Von Andreas Blaser

Die Mindestmengenregelung soll dazu führen, dass schwierige Operationen und Behandlungen nur in Kliniken durchgeführt werden, die ein Mindestmaß an Erfahrung haben. Unter die Mindestmengenregelung fallen zum Beispiel komplexe Operationen an der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) oder der Einsatz eines künstlichen Kniegelenks.

Die Bilanz der alten Regelung ist aber dünn. Eine Analyse von Science Media Center (SMC) und dem Projekt Weiße Liste der Bertelsmann Stiftung auf Grundlage der aktuellen Krankenhaus-Qualitätsberichte hat ergeben, dass 2017 etwa 40 Prozent der deutschen Kliniken, die Operationen aus dem Mindestmengenkatalog durchführen, eine oder mehrere der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestfallzahlen nicht erreichen.

Die Bilanz in den deutschen Bundesländern ist dabei ganz unterschiedlich. Laut Analyse differiert der Anteil der Kliniken, die wenigstens eine Mindestmenge nicht einhalten, um das 2,1-fache.

Die höchste Rate hat Bremen. Dort erreichen 62,5 Prozent der Kliniken eine oder mehrere der Mindestfallzahlen nicht. Das sind fünf von acht Kliniken. Die geringste Rate hat Mecklenburg-Vorpommern. Dort erreichen nur sieben von 24 Kliniken eine oder mehrere Mindestmengen nicht. Das ist aber immer noch fast ein Drittel.

Kliniken in Brandenburg und Sachsen operieren zu wenig

Unterschiedlich ist auch die Lage in Brandenburg und in Sachsen. Während in Brandenburg 56,7 Prozent der infrage kommenden Kliniken eine oder gar mehrere Mindestmengen bei Operationen nicht erreichen, sind es in Sachsen nur 35,1 Prozent. Der Freistaat liegt damit unter dem Bundesdurchschnitt von 39,7 Prozent. In konkreten Zahlen heißt das, in Brandenburg operieren 17 von 30 Kliniken zu wenig, in Sachsen sind es 20 von 57.

Während aus der sächsischen Lausitz nur das Lausitzer Seenland Klinikum in Hoyerswerda in der Analyse von SMC und Bertelsmann-Stiftung genannt wird, konzentrieren sich die Brandenburger problematischen Kliniken um Berlin he­rum.

Seenland-Klinikum-Sprecher Gernot Schweitzer erklärt die Lage in Hoyerswerda so: „Mit dem Start von Dr. med. Jürgen Müller als Chefarzt der Klinik für Viszeral-, Thorax-, Gefäß- und Kinderchirurgie im Jahr 2017 bestand das Ziel, die Sparte der Pankreas-Operationen wieder aufzubauen.“ Dafür sei mit den Kostenträgern ein Anlaufzeitraum (2017/2018) definiert worden. „Zum jetzigen Zeitpunkt gehen wir davon aus, die diesbezüglichen Mindestmengen in 2019 wieder zu erreichen.“

Positive Prognose für Mindestmengen 2019

Aus Südbrandenburg tauchen drei Kliniken in dem Bericht auf: Das Elbe-Elster-Klinikum erreicht am Standort Herzberg mit 39 nicht die Mindestmenge von 50 Fällen im Bereich Knie-Operationen und auch nicht die Grenze von zehn Fällen bei Pankreas-OPs. Ines Aufgebauer, Referentin des Geschäftsführers, nennt als Grund für fehlende Knie-TEP, „dass unsere Ärzte die Indikation zu Operationen sehr eng stellen“. Daher könne es schon vorkommen, dass eine Prognose nicht erreicht wird. „Die Prognose und die Mindestmengen für das Jahr 2018 haben wir erreicht. Gleiches zeichnet sich für 2019 ab“, wagt Aufgebauer gegenüber der RUNDSCHAU eine positive Prognose für dieses Jahr.

Dass das Elbe-Elster-Klinikum in Herzberg bei Pankreas-OPs die Qualitätsmenge nicht erreichte, erklärt Referentin Aufgebauer damit, dass 2017 dort ein neuer Leistungsbereich aufgebaut wurde. „Ob dieser Bereich weiterverfolgt wird, richtet sich nach dem Bedarf in unserer Region und ist noch nicht abschließend geklärt“, so Aufgebauer.

Das Niederlausitz-Klinikum in Senftenberg vollzog 2017 laut SMC-Analyse nur zwei Operationen bei Speiseröhrenkrebs und sogar nur eine bei Bauchspeicheldrüsenkrebs. Klinikumssprecherin Kristin Dolk erklärt dies gegenüber der RUNDSCHAU mit niedrigem Patientenaufkommen.

