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Wie die Personalprobleme in Krankenhäusern gelöst werden sollen

Eine neue AOK-Studie zeigt, dass mehr ambulant behandelt werden könnte und wenigere, aber spezialisierte Kliniken Vorteile für alle hätten.

Von Stephanie Wesely
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Wenn mehr Patienten in der Notaufnahme ambulant behandelt würden, könnte man das Personal entlasten, zeigt eine AOK-Studie.
Wenn mehr Patienten in der Notaufnahme ambulant behandelt würden, könnte man das Personal entlasten, zeigt eine AOK-Studie. © dpa

Viele Kliniken klagen über Personalmangel. Dabei ist die Zahl der Ärztinnen und Ärzte in deutschen Krankenhäusern seit 2000 kontinuierlich gestiegen – von 109.000 auf rund 173.000 im Jahr 2021. Auch die Zahl der Pflegekräfte hat sich in diesem Zeitraum erhöht, um etwa zwölf Prozent. „Im Europavergleich beschäftigt Deutschland, bezogen auf die Einwohnerzahl, sogar überdurchschnittlich viel Personal. Bei Ärzten liegen wir auf Platz acht von 17, beim Pflegepersonal auf Platz zehn“, sagt Professor Jürgen Wasem, Mitherausgeber des Krankenhausreports, den das Wissenschaftliche Institut (Wido) der AOK am Mittwoch vorgestellt hat.

Mehr Patienten zu versorgen

Das Problem: Ärzte und Pflegekräfte in Deutschland müssen mehr Patienten versorgen. Der europäische Mittelwert liegt laut Wido bei zwölf Ärzten und 27 Pflegekräften pro 1.000 Patienten. Doch in Deutschland stehen für sie im Schnitt nur acht Ärzte und 19 Pflegekräfte zur Verfügung – das ist der drittletzte Platz. „Insofern haben wir, gemessen an der hohen Patientenzahl, zu wenig Krankenhauspersonal“, so Wasem. Seine Analyse bezieht sich auf 2019. Corona habe die Situation noch verschärft.

Dem Report zufolge sei dafür auch der in Deutschland hohe Anteil von sogenannten Kurzliegern im Krankenhaus verantwortlich. Patienten, die weniger als vier Tage auf Station bleiben, könnten meist auch ambulant gut versorgt werden und damit Personal entlasten. „Allein die 30 häufigsten operativen Eingriffe mit einem geringen medizinischen Schweregrad machen etwa vier Prozent aller Pflegetage im Krankenhaus aus“, so Wasem, der Lehrstuhlinhaber für Medizinmanagement an der Uni Duisburg-Essen ist. Wenn man das gesamte Potenzial „ambulantisierbarer“ Operationen und Behandlungen betrachte, könnten noch wesentlich mehr Krankenhaustage vermieden werden.

Notfälle, die oft keine sind

Auch die geplante Reform der Notfallversorgung eröffne Chancen für eine personelle Entlastung. Befragungen hätten gezeigt, dass viele Patienten, die über die Notaufnahmen ins Krankenhaus kommen, auch ambulant hätten behandelt werden können. Während in Deutschland etwa 50 Prozent der Notfälle stationär aufgenommen werden, sind es in den Niederlanden und in Frankreich nur 32 beziehungsweise 22 Prozent. Über die Hälfte der in den Notaufnahmen Wartenden bewerteten ihr Anliegen selbst als nicht so dringlich.

Durch die älter werdende Bevölkerung gehen die Autoren des Reports von einer steigenden Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen und damit auch von einem höheren Personalbedarf aus. Doch nach vorläufigen Daten des Statistischen Bundesamtes ist die Zahl der Pflege-Azubis von 2021 bis 2022 um sieben Prozent zurückgegangen. Außerdem werden mehr Beschäftigte ihre Arbeit im Krankenhaus aufgeben. So zeigt der Report, dass nach 20 Jahren nur noch 60 Prozent der Krankenschwestern und Krankenpfleger in ihrem angestammten Beruf tätig sind. Bei den Hilfskräften habe mehr als die Hälfte nach zwei Jahren den Beruf gewechselt.

Krankenhausreform ist eine Chance

Die Wissenschaftler sehen deshalb die geplante Krankenhausreform als Chance – sowohl für die Personalsituation als auch für die Behandlungsqualität. Kernstück der Reform sei die Zuweisung von Behandlungsschwerpunkten an die Kliniken, sagt AOK-Bundeschefin Carola Reimann. Zwar blieben dadurch nicht alle Krankenhäuser in ihrer jetzigen Form erhalten. Doch die künftigen Leistungen orientierten sich am konkreten Bedarf der Patienten und an Strukturanforderungen der Regionen. Das verhindere unter anderem, dass nur lukrative Leistungen vorgehalten würden.

Reimann nennt das Beispiel der zertifizierten Krebszentren. Nach wie vor würden zu viele Patienten außerhalb solcher Zentren behandelt. Laut Professor Jürgen Schmitt von der Uni Dresden würden in Deutschland jedes Jahr etwa 4.700 Krebspatienten innerhalb der ersten fünf Jahre nach Diagnose weniger sterben, wenn sie in zertifizierten Krebszentren mit adäquater Ausstattung, besonderer Qualifikation des Personals und Mindest-Fallzahlen behandelt würden.

Auch durch die Konzentration der Schlaganfallversorgung auf Spezialkliniken ergebe sich ein ähnlich großes Potenzial. Jährlich erleiden rund 290.000 Menschen in Deutschland einen Schlaganfall. Einer Studie zufolge verstarben innerhalb eines Jahres 30,4 Prozent, wenn die Schlaganfallbehandlung in einer nicht spezialisierten Klinik stattfand. In Kliniken mit Spezialeinheit waren es nur 23,9 Prozent. Doch immer noch würde ein Viertel der Schlaganfallpatienten ohne sogenannte Stroke Unit behandelt.

Sachsen entscheidet im Juni

In Sachsen, wo ab 2024 ein neuer Krankenhausplan in Kraft treten soll, stellen Kliniken derzeit ihre Anträge auf Leistungsbereiche, die sie künftig anbieten wollen. „Bis Juni soll daraus ein erster Entwurf erarbeitet werden“, sagt Friedrich R. München, Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft Sachsen.

Durch die Krankenhausreform könnten laut AOK-Chefin Reimann größere und personell besser ausgestattete Kliniken entstehen, die auch flexibler auf Engpässe reagieren könnten – zum Beispiel durch Einrichtung von Personalpools über die Fachabteilungen hinweg. Die Reform könne allerdings nur mit umfangreichen Investitionen gelingen, die für den Umbau der Krankenhäuser erforderlich sei.

Kliniken müssen selbst etwas tun

Krankenhäuser könnten laut Wido aber auch selbst einiges tun, um die Attraktivität als Arbeitgeber zu steigern. Dazu gehörten bessere Angebote zur Vereinbarung von Familie und Beruf sowie ein innovatives Personalmanagement. Weitere Maßnahmen seien die Förderung der akademischen Ausbildung und ein größerer Anteil von an Hochschulen ausgebildeten Pflegekräften, ebenso die Anwerbung von Arbeitskräften aus dem Ausland.

Reimann: „Vor allem an der immer noch weitverbreiteten Gelegenheitsversorgung muss sich etwas ändern.“