S 28 KR 856/16

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
28
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 28 KR 856/16
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 646,98 Euro nebst Zinsen i.H.v. 4 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 15.11.2013 zu zahlen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Bezahlung der Kosten für eine stationäre Behandlung i.H.v. 646,98 EUR streitig.

Die bei der Beklagten versicherte Patientin C. wurde vom 20.09.2013 bis 01.10.2013 im Klinikum A-Stadt der Klägerin stationär behandelt. Die Behandlung erfolgte aufgrund der Diagnose A04.7 "sonstige bakterielle Darminfektionen Enterokolitis durch Clostridium difficile". Sie wurde am 01.10.2013 um 12.53 Uhr entlassen.

Am 02.10.2013 um 10.14 Uhr wurde die Versicherte wegen einer psychischen Störung zur stationären Behandlung in das I-Klinikum I-Stadt aufgenommen.

Die Klägerin rechnete die erbrachten Leistungen mit der DRG G48A ab und stellte der Beklagten 5.081,20 EUR in Rechnung (Rechnung vom 23.10.2013). Die Beklagte wies die Rechnung zurück und bat um Erstellung einer neuen Rechnung mit Berücksichtigung von Verlegungsabschlägen. Die Klägerin kam dieser Aufforderung nicht nach. Die Beklagte zahlte daraufhin am 14.03.2014 unter Abzug eines Verlegungsabschlags einen Betrag von 4.434,22 EUR.

Die Klägerin hat am 02.06.2016 Klage zum Sozialgericht München erhoben und den Differenzbetrag von 646,98 EUR geltend gemacht. Sie weist darauf hin, dass ein Zusammenhang der psychiatrischen Erkrankung mit der im Klinikum A-Stadt behandelten Darmerkrankung denknotwendig ausgeschlossen sei. Es sei schon begrifflich keine Verlegung erfolgt, sondern eine Entlassung aus dem Klinikum A-Stadt nach beendeter Behandlung in die hausärztliche Weiterbetreuung. Die Aufnahme in der psychiatrischen Fachklinik in I-Stadt sei ohne Veranlassung oder Zutun der Klinik in A-Stadt und wegen einer gänzlich anderen Erkrankung erfolgt. Nach herrschender Rechtsprechung sei eine Verlegung trotz erneuter Aufnahme in ein Krankenhaus innerhalb von 24 Stunden zu verneinen, wenn bei den beiden stationären Krankenhausaufenthalten völlig verschiedene Erkrankungen vorlägen und behandelt würden.

Die Klägerin beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 646,98 EUR nebst Zinsen i.H.v. 4 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 15.11.2013 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Verlegungsabschlag zu berücksichtigen gewesen ist. Die Voraussetzungen des § 3 FPV 2013 seien erfüllt. Es komme nicht auf einen (medizinischen) Zusammenhang zwischen den jeweiligen Erkrankungen an. Vielmehr seien die Regelungen im Fallpauschalen-Katalog streng nach ihrem Wortlaut auszulegen. Die Beklagte hat klargestellt, dass ausweislich der ihr zur Verfügung stehenden Unterlagen die Versicherte am 01.10.2013 ordnungsgemäß nach Beendigung der Behandlung entlassen wurde.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den gesamten Akteninhalt sowie die von der Beklagten beigezogene Akte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 646,98 EUR zzgl. Zinsen aus dem Behandlungsfall C.

Die streitgegenständliche Rechnung vom 23.10.2013 ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin war nicht verpflichtet, einen Verlegungsabschlag i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 1 Fallpauschalenvereinbarung 2013 (FPV 2013) vorzunehmen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG erfolgt die Anwendung der FPV-Abrechnungsbestimmungen eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht. Nur dann kann eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, ihren Zweck erfüllen. Da das DRG-basierte Vergütungssystem vom Gesetzgeber als jährlich weiter zu entwickelndes (§ 17b Abs. 2 Satz 1 KHG) und damit "lernendes" System angelegt ist, sind bei zutage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (BSG, Urteil vom 17.11.2015, Az. B 1 KR 13/15 R, Rn. 13 m.w.N.).

