zum Hauptinhalt
Ganz nah am Patienten arbeiten René Eulenburg und seine Kolleginnen am Virchow-Klinikum.

© Kitty Kleist-Heinrich

Ein Tag mit einem Pfleger in der Charité: Personalmangel in der Pflege – niemand darf ausfallen

In vielen Kliniken fehlen Pflegekräfte, Nachwuchs zu finden ist schwierig. Wie hält man das aus? Und wie wirkt es sich auf die Patientenversorgung aus?

Ruhe herrscht hier nie. Noch nicht mal in der Mittagspause. Krankenpfleger René Eulenburg nimmt gerade einen Bissen von seinem mit Käse belegten Brot, da springt die Kollegin zu seiner Linken direkt wieder auf, um an das Bett einer Patientin zu eilen.

Für die übrigen Pfleger am Tisch nichts Besonderes – bei insgesamt 16 Patienten auf der Station gibt es einfach immer etwas zu tun.

Theoretisch könnten sie zwar auch alle nacheinander Pause machen, um wirklich ein paar Minuten ungestört zu sein, sagt Eulenburg, „aber wir haben entschieden, dass wir lieber als Team zusammensitzen wollen“. Auch wenn dann jeder mal in den sauren Apfel beißen und zwischendurch zurück auf die Station müsse.

Eine Stelle nachzubesetzen, dauert im Schnitt 150 Tage

René Eulenburg arbeitet in der Infektiologie der Charité am Campus Virchow, Station 59. Um 6.30 Uhr hat er am Morgen mit den Kollegen die Nachtschicht abgelöst. „Normalerweise besteht das Team in der Frühschicht aus zwei Pflegefachkräften, einem Pflegehelfer und einer Servicekraft“, sagt Eulenburg.

Eine Fachkraft mehr wäre schon ganz gut, um die Belastung ein wenig zu verringern, fügt er noch hinzu.

[In unseren Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen:leute.tagesspiegel.de]

Gerade muss man allerdings eher froh sein, wenn die normale Besetzung überhaupt erreicht wird. „Denn wenn mal jemand krank ist, wird es schwierig.“

So wie heute. Weil die für die Frühschicht eingeteilte Pflegehelferin kurzfristig krank geworden ist und niemand einspringen konnte, sind Eulenburg und seine Kollegen heute nur zu dritt auf den Fluren der Station unterwegs, plus eine Auszubildende, die Eulenburg bei seiner Schicht begleitet.

Dass das Pflegepersonal in deutschen Kliniken knapp ist, ist bekannt. Und auch vor der Charité macht der viel zitierte Pflegenotstand nicht halt. „Zurzeit haben wir hier drei offene Stellen“, sagt Eulenburg und meint allein nur seine Station.

Eine freie Stelle nachzubesetzen, ist schwierig

An vielen Stellen mangelt es in der Charité derzeit an Pflegekräften. Insgesamt fehlten derzeit mindestens 60 Vollzeitkräfte, sagt die Pflegedirektorin der Universitätsklinik, Judith Heepe.

Eine frei gewordene Stelle nachzubesetzen, gestalte sich gerade in spezialisierten Bereichen schwierig. „Im Bundesdurchschnitt dauert das 150 Tage“, sagt Heepe.

Doch woran liegt es, dass gemessen am Bedarf nur vergleichsweise wenige Menschen den Job als Krankenpfleger für sich entdecken?

Zu schlechte Arbeitsbedingungen

Am Geld eher nicht. Das meint zumindest Pflegedirektorin Heepe. Und beruft sich auf Erhebungen unter Pflegern, die die Charité verlassen haben. Bei den Gründen für deren Ausscheiden stünden auf Platz eins „immer die Arbeitsbedingungen“.

Anrufe in der Freizeit und kurzfristiges Einspringen für Kollegen, aber auch die familienunfreundlichen Arbeitszeiten im Schichtdienst machen den Arbeitnehmern zu schaffen und schrecken potenzielle Neulinge ab.

Geld stehe bei den Kündigungsgründen meist erst an vierter oder fünfter Stelle.

„Wir haben den Bogen überspannt“, sagt die Pflegedirektorin.

