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Der Vorsitzende Richter Michael Kuhn hatte die verfahrene Situation zu Beginn zutreffend beschrieben: "Es ist schwierig, dem Fall komplett gerecht zu werden." Zur Erinnerung: Der frühere Unfallchirurgie-Chefarzt Moghaddam war im März 2021 überraschend entlassen worden. Seitdem streiten das Klinikum und der Medizinprofessor. Im August 2021 hatte das Arbeitsgericht Aschaffenburg Moghaddams Klage gegen die Kündigung abgewiesen, das Landesarbeitsgericht ist nun die zweite Instanz in dem Verfahren.
Moghaddam, der am Donnerstag von seinem neuen Anwaltsteam bestehend aus dem Aschaffenburger Anwalt Jochen Lang und dem Würzburger Anwalt Ulrich Voß vertreten wurde, beharrt auf seiner Wiedereinstellung. Seine juristischen Vertreter forderten eine Million Euro (brutto) Abfindung wegen der Gehaltsansprüche seit der Kündigung, der Tatsache, dass er seitdem nicht als Chefarzt arbeiten kann sowie für die Rufschädigung. Das Klinikum lehnte diese Forderung ab. "Wir werden nichts tun, das den Eindruck erweckt, er hätte Recht bekommen", sagte der Anwalt des Klinikums, Ulrich Koos.
Richter Michael Kuhn zeigte sich erstaunt: »Eine Abfindung ist das Normalste der Welt.« Zugleich erläuterte er der Moghaddam-Seite, dass ein Arbeitsgerichtsverfahren untauglich sei, alle Vorwürfe vollumfänglich abzuarbeiten und wie von ihm gewünscht die Reputation wiederherzustellen. Er ging sogar noch einen Schritt weiter: Das Verfahren und die dabei geäußerten Vorwürfe zu Kunstfehlern habe bei ihm dazu geführt, unter allen Umständen einen Krankenhausaufenthalt zu vermeiden. Eine von Richter Kuhn angeregte Verhandlung beim Güterichter des Landesarbeitsgerichts lehnten beide Seiten ab.
Während der Verhandlung wurden die bereits bekannten Vorwürfe (falsch dokumentierte und abgerechnete Lappenplastiken, Anstiftung zur Fälschung von OP-Protokollen) erneut angesprochen. Zudem gab es neue Vorhaltungen: Die Moghaddam-Seite behauptete, das Klinikum habe auch gegenüber anderen leitenden Ärzten Vorwürfe der Manipulation erhoben, Klinik-Geschäftsführer Sebastian Lehotzki wies das als unwahr zurück. Darüber hinaus hieß es, Oberärzte aus Moghaddams Abteilung verzeichneten finanzielle Vorteile nach seinem Weggang, wodurch sich erkläre, dass sie den früheren Chefarzt belasteten. Das Klinikum wies auch das zurück.
Am Nachmittag setzte das Landesarbeitsgericht laut einer Sprecherin fest, dass am 18. August eine Entscheidung in dem Verfahren verkündet wird. Beobachter des Verfahrens gehen davon aus, dass die Kammer die umfangreichen Akten erneut würdigen will. Am 18. August könnte die Entscheidung über die Klage bekanntgegeben werden - oder eine erneute Beweisaufnahme beschlossen werden.
Zeit, mehrere Wochen Zeit nimmt sich das Landesarbeitsgericht in Nürnberg, um im völlig verfahrenen arbeitsrechtlichen Konflikt zwischen dem Klinikum Aschaffenburg-Alzenau und dem ehemaligen Chefarzt der Unfallchirurgie, Arash Moghaddam, Recht zu sprechen. Viele Ordner füllen die Gerichtsakten, schwerste Vorwürfe gegeneinander sind enthalten. Da braucht das Gericht, das exzellent vorbereitet in die Verhandlung ging, offensichtlich noch etliche Stunden zur Entscheidungsfindung.