§ 1 Abs. 1 FPV 2013 lautet: Die Fallpauschalen werden jeweils von dem die Leistung erbringenden Krankenhaus nach dem am Tag der voll- oder teilstationären Aufnahme geltenden Fallpauschalen-Katalog und den dazu gehörenden Abrechnungsregeln abgerechnet. Im Falle der Verlegung in ein anderes Krankenhaus rechnet jedes beteiligte Krankenhaus eine Fallpauschale ab. Diese wird nach Maßgabe des § 3 gemindert; dies gilt nicht für Fallpauschalen, die im Fallpauschalen-Katalog als Verlegungs-Fallpauschalen gekennzeichnet sind; für diese Verlegungsfälle sind beim verlegenden Krankenhaus die Regelungen des Absatzes 3 entsprechend anwendbar. Eine Verlegung im Sinne des Satzes 2 liegt vor, wenn zwischen der Entlassung aus einem Krankenhaus und der Aufnahme in einem anderen Krankenhaus nicht mehr als 24 Stunden vergangen sind.

Gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 FPV 2013 ist im Falle einer Verlegung in ein anderes Krankenhaus von dem verlegenden Krankenhaus ein Abschlag vorzunehmen, wenn die im Fallpauschalen-Katalog ausgewiesene mittlere Verweildauer unterschritten wird.

Im vorliegenden Behandlungsfall war die Versicherte C. 11 Tage vom 20.09. bis 01.10.2013 stationär in Behandlung (vgl. zur Berechnung § 1 Abs. 7 FPV 2013), so dass die mittlere Verweildauer der DRG G48A, die laut Fallpauschalen-Katalog 2013 13,1 Tage betrug, unstreitig unterschritten war.

Unstreitig lagen zwischen der Entlassung aus dem Klinikum A-Stadt und der Aufnahme ins I-Klinikum I-Stadt weniger als 24 Stunden.

Allein nach dem Wortlaut war gemäß der Definition des § 1 Abs. 1 Satz 4 FPV 2013 eine Verlegung im Sinne des Satzes 2 gegeben.

Der vorliegende Fall ist jedoch dadurch gekennzeichnet, dass die Versicherte unstreitig vom klägerischen Klinikum ordnungsgemäß nach Beendigung der Behandlung am 01.10.2013 entlassen wurde, d.h. der Behandlungsfall war abgeschlossen.

In einem solchen Fall ist nach Auffassung der Kammer der Begriff der Verlegung gem. § 1 Abs. 1 Satz 4 FPV 2013 dahingehend systematisch auszulegen, dass eine solche nur gegeben ist, wenn die Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit des Patienten zum Zeitpunkt der Entlassung noch weiter besteht (LSG Thüringen, Urteil vom 28.08.2012, Az. L 6 KR 295/11, Rn. 23 zu § 1 Abs. 1 Satz 4 FPV 2005). Die Kammer schließt sich der Ansicht des LSG Thüringen an, wonach den Vorschriften des § 17b Abs. 1 Satz 3 KHG und § 8 Abs. 2 Satz 1 KHEntG zu entnehmen ist, dass unter Behandlungsfall bei einer stationären Behandlung im Fallpauschalensystem die gesamte Behandlung derselben Erkrankung zu verstehen ist, die ein Patient von der stationären Aufnahme bis zur Entlassung aus der stationären Behandlung erhält. Ein neuer medizinischer Behandlungsfall kann unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks des Fallpauschalensystems erst zur Abrechnung gelangen, wenn der vorhergehende medizinische Behandlungsfall als abgeschlossen anzusehen ist. Dies ist erst anzunehmen, wenn der/die Versicherte die aus medizinischer Sicht erforderliche Behandlung in vollem Umfang erhalten hat (LSG Thüringen, ebenda, Rn. 25). Diese Systematik liegt auch den Regelungen der §§ 1- 3 FPV 2013 zugrunde.

Es wird in der Systematik der Vorschriften der FPV hinreichend deutlich, dass der Begriff der Verlegung und insbesondere die Berechnung des Verlegungsabschlages an den Begriff Behandlung als abzurechnende Einheit anknüpfen, mit der Folge, dass ein Verlegungsabschlag nur vorgenommen werden kann, wenn zum Zeitpunkt der Entlassung des Versicherten aus dem Krankenhaus seine Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit noch nicht aufgehoben, sondern eine weitere Behandlung erforderlich war (ausführlich LSG Thüringen, ebenda, Rn. 26).

Aus den genannten Gründen war im vorliegenden Fall kein Verlegungsabschlag anzusetzen.

Die Klägerin hat Anspruch auf Verzugszinsen in Höhe von vier Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15.11.2013, also drei Wochen nach der Rechnungsstellung vom 23.10.2013.

Die Kostenentscheidung basiert auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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