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Die unendliche Geschichte – Personalbemessung in der Psychiatrie

Psychiatrie
Die unendliche Geschichte
Foto: Julia Lippert

Berlin (kobinet) Eines der verheerendsten Probleme der psychosozialen Unterstützungslandschaft für Menschen mit seelischem Krisenerleben, ist die unzureichende Personalbesetzung und -finanzierung von Einrichtungen der klinisch-psychiatrischen Krankenhäuser und Stationen. Sodass durch Personalmangel, zu wenig Platz und zu wenig Zeit, vertrauensvolle Beziehungsarbeit offenbar immer unmöglicher wird.

Diese Phänomene sind ein bekanntes Problem. An allen Stellen wird diskutiert und analysiert. Alles muss wissenschaftlich bewiesen werden, um Geltung oder überhaupt eine Aussicht auf Finanzierung zu haben. Gleichzeitig darf Nichts mehr kosten, am besten gleich noch weniger, von ohnehin schon wenig.

Wie viel Geld, an welcher Stelle im Einzelnen zur Verfügung steht, war in Deutschland in der Psychiatrie-Personalverordnung (Psych-PV) festgelegt. Also wieviel Personalaufwand, minutengenau pro Patient und Woche. Diese maßgebliche Verordnung stammte aus dem Jahr 1991 und wurde von vielen Seiten als nicht mehr zeitgerecht kritisiert. Dabei war die Frage einer angemessenen und einfach zu handhabenden Finanzierung psychiatrischen Personals, bereits breites Diskussionsthema aus unterschiedlichsten Richtungen.

Zur Wittchen-Studie

Eine große, vom Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), zu diesen Fragen in Auftrag gegebene Studie, die sogenannte „Wittchen-Studie“, ist seit Anfang 2019 in Verruf. Was ist passiert?

Der G-BA, hat 2016 vom Deutschen Bundestag den Auftrag erhalten, verbindliche Mindestanforderungen für das Personal in psychiatrischen Einrichtungen zu entwickeln. Die wissenschaftliche Basis hierzu, sollte eine großflächige Studie liefern, die Daten aus 120 Kliniken auswerten sollte. Die Studie hatte den Titel: „Personalausstattung in Psychiatrie und Psychosomatik“ (PPP). Diese PPP-Studie (Internetseite mittlerweile geschlossen) ist auch als „Wittchen-Studie“ bekannt.

Das Forschungsteam hatte zur Aufgabe, die Personalausstattung in psychiatrischen Kliniken und deren Arbeitsbelastung zu untersuchen. Auf Grundlage der Ergebnisse, wollte der G-BA entscheiden, wie die Personalausstattung der Psychiatrie in Deutschland künftig bemessen werden soll. Eine Frage also, die entscheidende Auswirkungen auf betroffene Menschen und psychiatrisch Tätige hat.

Hans-Ulrich Wittchen ist ein renommierter, viel zitierter Forscher. Er leitete viele Jahre das Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie (2000-2017) an der TU Dresden. Seit 2019 ist nun seine Forschungsarbeit unter Verdacht geraten. Es kamen vermehrte Zweifel an der Einhaltung der wissenschaftlichen Kriterien auf. Darüber hinaus gab es Unklarheiten bei der Verteilung des nicht kleinen Budgets des Forschungsprojekts (2,5 Millionen Euro). Die 2019 ins Leben gerufene Untersuchungskommission zur Studie, hat nun vor einigen Tagen ihr Gutachten fertiggestellt und erhebt schwere Vorwürfe wegen Wittchen. Laut der Zeit, soll er z.B. seiner Tochter eine Stelle finanziert haben. Diese war nach Aussage der Mitarbeitenden nie wirklich zu sehen, bzw. keine Arbeitsleistung ihrerseits erkennbar. Der Zeitartikel zum Gutachten der Untersuchungskommission, erläutert sehr detailliert weitere Unklarheiten.

Die Unileitung zeigt sich empört. Wittchen selbst wiederum, zeigt sich von der Reaktion der Uni-Leitung auf das Untersuchungsgutachten erschüttert. Diverse Mitarbeitendenbefragungen und andere aufgelistete Quellen des Gutachtens, stellen die wissenschaftliche Seriosität der PPP-Studie (Wittchen-Studie) maßgeblich in Frage.

Das alles könnte man als universitätsinterne Koordinationsschwierigkeiten und fehlende Kontrolle der Projektgelder abhaken. Man könnte sich auch fragen, wie weit Universitäten gehen, um ihre „Exzellenz“ aufrechtzuerhalten.

Die Folge

Das Problem für die psychiatrische Versorgung allgemein ist „bloß“, dass die Studie herausfinden sollte, welche zukünftige Finanzierung von Personal in psychiatrischen, stationären Einrichtungen angemessen ist. Eine (gesundheits-)politisch also höchstbrisante Frage.

Diese Entscheidung wurde nun 2020 als Übergangsregelung, ohne ausreichende wissenschaftliche Belegung, seitens des G-BA gefällt. Geregelt sind Personalstandards fortan in der: „Richtlinie über die Personalausstattung der stationären Einrichtungen der Psychiatrie und Psychosomatik“ (PPP-RL), die bereits im Oktober 2020 wieder modifiziert wurde und Neuregelungen enthält. Es bleibt unverändert bei der stufenweisen Einführung der Mindestvorgaben für die Personalausstattung. Diese müssen derzeit zu 85 Prozent, ab dem 1. Januar 2022 zu 90 Prozent und erst ab dem 1. Januar 2024 zu 100 Prozent erfüllt werden. Wie das kontrolliert wird und ob die neuen Vorgaben eine bedrafsgerechte Versorgung ermöglichen, bleibt eine anhaltende Kontroverse.

So heißt es beim GBA selbst: „Die Weiterentwicklung und Anpassung der Inhalte der PPP-RL sowie ihre Evaluation hat der G-BA bereits mit der Erstfassung festgelegt. So soll eine erste Stufe zur Weiterentwicklung mit Wirkung zum 1. Januar 2022 und eine Evaluation der Richtlinien-Auswirkungen auf die Versorgungsqualität in Deutschland bis zum Jahresende 2024 erfolgen.„

Auf diese komplexen Zusammenhänge kann hier nicht eingegangen werden. Es steht aber fest, dass die Frage der Personalbemessung mit der Neureglung seit 2020 nicht befriedigend beantwortet ist und das obwohl bekannt ist, dass für eine menschenwürdige medizinische Unterstützung, gerade Personalfragen, eine entscheidende Rolle zukommt.

Es ist frustrierend zu erkennen, dass so ein groß angelegtes und reichlich finanziell gefördertes Forschungsprojekt, völlig auf Eis gelegt ist und der Erkenntnisgewinn, sich auf Null zu belaufen scheint. Außer vielleicht der Erkenntnis, dass große Namen und große Universitäten, kein Garant für große wissenschaftliche Qualität sind. Und solche Art Studien wenig dazu beitragen, das Versorgungssystem im Sinne aller Beteiligter, innovativ zu verändern. Die Frage der Personalfinanzierung ist so aufgebläht, dass sinnvolle, einfache Lösungen ins Reich des Unmöglichen geraten und das auf Kosten aller.