Die Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten durch nicht ärztliches Personal ist nach dem neuen § 5a IfSG unter gewissen Voraussetzungen gestattet.
Am 27.03.2020 ist das „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ (BGBI. 2020 I. S. 587) im Bundesgesetzblatt veröffentlich worden. Mit diesem Artikelgesetz wurde auch § 5a des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) implementiert. Die Vorschrift gestattet die Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten durch den dort abschließend benannten Personenkreis. Was gibt es bei der Umsetzung der Vorschrift zu berücksichtigen? Welche Besonderheiten gelten?
Der Deutsche Bundestag hat im Zuge der aktuellen Covid-19-Situation eine epidemische Lage von nationaler Tragweite festgestellt. Um einer Destabilisierung des gesamten Gesundheitssystems vorzubeugen wurde die Bundesregierung in die Lage versetzt, schnell mit schützenden Maßnahmen einzugreifen. Denn das aktuelle Ausbruchsgeschehen der durch das neuartige Corona-Virus verursachten Krankheit Covid-19 zeigt, dass in einem seuchenrechtlichen Notfall das Funktionieren des Gemeinwesens erheblich gefährdet sein kann (BT-Drucksache 19/18111). Um die Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens und des Gesundheitssystems aufrechtzuerhalten hat der Gesetzgeber – zunächst befristet bis zum 31.03.2021 – u. a. § 5a IfSG geschaffen. Die Vorschrift lautet:
„§ 5a Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten bei Vorliegen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, Verordnungsermächtigung
(1) Im Rahmen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite wird die Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten folgenden Personen gestattet:
1.) Altenpflegerinnen oder Altenpflegern,
2.) Gesundheits-und Kinderkrankenpflegerin und Gesundheits- und Kinderkrankenpflegern,
3.) Gesundheits- und Krankenpflegerinnen und Gesundheits- und Krankenpflegern,
4.) Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitätern und
5.) Pflegefachfrauen und Pflegefachmännern
Die Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten ist während der epidemischen Lage von nationaler Tragweise gestattet, wenn
- die Person auf der Grundlage der in der jeweiligen Ausbildung erworbenen Kompetenzen und ihrer persönlichen Fähigkeiten in der Lage ist, die jeweils erforderliche Maßnahme eigenverantwortlich durchzuführen und
- der Gesundheitszustand der Patientin oder des Patienten nach seiner Art und Schwere eine ärztliche Behandlung, im Ausnahmefall einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nicht zwingend erfordert, die erforderliche Maßnahme aber eine ärztliche Beteiligung voraussetzen würde, weil sie der Heilkunde zuzurechnen ist.
Die durchgeführte Maßnahme ist in angemessener Weise zu dokumentieren. Sie soll unverzüglich der verantwortlichen Ärztin oder dem verantwortlichen Arzt oder einer sonstigen die Patienten oder den Patienten behandelnden Ärztin oder einem behandelnden Arzt mitgeteilt werden. (…).
Zweck der Vorschrift
Mit der Vorschrift wird für den Fall einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite dem abschließend aufgelisteten Personenkreis in die Befugnis eingeräumt, heilkundliche Tätigkeiten auszuführen. Voraussetzung ist freilich, dass die betroffene Person die durchzuführende Maßnahme im Rahmen der Berufsausbildung durch die erlangten Kompetenzen durchführen kann. Ärztinnen und Ärzte sollen durch die Legitimation von Behandlungen entlastet werden, die ein ärztliches Tätigwerden im Ausnahmefall vor einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nicht zwingend erfordern.
Welche Voraussetzungen müssen vorliegen?
Die vorübergehende Ausübung der heilkundlichen Tätigkeit ist nur zulässig, wenn die jeweilige Person die persönliche Kompetenz durch Durchführung der Maßnahme aufweist. Diese persönliche Kompetenz kann sich sowohl aus der jeweiligen Ausbildung als auch aus den persönlichen Fähigkeiten ergeben. Persönliche Fähigkeiten wiederum können sich beispielweise aus der Berufserfahrung oder Fort- und Weiterbildung ergeben.
Im Weiteren ist der Gesundheitszustand der jeweiligen Patientin oder des Patienten zu berücksichtigen. Erfordert der Zustand nach seiner Art und Schwere (außerhalb einer epidemischen Lage) eine ärztliche Behandlung nicht zwingend, so ist die Vornahme der jeweiligen Maßnahme dennoch gestattet, wenn sie eine ärztliche Beteiligung voraussetzen würde, weil sie der Heilkunde zuzurechnen ist.
Bedeutung für die Praxis
Die Vorschrift hat zur Konsequenz, dass nicht-ärztliches Personal bei der Durchführung bestimmter ärztlicher Maßnahmen eben nicht mehr der Strafbarkeit des Heilpraktikergesetzes unterfallen. Dies gilt jedenfalls bis zum Ende des obigen Befristungszeitraums. Die Vorschrift stellt keine Universallegitimation für die Durchführung sämtliche ärztliche Maßnahmen dar.
