-Bonhoeffer-Klinikums bei. Warum die Freude nicht ungetrübt ist, erzählen zwei Verantwortliche.
Veröffentlicht:27.08.2022, 13:58

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Ihre Klinik trägt den ermutigenden Namen „Zentrum für seelische Gesundheit“ – auch wenn es ja eben gerade ein Mangel an seelischer Gesundheit ist, der Menschen zu Ihnen führt. Worum geht es bei den Begrifflichkeiten Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik?

Kirchhefer: Psychiatrie bedeutet übersetzt Seelenheilkunde und befasst sich mit der Diagnostik und Therapie von allen psychischen Erkrankungen. Psychotherapie ist ein wesentliches Element in der Behandlung psychischer Erkrankungen und in sich sehr vielfältig. Bei der Psychosomatik als eigenständiges Fachgebiet geht es um die Wechselwirkung psychischer und körperlicher Probleme. Wir haben den Begriff Zentrum gewählt, weil sich damit die Vielfalt der Behandlungsangebote und deren Verzahnung am besten beschreiben lässt.

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Drobek: Die Grenzen sind fließend. Gerade deshalb ist der Begriff „seelische Gesundheit“ gut, weil er die Patienten nicht in Schubladen steckt.

Mit welchem Spektrum von Erkrankungen haben Sie es da zu tun?

Kirchhefer: Einen großen Anteil nehmen Depressionen ein. Außerdem Suchterkrankungen verschiedener Art und Psychosen, aber auch akute Verwirrtheit und Folgen von Demenz-Erkrankungen. Etwas seltener geht es um Essstörungen oder Posttraumatische Belastungsstörungen.

Beobachten Sie über die Jahre Verschiebungen in der Häufigkeit bestimmter Erkrankungen und Behandlungserfordernisse?

Kirchhefer: Das nicht, aber insgesamt eine sehr hohe Nachfrage – zumal wir während der Corona-Pandemie auch Behandlungskonzepte verändern mussten, um dem Infektionsschutz Rechnung zu tragen.

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Ihr Fachgebiet gilt als eines, dessen Patienten oft schon einen langen Leidensweg hinter sich haben bis zur Behandlung oder Therapie. In welchen Größenordnungen und mit welchen Kapazitäten kann die Klinik tätig werden?

Kirchhefer: Im letzten Jahr vor Corona hatten wir 1585 stationäre und 881 teilstationäre Patienten. Uns stehen 81 Betten zur Verfügung sowie 69 tagesklinische Plätze, davon 22 in Neustrelitz. Auf allen Stationen realisieren wir einen eng verzahnten Versorgungsdreiklang von stationärer, teilstationärer und ambulanter Behandlung, so dass bedarfsgerechte Angebote in der bereits vertrauten Umgebung fortgesetzt werden können. Wir sind knapp 150 Beschäftigte, davon120 Vollzeitkräfte, in einem breiten Spektrum von Berufen: Psychologen und Pflegekräfte natürlich, zudem Ergo- und Musiktherapeuten; wir haben auch einen Therapiehund und einen wunderbaren Garten. In den vergangenen Jahren konnten wir die Behandlungsmöglichkeiten deutlich ausbauen. Die Zahl der Tagesklinik-Plätze wuchs von 20 auf die heutigen 69, die der stationären von 72 auf 81.

Nun bekommt die psychiatrische Klinik einen vom Land geförderten Erweiterungsbau – allerdings stellt das Gesundheitsministerium gleich klar, dass damit keine Erhöhung der Kapazitäten einhergeht.

Kirchhefer: So ist es. Bedingt durch die Krankenhausbedarfsplanung gibt es innerhalb von Mecklenburg-Vorpommern große Unterschiede im Verhältnis der Kapazitäten psychiatrischer Kliniken zur Einwohnerzahl. Das Versorgungsgebiet unserer Klinik erstreckt sich über die Stadt Neubrandenburg und den Altkreis Mecklenburg-Strelitz mit etwa 160 000 Einwohnern, das sind zehn Prozent der Einwohner Mecklenburg-Vorpommerns. Wir haben aber nicht zehn Prozent der Betten, dazu müssten es 40 mehr sein. Jedoch erfolgt die Krankenhausplanung eben nicht nach Einwohnerzahl, sondern der Bedarf muss durch Belegung nachgewiesen sein.

Drobek: Der Nachweis höheren Bedarfs für die Krankenhausplanung bedeutet letztlich: Für eine Erhöhung der Bettenzahl müssen wir zunächst entsprechend überbelegt sein.

Wie steht es denn um die Auslastung?

