Nach elf Jahren hört Karl Max Einhäupl an der Spitze der Charité auf. Sein Nachfolger Heyo Kroemer wird es kaum leichter haben.

Der Herr mit dem weißen Haar schwingt enthusiastisch die Arme über dem Kopf. Vor ihm zucken im Foyer der Urania tanzende Leiber. Karl Max Einhäupl geht als DJ voll aus sich heraus. Der scheidende Charité-Chef kann an diesem heißen Juli-Tag das erfolgreiche Ende einer Ära feiern. Berlins altehrwürdiges Universitätsklinikum hat gerade im Verbund mit den drei großen Berliner Universitäten im bundesweiten Elite-Wettbewerb den Exzellenz-Titel gewonnen. Für den 72 Jahre alten Neurologen so etwas wie die Krönung jahrelanger Arbeit. „Nicht auszudenken, wenn wir gescheitert wären“, hat er kurz vor seinem Party-Auftritt am Getränketresen gesagt.

Nachfolger Heyo Kroemer übernimmt am 1. September

Am 1. September übergibt Einhäupl nach elf Jahren den Chefsessel in Europas größtem Universitätsklinikum an seinen Nachfolger Heyo Kroemer, der aus Göttingen nach Berlin wechselt. Insgesamt wirkte der gebürtige Münchener seit 1993 an der Charité, zunächst als Klinikdirektor der Neurologie, seit 2008 als Vorstandschef. Zuvor war er als Vorsitzender des Wissenschaftsrates eine zentrale Figur der deutschen Forschungslandschaft.

Einhäupl hinterlässt bleibende Spuren

Als Wissenschaftsmanager hinterlässt Einhäupl bleibende Spuren. Er hat viel erreicht für das Klinikum und für die Stadt, auch wenn sein Nachfolger einige schwierige Baustellen erbt in der schwer zu steuernden Riesenorganisation mit ihren 3000 Krankenhausbetten, 15.000 Mitarbeitern, 280 Professoren, 7500 Studierenden, 152.000 stationären und fast 700.000 ambulanten Patienten jährlich sowie 1,8 Milliarden Euro Budget.

Charité genießt ein besseres Ansehen als je zuvor

Zwei wesentliche Erfolge stehen für die Ära Einhäupl. Nach Jahrzehnten des Zweifels genießt die Charité ein besseres Image als kaum je zuvor in ihrer mehr als 300-jährigen Geschichte. Im Krankenhausvergleich des Magazins „Focus“ räumte die Charité sieben Mal in Folge den Titel als Deutschlands bestes Krankenhaus ab. Die amerikanische Wochenzeitschrift „Newsweek“ ordnete das Haus 2019 unter den weltbesten Kliniken auf Platz fünf ein. Die viel beachtete Fernseh-Serie trug den Ruhm der Charité in Millionen deutscher Wohnzimmer. Mit 170 Millionen Euro Drittmittel ziehen Charité-Forscher so viel Geld ein wie nie zuvor. Auch wenn niemand die Charité durchgängig für wissenschaftlich exzellent hält, so gewann sie doch wieder Sonderforschungsbereiche der Deutschen Forschungsgemeinschaft und eben den begehrten Exzellenztitel.

Einhäupl sieht sein Haus wieder auf Augenhöhe mit Forschungs-Standorten wie Heidelberg und München. In wenigen Jahren könnte das Niveau von Boston in den USA erreicht sein, sagte er kürzlich. Dabei helfen soll das Berlin Institute of Health. 2013 gegründet und mit viel Geld vom Bund ausgestattet, wurde das BIH jetzt in die Charité eingegliedert. Nach Anlaufschwierigkeiten samt Führungswechsel und Eifersüchteleien soll das Institut künftig dafür sorgen, dass Forschungsergebnisse schneller den Weg ans Krankenbett finden.

Eine schwarze Null erreicht

Unter der Regie des stets freundlich auftretenden Arztes hat sich die Charité zudem finanziell stabilisiert. Während andere deutsche Universitätskliniken Verluste schreiben, kann Einhäupl seit Jahren eine schwarze Null vorweisen. Es gelang ihm, die Klinikdirektoren und Wissenschaftler zur Kostendisziplin zu erziehen. Das war die Voraussetzung dafür, dass ihm der Senat Geld zusagte, um das Bettenhochhaus in Mitte zu sanieren. Weitere Investitionsmittel müssten fließen, um die Standorte Virchow in Wedding und Benjamin Franklin in Steglitz auf einen modernen Stand zu bringen, forderte Einhäupl. Beim Bauen hat die Charité geschafft, was in Berlin gerade bei Projekten der öffentlichen Hand nicht selbstverständlich ist. Alles wurde im Zeit- und Kostenrahmen fertig, und das bei laufendem Betrieb.

