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Zukunft der Krankenversorgung

Was die Krankenhausreform für Ravensburg und Bodenseeregion bedeuten würde

Ravensburg / Lesedauer: 7 min

Werden bald noch mehr Krankenhäuser in der Region geschlossen oder abgespeckt? Wenn es nach der Bundesregierung geht, wäre das möglich. Welche Kliniken gefährdet sind.
Veröffentlicht:15.03.2023, 07:00

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Geht es nach Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), soll die Krankenhauslandschaft grundlegend reformiert werden.

Künftig gäbe es dann nur große und sehr große Krankenhäuser mit einem breiten Behandlungsspektrum, kleinere Häuser mit einer rudimentären Grundversorgung und medizinische Versorgungszentren, an denen Patienten ambulant behandelt werden können, aber nicht rund um die Uhr und an allen Tagen die Woche.

Was eine 1:1–Umsetzung dieser Pläne für die Kreise Ravensburg und Bodensee bedeuten würde und wie die kommunalen Träger das beurteilen.

Urteil vernichtend und originell

Das Urteil der Baden–Württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG) nach Bekanntwerden der Pläne war vernichtend — und recht originell.

Denkbar ist so etwas vielleicht, wenn die Menschheit eines Tages einen Planeten neu besiedeln muss und vorab eine Krankenhausversorgung plant,

heißt es in einer Pressemitteilung.

 Der Vorschlag der Regierungskommission, die Krankenhäuser in mehrere Kategorien aufteilt, tauge „vielleicht in der Theorie und auf der grünen Wiese, für die Weiterentwicklung einer gewachsenen Struktur ist das Berliner Konzept dagegen schlicht ungeeignet“, so BWKG–Vorstandsvorsitzender Heiner Scheffold.

Im Konzept werden Krankenhäuser in mehrere Kategorien aufgeteilt. Level–3-Krankenhäuser wären Maximalversorger, also beispielsweise Unikliniken oder solche mit einem riesigen Leistungsspektrum. Nur dort dürften künftig sehr spezielle Therapien angeboten werden, die eine hohe medizinische Expertise erfordern, beispielsweise die ECMO (eine Art künstliche Lunge), zu Hochzeiten der Corona–Pandemie letzte Hoffnung für viele Covid–Kranke. Level 2 wären Zentralversorger mit einem breiten, aber nicht allumfassenden Leistungsspektrum.

Entfernung zu größerem Krankenhaus ist entscheidend

Level 1 ist noch einmal unterteilt in Häuser der Grundversorgung (1n) und regionale Gesundheitszentren (1i). 1n–Kliniken dürften eine internistische und chirurgische Basisversorgung machen, eventuell noch ergänzt um Palliativmedizin und Geriatrie.

In 1i–Häusern gäbe es keine Rund–um–die–Uhr–Betreuung der Patienten mehr, sondern überwiegend einfachere ambulante Behandlungen. In welche Kategorie ein bestehendes Krankenhaus fällt, wäre auch von der Distanz und damit Erreichbarkeit eines Level–2-oder3–Hauses abhängig. Die Grenze soll bei 30 Fahrminuten liegen. Geburtshilfe gäbe es dort gar nicht mehr, sondern nur noch in Level–2– oder 3–Häusern.

Auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“ haben die Oberschwabenklinik (OSK) mit Sitz in Ravensburg, zu der die Akutkliniken in Ravensburg, Wangen und (noch) Bad Waldsee gehören, sowie der Medizin–Campus Bodensee (MCB) mit Kliniken in Friedrichshafen und Tettnang Stellung bezogen, in welcher Kategorie ihre Standorte nach diesem Plan landen würden.

Die Standorte im Überblick

Ravensburg: Das Elisabethen–Krankenhaus wäre nach den Lauterbach–Plänen Stand jetzt mindestens Level 2. „Sobald sich die Umsetzung der Krankenhausreform weiter konkretisiert, werden wir überlegen, ob auch Level 3 erreichbar wäre“, äußert sich OSK–Geschäftsführer Franz Huber. „Aufgrund der großen Entfernung zu den Universitätskliniken erscheint ein überdurchschnittlich leistungsstarkes Haus in unserer Region auch in Zukunft gerechtfertigt. Wir müssen die genaue Ausgestaltung abwarten.“

Wangen: Das Westallgäu–Klinikum wäre nach den Kriterien der Regierungskommission ein Haus der Basisversorgung mit dem Level 1n. „Allerdings sieht dieses Level keine Geburtshilfe mehr vor, die es in Wangen gibt und die bei der Strukturdiskussion um die OSK vor einem Jahr vom Kreistag als versorgungsnotwendig eingestuft wurde“, so Huber. Geburtshilfen soll es laut Regierungskommission nur noch in Kliniken der Level 2 und 3 geben. „Allein an diesem Beispiel werden die Reibungspunkte zwischen Reformvorschlag und Wirklichkeit vor Ort deutlich. Nach dem Vorschlag würden von 73 Geburtshilfen in Baden–Württemberg nicht weniger als 40 entfallen. Das ist kaum vorstellbar. An diesem Punkt würde nicht nur im Landkreis Ravensburg knirschen“, sieht Huber große Bürgerproteste im ganzen Land kommen, sollte dieser Plan weiter verfolgt werden.