Tatsächlich verdienen Krankenpfleger aufgrund der stärkeren Tarifbindung in den Kliniken meist besser als ihre Kollegen in der Altenpflege, von denen viele bei privaten Trägern arbeiten, die gar keine Tarifverträge abgeschlossen haben. Was übrigens dazu führt, dass die Arbeitskräftesituation in der Altenpflege oft noch dramatischer ist als in der Krankenpflege.

Viele wechseln zum Beispiel vom Pflegeheim ins Krankenhaus. Das führt dazu, dass Heimbetreiber sich gar nicht mehr trauen, in der Nähe einer Klinik ein Pflegeheim zu eröffnen.

Auch bei den Arbeitsbedingungen lenken viele Kliniken mittlerweile ein, um die Leute zu halten, so wie die Charité. „Wir haben den Bogen überspannt“, sagt Judith Heepe mit Blick auf die Belastung der Pflegekräfte. Und da deren Zahl zumindest bislang nicht wie gewünscht anwächst, müssten verantwortungsvolle Arbeitgeber eben auf der anderen Seite ansetzen: also bei den Patienten.

Weniger Patienten benötigen schließlich weniger Pfleger. Bei besonders angespannter Personallage „gibt es heute auch mal einen Belegungsstopp“, sagt Heepe. So wie vor einigen Wochen auf der Kinderkrebsstation der Charité, was der Universitätsklinik viel Kritik einbrachte.

Eine Dauerlösung, zumal für alle Kliniken, kann das schon deshalb nicht sein. Aber noch viel wichtiger ist dieser Grund: Weil die Menschen immer älter werden, steigt künftig die Zahl der potenziellen Patienten.

Viele Kliniken im Ausland werben um Fachkräfte

Darum werben viele Kliniken im Ausland um Fachkräfte – an der Charité laufen Kooperationen mit Ausbildungsstätten in Mexiko, Albanien und auf den Philippinen. In Kooperation mit dem berlineigenen Krankenhauskonzern Vivantes hat die Universitätsklinik zudem ein Projekt für einen gemeinsamen Ausbildungs-Campus gestartet.

Hygiene ist wichtig bei der täglichen Arbeit.
Hygiene ist wichtig bei der täglichen Arbeit.

© Kitty Kleist-Heinrich

Bis zum Jahr 2025 soll die Zahl der Pflegeazubis beider Konzerne, die ihre dreijährige Ausbildung beenden, auf rund 3000 verdoppelt werden. „Dann würden wir für den Eigenbedarf ausbilden“, sagt Heepe.

Wieder zurück auf Station 59: Als wären die drei unbesetzten Stellen nicht schon belastend genug, fällt einer von René Eulenburgs Kollegen seit längerer Zeit krankheitsbedingt aus. Ersatz ist nicht in Sicht.

Warum das Engagement, bei all dem Stress?

Für die verbliebenen Pflegekräfte bedeutet das: noch ein bisschen mehr Arbeit. Bis zu 130 Überstunden habe er zwischenzeitlich angehäuft und auch den einen oder anderen Doppeldienst geschoben, sagt Eulenburg, den auf der Station alle nur „Eule“ nennen.

Warum macht er seinen Job trotzdem mit Engagement, bei all dem Stress? „Das positive Feedback der Patienten“, sagt er, das sorge immer wieder dafür, dass er den Beruf mit – tatsächlich verwendet er dieses Wort – Spaß macht.

Für gewöhnlich sind die Aufgaben während einer Schicht klar verteilt: Die sogenannte Behandlungspflege, also Maßnahmen, die auf Anordnung der Ärzte erfolgen, ist den Pflegefachkräften wie René Eulenburg vorbehalten, die eine dreijährige Ausbildung durchlaufen haben. Sie messen Blutzucker, legen Infusionen, verabreichen Medikamente oder wechseln Verbände bei den Patienten.

