Am Dienstag, den 22. September 2020, haben wir von den schockierenden Vorwürfen eines Sexualdelikts gegen einen früheren Assistenzarzt (AA) unseres Hauses erfahren. Erschrocken und entsetzt sehen wir uns mit dieser hochkriminellen Tat konfrontiert. Bis zu diesem Zeitpunkt war uns ein Ermittlungsverfahren gegen diesen AA aus dem April 2020 bekannt. Dabei ging es ausschließlich um den Tatverdacht der Körperverletzung in Bezug auf eine nicht sachgerechte Medikamentengabe. Klinikleitung und Geschäftsführung haben seit Bekanntwerden dieses Verfahrens im April vollumfänglich und unverzüglich mit den Behörden kooperiert und geforderte Unterlagen übergeben. Der Mitarbeiter wurde unverzüglich freigestellt.
Der Vorwurf der nicht-sachgerechten Medikamentengabe aus dem September 2019 wurde somit sorgfältig seitens der Klinikleitung aufgearbeitet. Trotz aller Bemühungen ergaben sich keine Beweise für ein Fehlverhalten des AA, die Anlass dazu gegeben hätten, die Behörden einzuschalten, insbesondere gab es keinerlei Hinweise oder Beschwerden, die auf ein Sexualdelikt hingewiesen haben. Diese Sachlage hat sich jedoch seit Bekanntgabe der neuen Ermittlungsergebnisse durch die Staatsanwaltschaft am Dienstag, den 22. September 2020, grundlegend und dramatisch verändert. Mit dem Wissen von heute hätte man den gesamten Sachverhalt womöglich anders bewertet. Aber zu jenem Zeitpunkt kannten wir den Kontext dieser hochkriminellen Taten schlichtweg nicht.
Dieses Verfahren geht auf eine Anzeige aus dem September 2019 zurück, von der wir dann im April 2020 Kenntnis erlangt haben. Parallel zu dieser Anzeige wurde das EvKB durch eine Patientenbeschwerde auf ein mögliches Fehlverhalten dieses AA aufmerksam. Die Patientin warf dem AA vor, ihr mutmaßlich Sedativa/Betäubungsmittel verabreicht zu haben. Die Zimmernachbarin äußerte ebenfalls diesen Verdacht. Noch an demselben Tag fand ein Gespräch des Oberarztes mit den Patientinnen statt, das der Klärung des Sachverhalts dienen sollte. Außerdem wurde der AA durch den zuständigen Chefarzt zu den vorgebrachten Beschwerdegründen befragt. Es gab zu diesem Zeitpunkt keinerlei Hinweise auf ein Sexualdelikt im EvKB. Auch von den Patientinnen wurde nichts Derartiges geäußert. Es wurden alle erforderlichen Maßnahmen eingeleitet, um dem Vorwurf der nicht-sachgemäßen Medikamentengabe nachzugehen. Neben dem oben genannten Gespräch wurden auf Vorschlag des Oberarztes am selben Tag medizinisch-labortechnische Untersuchungen durchgeführt, um den Vorwurf objektiv abzuklären. Zusätzlich wurde der Betäubungsmittel-Verbrauch der gesamten Klinik kontrolliert. Beide Untersuchungen ergaben keine Auffälligkeiten. Zu dem damaligen Zeitpunkt ließ sich auf Grundlage dieser Aufarbeitung der Verdacht der Patientinnen nicht erhärten.
Zwei Monate zuvor, im Juli 2019, soll während eines vorhergehenden Klinikaufenthaltes eine der beiden Patientinnen eine Propofol-Flasche in ihrem Bett gefunden und dem Klinikpersonal übergeben haben. Zu diesem Zeitpunkt kam es zu keiner offiziellen Beschwerde. Im September 2019 hat die betroffene Patientin im Zuge ihrer Beschwerde über diesen Vorgang berichtet. Weder die Pflegedienstleitung noch die ärztliche Leitung hatten bis dahin Kenntnis von dem Fund einer solchen Flasche. Aus diesem Grund konnte keine Klärung des Sachverhalts erfolgen. Auch aus den laufenden Ermittlungen ist uns Gegenteiliges nicht bekannt. Propofol ist ein Narkosemittel, das nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fällt. Der Verbrauch von Propofol liegt im EvKB bei jährlich 44.000 Ampullen. Diese Größenordnung ist für das EvKB als Haus der Maximalversorgung mit hohem Notfallaufkommen ein normaler Wert. Betäubungsmittel, wie Opiate, werden dagegen verschlossen aufbewahrt und streng kontrolliert.