Pflegenotstand: Wie die Politik auf #nichtselbstverständlich reagiert

Zu wenig Zeit für die Patientinnen und Patienten und eine nicht ausreichende Bezahlung: Immer mehr Pflegekräfte geben ihren Beruf auf.

Zu wenig Zeit für die Patientinnen und Patienten und eine nicht ausreichende Bezahlung: Immer mehr Pflegekräfte geben ihren Beruf auf.

Berlin. Aus 15 Minuten wurden sieben Stunden: In einer unangekündigten Sondersendung zur Primetime haben die Pro-Sieben-Entertainer Joko Winterscheid und Klaas Heufer-Umlauf auf die Notsituation der Pflegekräfte in Deutschland aufmerksam gemacht und damit eine breite Debatte in den sozialen Medien ausgelöst. Auch die Politik zeigte sich alarmiert.

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Während der Sendung konnten Zuschauerinnen und Zuschauer den Arbeitstag einer Fachgesundheits- und Kinderkrankenpflegerin für Intensiv- und Anästhesiepflege am Universitätsklinikum in Münster mitverfolgen. Im Verlauf der Sendung kamen darüber hinaus weitere Menschen aus verschiedenen Bereichen der Pflege zu Wort, die über den Pflegenotstand, Personalmangel und schlechte Arbeitsbedingungen sprachen.

In den sozialen Netzwerken solidarisierten sich Tausende mit dem Pflegepersonal und forderten bessere Arbeitsbedingungen für Beschäftigte in der Branche. Auch in den Bundestagsfraktionen blieb die Sondersendung nicht unbeachtet.

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Bundesgesundheitsminister Jens Spahn kündigte nach der Sendung an, weitere Gespräche mit Pflegeverbänden zu führen, um bessere Arbeitsbedingungen und eine bessere Bezahlung für Beschäftigte in der Branche zu erreichen. „Damit nach dieser schweren Phase der Pandemie viele in dem Beruf bleiben und idealerweise zurückkehren wollen, werden wir auch zügig in Gesprächen mit den Pflegeverbänden weiter darüber beraten, wie wir auch dafür die Arbeitsbedingungen noch weiter verbessern können.“

Grüne: „Zum denkbar schlechtesten Moment“

„Die Lage spitzt sich immer weiter zu. Die Corona-Pandemie hat uns aus pflegerischer Perspektive zum denkbar schlechtesten Moment erwischt“, teilte Kordula Schulz-Asche, Sprecherin für Alten- und Pflegepolitik der Grünen-Bundestagsfraktion, auf Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) mit. Die derzeit geltenden Pflegepersonaluntergrenzen kritisierte Schulz-Asche als „zu spät“ und „ambitionslos“. „Die Bundesregierung hat es in der Hand: Sie kann sich für einen besseren Personalschlüssel einsetzen“, sagte Schulz-Asche.

Auch die Linken-Fraktion im Bundestag warf der Bundesregierung vor, Chancen verpasst zu haben. „Jeder weiß, dass seit mehr als 15 Jahren in der Pflege Arbeitsbelastung und Personalmangel zunehmen“, sagte Pia Zimmermann, Sprecherin für Pflegepolitik der Linken-Fraktion, dem RND. Sie forderte eine deutliche und dauerhafte Erhöhung der Gehälter, um mehr Pflegerinnen und Pfleger zu gewinnen und zu halten. Die Bezahlung in der Pflege sei generell und insbesondere in der Altenpflege „grotesk unzureichend“.

Den Bürokratieaufwand in der Pflege kritisierte Nicole Westig, die pflegepolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion. „Die Politik hat es vor allem verpasst, durch konsequenten Bürokratieabbau und Digitalisierung schnell Entlastung für Pflegende zu schaffen und ihnen so dringend benötigte Zeit für Zuwendung zum Patienten zu geben“, sagte sie dem RND. Sie sprach sich ausschließlich für eine Lohnsteigerung in der Altenpflege aus – und betonte, die Bundesregierung habe dafür bisher kein Konzept zur Refinanzierung vorgelegt. „Pflegende dürfen nicht gegen Pflegebedürftige ausgespielt werden.“

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Kritik an der Bezahlung

Aus der SPD-Bundestagsfraktion hieß es: „Für das, was Pflegekräfte leisten, ist die Bezahlung nicht fair.“ Die gesundheitspolitische Sprecherin Bärbel Bas verwies darauf, dass ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag für alle Beschäftigten in der Altenpflege zuletzt am Widerstand der Arbeitgeberseite gescheitert sei, und bezeichnete die Vorschläge von Gesundheitsminister Jens Spahn, neben Tarifverträgen auch „ortsübliche Bezahlung“ zuzulassen, als völlig unzureichend.

Angesichts des Zustands der Pflege räumte der fachpolitische Sprecher der Unionsfraktion Roy Kühne (CDU) ein, dass zuvor zu wenig passiert sei. Er verwies auf die mangelnde Refinanzierung höherer Löhne für die Pflegekräfte – und auf ihre schwache Lobby.

Die Union sieht die Arbeitgeber „in der Verpflichtung, attraktive Angebote zu machen, sonst verlassen Pflegekräfte den Beruf“, sagte Kühne dem RND. Zudem müssten die Kranken- und Pflegekassen „weiter verpflichtet werden, die gestiegenen Kosten zu übernehmen“.

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