Wie man Patienten rückenschonend hebt, das will gelernt sein

Währenddessen übernehmen die Pflegehilfskräfte, deren Ausbildung ein Jahr dauert, große Teile der Grundpflege. Die umfasst vor allem die zeitaufwendige Körperpflege, also zum Beispiel Waschen, Haare kämmen oder Rasieren. Außerdem helfen sie den Patienten wenn nötig bei der Esseneinnahme oder dem Gang zur Toilette.

Die dritte Berufsgruppe in diesem als „Qualifikations-Mix“ bezeichneten Effizienz-Steigerungs-Modell sind die Service-Kräfte. Sie übernehmen die Essenausgabe, füllen Material auf und richten die Zimmer für Neuzugänge auf der Station her. Für Entlastung der Pflegefachkräfte soll außerdem ein Patientenmanager sorgen. Er organisiert alles rund um die Zu- und Abgänge auf der Station.

Sie müssen auch die Körperpflege der Patienten übernehmen

Soweit die Theorie. Heute zumindest ist die Praxis auf Eulenburgs Station anders. Wegen des Ausfalls der Pflegehilfskraft müssen René Eulenburg und sein Kollege auch die Körperpflege der Patienten übernehmen. Sie teilen sich die Zimmer auf, jeder übernimmt acht Patienten.

Um kurz nach sieben beginnt Eulenburgs morgendlicher Rundgang durch die Zimmer. Mit dabei: Hannah und natürlich der Stationswagen mit Notfallmedikamenten, Messgeräten und der „Patientenkurve“. So nennt man die dicke Mappe, in der Ärzte und Pfleger alles Wichtige zum Gesundheitszustand und der Pflege ihrer Patienten festhalten.

Die meisten Patienten sind bereits wach, als der Pfleger ihre Zimmer betritt. In der Klinik schläft es sich eben oft nicht wie zu Hause. René Eulenburg erkundigt sich nach dem Befinden, fragt nach Schmerzen. Eine an Morbus Crohn erkrankte Patientin klagt schon am frühen Morgen über starke Übelkeit und erhält ein Medikament gegen ihre Beschwerden.

Als Krankenpfleger, muss man gut zu Fuß sein

Schnell wird klar: Als Krankenpfleger muss man gut zu Fuß sein. 20.000 Schritte während einer Schicht seien keine Seltenheit, sagt Eulenburg. Schließlich muss man ständig hin- und herlaufen, da kommt einiges zusammen auf den langen Krankenhausfluren. Den Schrittzähler hat Eulenburg zur Selbstvergewisserung immer dabei.

Und auch sonst ist die Arbeit als Krankenpfleger nicht nur in fachlicher Hinsicht, sondern auch körperlich durchaus fordernd. „Rückenschonendes Arbeiten ist mir daher sehr wichtig“, sagt René Eulenburg.

Wie das geht, führt er wenig später vor. Eine bettlägerige, sichtlich steife Patientin zum Essen vorsichtig auf einen Stuhl zu befördern, will gelernt sein. René Eulenburg bekommt es technisch einwandfrei hin. Dafür greift er der alten Dame zuerst unter die Arme, stützt ihren Kopf und hebt so ihren Oberkörper vorsichtig vom Bett an.

Kraft, Technik, Geduld und Einfühlvermögen sind gefragt

Als Nächstes geht er in die Knie, um gemeinsam mit ihr aufzustehen. „Auf drei“, sagt er. „Eins, zwei, drei …“ Als das geschafft ist, machen beide zusammen in klitzekleinen Tippelschritten eine Drehung in Richtung Stuhl. Ein bisschen wie beim Paartanz sieht das aus, nur eben viel, viel langsamer.

Krankenpfleger kommunizieren viel bei der Arbeit: Jeden seiner Arbeitsschritte kündigt René Eulenburg in freundlichem Ton, aber deutlich vernehmbar an, um die Patientin vorzubereiten und nicht zu erschrecken.

Neben Kraft und Technik sind in ihrem Fall jede Menge Geduld und Einfühlungsvermögen gefragt.

Würden zwei oder gar drei derart pflegeintensive Patienten auf der Station liegen, wäre die heutige Besetzung wohl kaum ausreichend, um das zu gewährleisten. „Manche Dinge gehen unter“, räumt René Eulenburg ein. Mobilisierung, Hilfe bei der Esseneinnahme, regelmäßiges Umlagern, um Druckstellen zu verhindern: All das nimmt viel Zeit in Anspruch.