Zudem: „Durch die Einstellung eines routinierten, erfahrenen Experten, der an seiner vorherigen Wirkungsstätte bei beiden Eingriffen die erforderliche Mindestmenge erreicht hat, bestand die Aussicht, beide Eingriffe in unserem Leistungsspektrum zu etablieren.“ In beiden Leistungsbereichen sei entsprechend der Qualitätspolitik des Klinikums aber keiner dieser Eingriffe mehr geplant und werde nicht mehr durchgeführt, „da wir hier aufgrund unseres Patientenaufkommens die erforderlichen Mindestmengen nicht erreichen“.

Ausnahmegenehmigung für Cottbuser Carl-Thiem-Klinikum

Das Carl-Thiem-Klinikum verpasst mit 24 Stammzelltransplantationen die Qualitätsmenge um einen Eingriff. Personelle Neuausrichtung nennt das CTK im Qualitätsbericht als Grund.

Sprecherin Susann Winter bestätigt gegenüber der RUNDSCHAU, dass es sich bei der personellen Neuausrichtung um einen Chefarztwechsel handelte.

„Wir hatten für diesen Zeitraum eine Ausnahmegenehmigung der Kassen und mussten die vorgegebene Mindestmenge daher nicht erreichen.“ In 2018 sei die Mindestmenge wieder erreicht worden, und der Eingriff werde auch nach wie vor am CTK durchgeführt.

Strukturprobleme in Krankenhäusern

Wissenschaftlich mit der Verbindung von Behandlungsqualität und -häufigkeit befasst sich seit Jahren Dr. Thomas Mansky. Der heute 66-Jährige war praktizierender Arzt, leitete eine Klinik und war lange wissenschaftlich in der Branche an der TU Berlin tätig. Aus seiner Sicht gibt es in Deutschland zu viele kleine, nicht spezialisierte Krankenhäuser, woraus ein Strukturproblem entsteht. Mansky: „Wir machen die Medizin des 21. Jahrhunderts in Strukturen des 20. Jahrhunderts, die teils schon im 19. Jahrhundert entstanden sind.“

Was auffällt: Besonders häufig verfehlen Kliniken die Mindestfallzahlen in den Bereichen der komplexen Speiseröhren- und Bauchspeicheldrüsen-Chirurgie. Von 378 Kliniken, die Ösophagus-OPs vorgenommen haben, erreichten mehr als die Hälfte (52,4 Prozent) die Mindestmenge nicht. Bei Pankreas-OPs erreichten 205 (33,9 Prozent) von 605 Klinken die Mindestfallzahl nicht. Hier fällt noch besonders ins Gewicht, dass Experten die geltende Mindestmenge von zehn Operationen pro Klinik und Jahr ohnehin für deutlich zu niedrig halten.

Weniger Komplikationen in erfahrenen Krankenhäusern

Hintergrund dieser Debatte sind Studien, die den Zusammenhang zwischen den Fallzahlen in einer Klinik und der Behandlungsqualität belegen. Vereinfacht gesagt: Je mehr Patienten mit einer bestimmten Krankheit in einer Klinik behandelt werden, desto weniger Komplikationen und Todesfälle treten auf.

Studien erklären diesen Zusammenhang mit „Practice makes perfect“. Damit ist zum einen der erfahrene Operateur gemeint. Zum anderen sind gerade komplexe Behandlungen schwerer Krankheiten eine Teamleistung. So ist für den Patienten die Zeit nach einer schwierigen Operation nicht selten ähnlich risikobehaftet wie die OP selbst. Zwar kommt es auch in Krankenhäusern mit hohen Fallzahlen zu Komplikationen. Die Patienten überleben diese aber deutlich häufiger als in weniger erfahrenen Kliniken.

Studien belegten hier, dass es zu deutlich weniger Komplikationen in erfahrenen Teams kam und dass diese solche Probleme besser beherrschten. Beim tödlichen Gegenteil sprechen Mediziner vom „Rettungsversagen“. Gründe dafür, wenn dies gehäuft auftritt, seien eine unzureichende Ausstattung von Klinken und organisatorische Fehler – vor allem aber fehlendes, überlastetes oder unerfahrenes Personal, das Komplikationen offenbar zu spät oder gar nicht erkennt. Was die Gesundheitsexperten „Practice makes perfect“ nennen, würde der Patient wohl einfach umschreiben mit: Übung macht den Meister.

Erfahrung sammeln, aus Fehlern lernen
Kommentar zu Mindestmengen bei Operationen
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