Sonst klingelte der Hausmeister, wenn er etwas reparieren sollte. Am letzten Märztag aber steht er plötzlich im Türrahmen von Dolores Hanitzsch, um ihr mitzuteilen, dass es bald nichts mehr zu reparieren gibt. Lange hat das Krankenhaus gegen seine Finanzierungslücken gekämpft. Doch nun ist Schluss. Die Klinikleitung hat den Hausmeister losgeschickt, um Kündigungsschreiben zu verteilen. Nach 30 Jahren als Ärztin im Krankenhaus in Havelberg in Sachsen-Anhalt verlieren Hanitzsch und mit ihr alle 52 anderen Ärztinnen und Pflegekräfte ihren Job. Mitten in der Corona-Krise.

Überall werden in Deutschland Intensivbetten aufgestockt, Personalkapazitäten in Krankenhäusern erhöht, Zelte zum Testen von Patienten errichtet. Sogar in Hotels und Messehallen sollen Menschen behandelt werden, um die Corona-Krise zu bewältigen. Denn das Virus könnte das deutsche Gesundheitssystem unter schweren Stress setzen. Lothar Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts, spricht davon, dass man damit rechnen müsse, "dass die Kapazitäten nicht ausreichen werden".

Zur selben Zeit reden Krankenhaus-Chefs in Witten, Hamburg und Herne über Kurzarbeit. Vor allem große private Klinikbetreiber wie Asklepios, Paracelsus und Schön schließen Kurzarbeit nicht aus. In Peine meldet ein Krankenhaus sogar Insolvenz an. Was ist da los?

Bürgermeister beklagen Kliniksterben

Achim Brötel ist CDU-Politiker und Landrat im Neckar-Odenwald-Kreis. Schon lange setzt er sich dafür ein, dass die Kliniken im Kreis erhalten bleiben. Doch das sei ein schwieriges Unterfangen: "Krankenhäuser im ländlichen Raum sind seit Einführung der Fallpauschalen chronisch unterfinanziert", sagt Brötel. Seit 2004 erhalten Kliniken für jede Behandlung einen festen Betrag von den Krankenkassen und nicht mehr Tagessätze, die sich an der Länge der Behandlungsdauer orientieren. Kleine Krankenhäuser mit wenigen Behandlungen oder mit Patienten, die lange bis zu ihrer Entlassung gepflegt werden müssen, geraten dadurch in finanzielle Schwierigkeiten.

Das ist Absicht. Denn über viele Jahre galt das deutsche Krankenhauswesen als zu teuer. Zu viele oft kleine Kliniken überall im Land seien dauerhaft nicht zu finanzieren, hieß es. Immer wieder verwiesen Fachleute auf andere europäische Länder, die mit wesentlich weniger Krankenhäusern auskämen. Auch ein medizinisches Argument steckt hinter der Idee, die Zahl der Krankenhäuser zu reduzieren. Wer bestimmte Behandlungen und Eingriffe oft vornimmt, hat Routine und das hebt die Qualität. Wo solche Behandlungen selten vorkommen, werden schneller Fehler gemacht. Jahrelang schien dieses Kalkül aufzugehen. Vor 20 Jahren zählte das Statistische Bundesamt noch knapp 2.400 Krankenhäuser. Übriggeblieben sind laut Bertelsmann-Stiftung nur noch rund 1.400.

Tatsächlich sind in Süddeutschland laut einer Studie 6 von 10 Krankenhäusern chronisch unterfinanziert. 78 Prozent der öffentlichen Krankenhäuser sind verschuldet. Auch die Neckar-Odenwald-Klinik gehört dazu, im vergangenen Jahr musste der Landkreis von Achim Brötel ein Defizit von 12 Millionen Euro ausgleichen. "Das geht auf Dauer nicht", sagt Brötel.

Spahn befürwortete Klinikschließungen

Ende Februar noch hatte Gesundheitsminister Jens Spahn mehr Mut bei Krankenhausschließungen empfohlen. Die Bertelsmann-Stiftung veröffentlichte 2019 eine aufsehenerregende Studie, nach der die Zahl der Krankenhäuser in Deutschland von 1.400 auf 600 Kliniken reduziert werden müsste. Zwei Drittel der Krankenhäuser seien überflüssig.

Doch seit das Coronavirus aufgetaucht ist, scheint alles anders zu sein. "Dieselben Politiker und Interessenvertreter, die bis vor Kurzem Schließungen verlangt haben, fordern jetzt eine Ausweitung der Kapazitäten", sagt Brötel. Der Landrat stellt mit Blick auf die Bertelsmann-Studie fest: "Wenn wir das umgesetzt hätten, bräuchten wir den Kampf gegen Corona gar nicht erst beginnen. Wir hätten ihn schon längst verloren." Die Kliniken in seinem Landkreis seien vom Schließungsplan direkt betroffen. Hätte sich der Landkreis an diese Vorschläge gehalten, sagt Brötel, würden sie schon jetzt an die Grenzen ihrer Intensivkapazitäten stoßen.