Andere Patienten melden sich zwischendurch, weil sie Schmerzen haben und dringend Medikamente benötigen. „Bei den sehr selbstständigen Patienten ist man dann manchmal zu selten.“

Pfleger tagen Handschuhe, wenn sie mit Körperflüssigkeiten in Kontakt kommen könnten

Ein weiterer Grund für den Zeitmangel ist die umfangreiche Dokumentation der Pflegearbeit. Weit mehr als eine Stunde verbringe er jeden Tag damit, Vitaldaten von Patienten zu dokumentieren und Pflegeberichte zu schreiben. Digitale und womöglich mobile Lösungen versprechen zwar Abhilfe für die Zukunft.

Bis dahin werden René Eulenburg und seine Kollegen aber noch ein paar Jahre mit der dicken Papiermappe vorliebnehmen müssen. Immer wieder kreuzen sich die Wege der Ärzte und Pfleger bei ihr, um neue Anordnungen wie zum Beispiel eine veränderte Medikation oder neue Befunde zu besprechen und schriftlich festzuhalten.

Einmalhandschuhe und Desinfektionsmittel sind Pflicht

Mit einer Aufgabe der unangenehmeren Art geht es nach der Mittagspause weiter: René Eulenburg muss die Schutzhose eines stuhlinkontinenten Patienten wechseln und dessen Intimbereich waschen. Immer dann, wenn wie hier das Risiko besteht, mit Körperflüssigkeiten der Patienten in Kontakt zu kommen, bedient sich Eulenburg am Spender für die Einmalhandschuhe.

Auf der Station 59 auf dem Charité Campus Virchow gibt es immer viel zu tun.
Auf der Station 59 auf dem Charité Campus Virchow gibt es immer viel zu tun.

© Kitty Kleist-Heinrich

Vor und nach jedem Patientenkontakt sind die Pfleger zudem angehalten, sich die Hände gründlich zu desinfizieren, um Krankenhausinfektionen zu verhindern.

Gleich neben den Einmalhandschuhen in verschiedenen Größen finden sich daher im Vorraum eines jeden Patientenzimmers Spender und Fläschchen mit Desinfektionsmittel.

Der Krankenpfleger René Eulenburg arbeitet im Bereich Infektiologie und Pneumologie.
Der Krankenpfleger René Eulenburg arbeitet im Bereich Infektiologie und Pneumologie.

© Kitty Kleist-Heinrich

Zur Sicherheit trägt Eulenburg außerdem immer ein Fläschchen in der Kitteltasche. Er hält sich sehr genau an die Vorgaben, auch wenn durch das ständige Verreiben in den Händen viel Zeit draufgeht: Etwa 30 Sekunden Einwirkzeit sind jedes Mal vorgesehen. Gerade im Bereich der Infektiologie seien die Pfleger für das Thema in hohem Maße sensibilisiert.

Endlich für ein paar Minuten Ruhe

Als alle Patienten vorerst versorgt sind, beginnt die Dokumentation. Am PC bringt René Eulenburg die Pflegeplanung für jeden einzelnen seiner Patienten auf den neuesten Stand, verschafft sich einen Überblick, ob auch wirklich alles wie angeordnet durchgeführt wurde – keine Beanstandungen.

Die Utensilien für die tägliche Arbeit.
Die Utensilien für die tägliche Arbeit.

© Kitty Kleist-Heinrich

Danach geht es noch mal an den Schreibtisch. Pflegeberichte vom Tag schreiben. In der Zwischenzeit bleibt der Kollege, der seine Dokumentationsarbeiten schon erledigt hat, allein auf dem Flur.

Nach gut einer Stunde ist schließlich auch das geschafft. Zu guter Letzt steigt noch eine letzte Besprechung im Personalraum. Die Spätschicht steht in den Startlöchern. Und endlich, kurz vor Ende seines Arbeitstages, hat René Eulenburg für ein paar Minuten Ruhe.

Hauke Hohensee

Zur Startseite