Bad Waldsee: Selbst wenn dort weiterhin eine stationäre Versorgung bestehen würde, wäre Bad Waldsee Level 1i. Huber: „Bei diesem Level handelt es sich nicht mehr um ein Krankenhaus im eigentlichen Sinne, sondern um eine pflegerisch geleitete Einrichtung.“ Geplant sei ja jetzt schon, dort ein Medizinisches Versorgungszentrum (eine Art Ärztehaus mit mehreren Fachrichtungen) zu etablieren, aus dem später ein Primärversorgungszentrum werden könnte, also tatsächlich so etwas wie ein 1i–Haus. Huber: „Hier geht es um neue Versorgungsformen, die zwischen Akutklinik und den Pflegeeinrichtungen beziehungsweise der Rückkehr der Patienten nach Hause angesiedelt sind.“

Friedrichshafen: MCB–Pressesprecherin Susann Ganzert ist sich sicher, dass die Klinik Friedrichshafen in die Kategorie 2 fallen würde: Es gebe hier die seit vielen Jahren im Konzept geforderten Einrichtungen wie zum Beispiel eine zertifizierte Schlaganfall–Spezialabteilung, Geburtshilfe oder einen Linksherzkatheter–Messplatz.

Tettnang: Die Klinik Tettnang würde laut Ganzert hingegen wahrscheinlich in die unterste Stufe „1i“ eingruppiert. Schuld ist die grenzwertige Distanz zu dem Level-2-Häusern in Ravensburg und Friedrichshafen. Beide Zentralversorger sind bei normalen Verkehrsbedingungen laut Google Maps in weniger als 25 Minuten von Tettnang aus zu erreichen. „Dies wiederum würde bedeuten, dass aus der Klinik Tettnang mit ihren 140 Betten ein regionales Gesundheitszentrum werden würde, mit einem primär ambulanten Angebot ohne Krankenhausbehandlung und ohne ärztliche Präsenz rund um die Uhr an sieben Tagen die Woche. Damit wäre die Klinik Tettnang, würden die Pläne 1:1 umgesetzt, per se kein Krankenhaus mehr sein, so wie wir es heute verstehen.“ Unter anderem würde die beliebte Geburtshilfe wegfallen, genau wie in Wangen, fürchtet Ganzert.

Überlingen: Die private Helios–Klinik in Überlingen wäre hingegen mit hoher Wahrscheinlichkeit Level 1n. Bis Friedrichshafen sind es selbst bei einer ausnahmsweise mal nicht verstopften B31 mehr als 30 Minuten, bis zum Klinikum Konstanz sogar über 40 Minuten.

Länder müssen mitziehen

Da der Bund den Ländern ein solches Modell nicht einfach überstülpen kann, seien aber noch wesentliche Änderungen und Ausnahmeregelungen zu erwarten. Susann Ganzert betont, dass die Krankenhausdichte in Baden–Württemberg mit 488 Betten pro 100.000 Einwohner die niedrigste in ganz Deutschland sei. „Eine Krankenhausreform muss sich sinnhafter Weise an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientieren. Eine Konzeption sollte daher Realität und regionale Gegebenheiten berücksichtigen. Eine Verlagerung von medizinischen Behandlungen in den ambulanten Sektor erscheint nur bei stabiler häuslicher Situation und geklärten Transportbedingungen sinnhaft.“

Häufig seien Familienangehörige aber bereits heute nicht in der Lage, die Versorgung der meist betagten Angehörigen im heimischen Umfeld zu gewährleisten. „Die Zahl der Kurzzeitpflegeplätze, die hierfür — aber auch aufgrund der fehlenden Kapazitäten im Rehabilitationsbereich — zur Verfügung stehen müssten, sind nicht vorhanden“, meint die MCB–Pressesprecherin. Dies führe gerade in den Flächenländern dazu, dass Patienten, die aus medizinischen Gesichtspunkten im häuslichen Umfeld versorgt werden könnten, schon heute im Krankenhaus bleiben müssten.

Keine Rettung für Bad Waldsee

Auch Huber bezweifelt, dass sich ganz Deutschland mit einer Krankenhausstruktur nach einer einheitlich normierten Folie überziehen lasse. „Das wird nicht geschehen. Darüber herrscht mittlerweile Konsens. Auch der Bundesgesundheitsminister will einen Korridor für besondere regionale und örtliche Gegebenheiten offenhalten.“ Wer aber meine, dass dies die Hintertüre zum Erhalt der vertrauten kleinräumigen Strukturen sein könnte, dürfte sehr schnell eines Besseren belehrt werden, meint Huber im Hinblick auf die Bestrebungen der SPD–Fraktion im Ravensburger Kreistag, die Schließung des Standorts Bad Waldsee zu verschieben, bis die Reform durchgesetzt wird.

Denn die Regierungskommission habe schließlich noch eine weitere wichtige Aussage getroffen: „Der enorme ärztliche und pflegerische Fachkräftemangel herrscht nicht absolut, sondern nur relativ. Das Fachpersonal ist insgesamt vorhanden, leider aber auf zu viele zu kleine Standorte verteilt.“ Heißt im Klartext: Die Zentralisierung hat auch ihr Gutes.

Ob die Pläne jemals umgesetzt werden, ist jedoch ungewiss. Bei einem Treffen der Landesgesundheitsminister mit Lauterbach am Montag stießen sie auf vehemente Ablehnung, vor allem in Baden–Württemberg, Bayern und Nordrhein–Westfalen.