Unversöhnlich, gar feindselig im Ton standen sich die Parteien bei der Verhandlung in Nürnberg gegenüber. Sie wiederholten viel Altbekanntes, zogen aber auch – für die Öffentlichkeit – Neues aus dem Ärmel, manches bewusst, anderes eher versehentlich. So kamen Abfindungsforderungen in siebenstelliger Höhe ans Licht, aber auch neue Vorwürfe gegen ehemalige Arztkollegen (die als Zeugen im Verfahren mitmischen und deren Glaubwürdigkeit diskutiert wurde) oder gegen die Richter der ersten Instanz wegen des Verhandlungsmanagements und ihrer Beweiswürdigung.
Kein Vergleich möglich: Wer glaubt, Zeit heile alle Wunden, wird in dieser Auseinandersetzung eines besseren belehrt. Ganz im Gegenteil: Jeder Verfahrensschritt, jeder ins Land gehende Monat scheint neue Verletzungen, neue Gräben, zusätzliche Konfliktlinien zu produzieren. Entsprechend brüsk wiesen die Konfliktparteien den Vorschlag der Kammer zurück, unter der Moderation eines Güterichters einen sinnvollen Vergleich zu finden.
Beide Seiten sind weit gegangen, für beide Seiten geht es längst um mehr als um eine arbeitsrechtliche Auseinandersetzung: Es geht um Fragen der persönlichen Ehre, der Reputation, der Gesichtswahrung, des bedingungslosen Rechthabens und Rechtbehaltens – und auch darum, dass die andere Seite unbedingt als Verlierer das juristische Feld verlassen soll.
Und auch die politische Seite sollte niemand unterschätzen, schließlich ist das Klinikum Aschaffenburg-Alzenau in kommunaler Hand. Der Aschaffenburger Oberbürgermeister und der Landrat, Stadt- und Kreisräte stehen (mindestens) im Aufsichtsrat in der Verantwortung.
Emotional tief getroffen: Der emotional tief getroffene, bei seinen Patienten hoch angesehene Moghaddam sieht sich selbst nach wie vor als Opfer einer Intrige, die ärztliche Kollegen und das Klinikmanagement (angeblich) gesponnen hätten, weil er Behandlungsfehler von Mitarbeitern angeprangert habe. Sein ehemaliger Arbeitgeber verweist ganz nüchtern auf Moghaddams (angebliche) Verfehlungen wie etwa das Anstiften zur Fälschung von OP-Protokollen – zur Kündigung habe es in dieser Gemengelage gar keine Alternative gegeben.
Da keine Seite in dieser – selbst aufgebauten – Konstellation auch nur einen Millimeter nachgeben kann oder will, produziert die – wenigstens halböffentlich ausgetragene – Schlammschlacht nur Verlierer. Wenn niemand erkennen will, dass eine juristische Sackgasse erreicht ist, weil abschließende »Wahrheit« auf dem beschrittenen Weg nicht zu ermitteln sein wird – dann geht es irgendwann nur noch ums Beschädigen des Gegenübers. Der vorsitzende Richter am Landesarbeitsgericht hat versucht, beide Parteien genau darauf hinzuweisen – und ist damit (erwartbar) gescheitert.
Wie soll, wie kann das alles enden? Egal, was das Landesarbeitsgericht am 18. August verkünden wird, es wird nicht das Ende sein. Werden tatsächlich noch einmal neue Beweise erhoben, geht es ohnehin in öffentlicher Verhandlung in Nürnberg weiter. Gewinnt eine Seite, wird die andere mit allen Mitteln versuchen, vor dem Bundesarbeitsgericht als dritter Instanz Gehör zu finden.
Der Konflikt wird also in die nächste Runde gehen. Niemand wird damit auf absehbare Zeit abschließen, niemand mit ganzer Kraft Neues anpacken können. Vielleicht lässt sich das Landesarbeitsgericht aber auch deshalb so viel Zeit mit einer Entscheidung, um allen Beteiligten eine Phase des Nachdenkens zu ermöglichen – damit neue Einsichten reifen können.
Martin Schwarzkopf
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