Aus medizinrechtlicher Sicht kommen hier nur solche Maßnahmen in Betracht,
- die tatsächlich Gegenstand einer Berufsausbildung waren,
- bzw. deren Grundlage im Rahmen der jeweiligen nicht-ärztlichen Berufsausbildung vermittelt und erlernt worden sind,
- oder die nach den Grundzügen der Delegation delegationsfähig wären.
Bei allen Varianten wäre darauf zu achten, dass die betroffene Person tatsächlich physisch und psychisch sowie intellektuell dazu in der Lage ist, die jeweilige Maßnahme nebst zu erwartender Komplikationen durchzuführen.
Grundsätzlich sollten bei der Übertragung von heilkundlichen Aufgaben nach § 5a IfSG die Grundzüge der Delegation berücksichtigt werden. Diese sind rechtstechnisch zwar nicht einschlägig, weil § 5a IfSG eine eigene originäre Substitutionsgrundlage darstellt. Dennoch muss bedacht werden, dass die Durchführung heilkundlicher Tätigkeiten auf solche Maßnahmen beschränkt werden sollte, die tatsächlich erlernt und beherrscht werden.
Der Gesetzgeber selbst bezeichnet die Vorschrift als Ausnahmeregelung. Vorrangig sei nämlich eine ärztliche Veranlassung heilkundlicher Maßnahmen, also die ärztliche Delegation.
Dokumentation der Maßnahme
Das Gesetz verlangt eine entsprechende Dokumentation der ausgeübten heilkundlichen Tätigkeit und die unverzügliche Information des Durchführenden an den weiterbehandelnden Arzt. Diese Dokumentation und Informationsvermittlung soll der Sicherstellung des Patientenwohls dienen. Die Vorschrift orientiert sich damit an den ohnehin schon geltenden Vorgaben einer medizinischen Dokumentation. Dabei gilt, dass bei der Durchführung der heilkundlichen Maßnahmen durch nicht ärztliches Personal all diejenigen Gesichtspunkte zu dokumentieren sind, die medizinische Relevanz haben.
Versicherungsrelevante Risikoerhöhung
Abschließend ist noch ein versicherungsrechtlicher Gesichtspunkt zu thematisieren. Die Haftpflichtverträge im Gesundheitswesen versichern ein bestimmtes definiertes Risiko. Grundlage für die Risikobemessung sind u.a. auch die Anzahl der beschäftigten Ärzte (etwa in einer Berufsausübungsgemeinschaft). Die Durchführung heildkundlicher Maßnahmen (die eigentlich dem Arztvorbehalt unterliegen) durch nicht ärztliches Personal könnte eine versicherungsrelevante Risikoerhöhung darstellen. Hierfür ist es erforderlich, dass Sie proaktiv auf Ihren Versicherungsanbieter herantreten um dieses überprüfen zu lassen. Denn ggf. droht eine Deckungslücke, weil die Durchführung heilkundlicher Maßnahme durch nicht ärztliches Personal – rechtlich betrachtet – als Substitution zu werten wäre. Diese ist aber nicht stest von dem „normalen“ Vertrags zur Berufshaftpflichtversicherung gedeckt.
Checkliste
1. Bei der Durchführung heilkundlicher Maßnahmen durch nicht ärztliches Personal sollte auf bestehende Algorithmen oder SOP zurückgegriffen werden.
2. Bestehende Delegationskataloge sollten die Grundlage der Arbeitsabläufe werden.
3. Die vollständige Haftung für die Durchführung der Maßnahme geht mit § 5a alleine auf den Durchführenden über. Dieser übernimmt nicht nur (wie im Wege der Delegation) die Durchführungsverantwortung sondern auch die Anordnungsverantwortung. Hierunter versteht man die rechtliche Verantwortung für die Entscheidung über das „ob“ Ende einer Maßnahme.
4. Der Personenkreis in § 5a ist abschließend geregelt. Eine – in der Praxis eventuell erforderliche – Heranziehung weiterer Personen kann aktuell nur unter den Rahmenbedingungen einer Delegation rechtssicher funktionieren.
5. Als durchführende Person sollten sie die entsprechende heilkundliche Maßnahme sowie die Durchführung derselben dokumentieren. Hierbei gilt keine Besonderheit. Es gelten die regulären Grundsätze einer medizinischen Dokumentation.
6. Kläger Sie die Frage der Risikoerhöhung kurzfristig mit Ihrer Berufshaftpflichtversicherung ab.
Autor: Frank Sarangi, LL.M., Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht, Lehrbeauftragter der Fakultät für Gesundheitder Universität Witten Herdecke, JORZIG Rechtsanwälte, frank.sarangi@jorzig.de