Die Universitätsklinik könnte ins Minus rutschen

Ob die Charité auch künftig rote Zahlen vermeiden kann, ist völlig offen. Die von der rot-rot-grünen Koalition veranlasste Wiedereingliederung der Mitarbeiter der teilprivatisierten Service-Tochter CFM und deren bessere Bezahlung kostet die Universitäts-Klinik mehrere Millionen Euro, die den Jahresgewinn von 2018 von 800.000 Euro aufzehren werden. Auch die Therapeuten werden besser bezahlt. Weil sich aber die Finanzierung des Gesundheitswesens ändert, ist es nicht ausgemacht, ob der Gesundheits-Gigant ins Minus rutscht. Die teure Hochschulmedizin soll künftig besser vergütet werden. Auch sollen die Pflegekosten nicht mehr aus den Fallpauschalen für jeden Patienten bezahlt werden, sondern von den Kassen übernommen werden.

Gegen Personalknappheit muss Nachfolger angehen

Kein Krankenhaus hätte also noch etwas davon, am Pflegepersonal zu sparen. Das kann die Lage der gestressten Mitarbeiter nur verbessern. Denn die Personalknappheit vor allem in der Pflege gehört zu den Themen, die Einhäupls Nachfolger wird angehen müssen. Zwar hatte die Charité angekündigt, zusätzliche Kräfte einzustellen. Der Jahresbericht 2018 weist aber in Vollzeitstellen gerechnet nur ein Plus von 26 Stellen gegenüber dem Vorjahr aus. Angesichts gestiegener Fallzahlen hat sich die Belastung eher noch erhöht.

Abrechnungssystem in der Kritik

Schwierigkeiten hat das verzweigte Gebilde auch mit seinen Routine-Prozessen. Der Charité entgehen jedes Jahr viele Millionen Euro, weil sie ihre medizinischen Leistungen nicht ordentlich abgerechnet bekommt. 26 Prozent aller Rechnungen werden von den Kassen ganz oder teilweise nicht anerkannt und nicht bezahlt. Insider gehen davon aus, dass auch die angespannte Personallage dazu führt, dass Ärzte und Pfleger der Codierung nicht die nötige Aufmerksamkeit widmen. Bis vor einigen Jahren hatte die Klinik in mehreren hundert Fällen ambulante Leistungen mit Institutsnamen abgerechnet, die es gar nicht gibt.

Datenschutzbeauftragte rügt Umgang mit Patientendaten

Schwer tut sich die Universitätsklinik auch mit dem Umgang mit Patientendaten. Regelmäßig rügt Berlins Datenschutzbeauftragte in ihren Berichten die Charité. Dieses Thema kann für die Universitätsklinik zum Problem werden. Denn die Zukunft liegt in der personalisierten Medizin. Jeder Mensch wird nach seinen genetischen Merkmalen therapiert. Dazu sind jede Menge Daten nötig. Wenn die Daten nicht sicher sind, dürfte es schwierig werden, dafür die Akzeptanz unter den Erkrankten zu gewinnen. Einhäupl selbst sieht hier Änderungsbedarf im Datenschutz. Für die Forschung sei ein freierer Umgang mit Gesundheitsdaten notwendig, argumentiert er.

Herzzentrum bisher nicht eingegliedert

Eine Baustelle wollte der scheidende Chef schon geschlossen haben, aber daraus ist nichts geworden. Die Eingliederung des Herzzentrums in die Charité ist zwar beschlossene Sache. Über das Wie und die rechtliche Konstruktion dieser Fusion muss aber neu diskutiert werden. Die bislang favorisierte Lösung für das Universitäre Herzzentrum Berlin (UHZB) als GmbH ist im Fakultätsrat, der Vertretung der Charité-Wissenschaftler, durchgefallen. Jetzt müsse neu diskutiert werden, sagte Wissenschafts-Staatssekretär Steffen Krach (SPD) der Morgenpost. Der Senat drängt auf eine engere Kooperation mit dem zweiten landeseigenen Krankenhauskonzern Vivantes. Nach dem gemeinsamen Labor und der Zusammenarbeit beim Einkauf soll es bald einen gemeinsamen Ausbildungscampus, vermutlich in Spandau, geben. Einhäupl hat für eine große Charité mit vielen Betten gekämpft, um den Forschern Zugriff auf möglichst viele Patienten zu ermöglichen. Die Größe führt jedoch dazu, dass auch viele Fälle behandelt werden, für die der teure Overhead der Spitzenmedizin nicht nötig wäre.

Aufgabe seines Nachfolgers Kroemer wird es sein, über eine Zusammenarbeit mit Vivantes den Wissenschaftlern die nötige Anzahl von Patienten zu sichern und gleichzeitig die Universitätsmedizin von Blinddarm-Operationen und anderen Routinebehandlungen zu entlasten. Ähnliches hatte auch Einhäupl zu Beginn seiner Amtszeit im Sinn. Aber die politische Großwetterlage war seinerzeit noch eine andere.