Kirchhefer: Wir sind durchweg sehr stark ausgelastet, das Ziel von 90 Prozent im stationären Bereich war immer überschritten. Die allermeisten Patienten kommen als Notfälle zu uns, und Notfälle lassen sich nicht termingerecht planen. Hoher Aufnahmedruck führt dazu, dass wir Zwei-Bett-Zimmer mit drei Patienten belegen. In Spitzenzeiten haben wir auch mal 85 Patienten und Patienten stationär behandelt – in einer Klinik, die ursprünglich für 72 Patienten geplant war. Hinzu kommen Notwendigkeiten von Isolation oder Einzelunterbringung.

Was bewirken unter diesen Umständen die 8,1 Millionen Euro vom Land, auf die Gesundheitsministerin Stefanie Drese neulich beim Neubrandenburg-Besuch auf ihrer Sommertour verwies?

Drobek: Der Förderbescheid stammt noch aus der Zeit von Harry Glawe als Gesundheitsminister. Und wir sind dabei nicht in der Bittsteller-Rolle. In Deutschland ist eine duale Krankenhausfinanzierung gesetzlich geregelt. Das Land hat also eine gesetzliche Pflicht, anerkannten Bedarf zu finanzieren. Für unsere Klinik hat es 2021 einen Bedarf von zehn Millionen Euro geprüft und bestätigt – und 8,1 Millionen bewilligt. Mit der Differenz steht unser Klinikum allein da und erst recht mit den Kostensteigerungen. Denn seither sind die Baukosten um mindestens 30 bis 40 Prozent gestiegen. Natürlich freuen wir uns, bauen zu dürfen. Aber diese Situation stellt uns vor große Herausforderungen.

Kirchhefer: Mit der bewilligten Summe können wir das, was wir beantragt haben, nicht bauen. Natürlich verbessert sich etwas, aber es ist kein Meilenstein. Die Enge wird bleiben.

Welche Auswirkungen haben somit die Teuerungen – was können Sie bauen und ausstatten?

Drobek: Geplant ist ein zweigeschossiger Bau mit direktem Durchgang zum bestehenden Haus H und auch direktem Zugang zum Garten. Darin entstehen Patientenzimmer, Untersuchungs- und Behandlungsräume sowie größere Therapiebereiche. In dieser Klinik wird vielen Menschen geholfen durch Tätigkeiten unterschiedlichster Art, sei es mit Sport, Musik, kreativen Arbeiten. Generell sind ja psychiatrische Patienten im Unterschied zu den anderen Kliniken nicht bettlägerig, im Gegenteil.

Kirchhefer: Richtig. Während im somatischen Bereich die Verweildauer durchschnittlich sieben Tage beträgt, sind es bei uns im Schnitt rund drei Wochen – für manche Patienten nur wenige Tage, für andere mehrere Monate. Daher muss die Ausgestaltung auch wohnlicher sein. Ich brauche hier nicht an jedem Bett Sauerstoffanschlüsse, jedoch eine freundliche Atmosphäre. Statt wie ursprünglich geplant zwei neue Stationen wird es eine geben, gegenüber dem bisherigen Angebot mit mehr räumlichen und auch Rückzugs-Möglichkeiten. Außerdem kann die bislang im Souterrain von Haus A untergebrachte Tagesklinik hierher umziehen. Und wir erweitern die Ambulanzräumlichkeiten, weil wir zunehmend darauf setzen, ambulante Angebote zu schaffen.

In welchem Zeitraum wollen beziehungsweise können Sie diese Pläne verwirklichen?

Drobek: Die Baugenehmigung liegt vor, im Frühjahr beginnt das Ausschreibungsverfahren. Da durch den Erweiterungsbau Parkplätze verloren gehen, steht in diesem Zusammenhang auch der Bau eines Parkhauses in Richtung Semmelweisstraße an. Zeitlich ist das Baugeschehen allerdings momentan unkalkulierbar, bei Lüftungsanlagen zum Beispiel gibt es Lieferzeiten von mehr als acht Monaten. Wir wollen im nächsten Jahr mit dem Bau beginnen, und wenn alles gut läuft, soll er 2025 fertig sein.

Erfordert das erweiterte Raumangebot nicht auch personellen Zuwachs?

Kirchhefer: Die Zahl der Mitarbeiter orientiert sich an der Zahl der Patienten, wiederum gemäß der erwähnten Bedarfsplanung. Daher zieht eine bauliche Erweiterung keine personelle nach sich, wir setzen weiterhin die Personalrichtlinie um. Den Wunsch nach mehr gibt es natürlich immer, aber den muss man finanzieren können. Zur Erweiterung unserer ambulanten Angebote beschäftigen wir uns mit Möglichkeiten der Stationsäquivalenten Behandlung, kurz StäB. Dabei werden Patienten, die sonst stationär aufgenommen werden müssten, in ihrer Häuslichkeit betreut. Darin sehen wir eine Zukunft und sind darüber auch in Gesprächen mit Krankenkassen. Von dort fehlt allerdings noch jegliches Signal, so etwas mit umsetzen zu wollen.