Kodierung bei Transplantatkomplikationen: Exklusivum des ICD-10 schließt Kodierung einer Infektion als Hauptdiagnose aus
L 6 KR 71/24 | Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 13.08.2025
Bei einem Patienten mit Nierentransplantat ist die Kodierung der Hauptdiagnose T83.5 („Infektion durch Prothese im Harntrakt“) ausgeschlossen, wenn zugleich ein Transplantatversagen oder eine Abstoßung (Kategorie T86.-) vorliegt. Das Exklusivum am Beginn der ICD-10-Kategorie T83.- entfaltet zwingenden Vorrang, sodass Diagnosen aus T86.- in diesen Fällen maßgeblich sind. Ein medizinischer Sachverständiger kann die formell-normativen Kodierregeln, insbesondere die Exklusiva des ICD-10, nicht durch eine abweichende medizinische Einschätzung außer Kraft setzen. Maßgeblich für die Hauptdiagnose ist diejenige Erkrankung, die den Aufnahmegrund und den entscheidenden Ressourcenverbrauch bestimmt – im Falle eines Transplantatversagens mithin T86.19 („Versagen und Abstoßung eines Nierentransplantates“).
Das Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt hatte über einen Streit zwischen einem Krankenhaus und einer Krankenkasse zu entscheiden, der auf die korrekte Kodierung der Hauptdiagnose bei einer Patientin mit Nierentransplantat und Infektionskomplikationen zurückging. Im Zentrum stand die Frage, ob die Abrechnung mit der Hauptdiagnose T83.5 (Infektion durch Prothese im Harntrakt) zulässig war oder ob aufgrund der vorliegenden Funktionsstörung des Transplantats zwingend ein Kode aus der Kategorie T86.- (Versagen und Abstoßung von transplantierten Organen) zu verwenden war.
Die 78-jährige Patientin war wegen einer Verschlechterung der Nierenfunktion und eines Infekts in das Krankenhaus aufgenommen worden. Im Verlauf wurde die Transplantatniere entfernt. Das Krankenhaus kodierte die Hauptdiagnose T83.5 und rechnete die entsprechend höher bewertete DRG L03Z ab. Nach einer MDK-Prüfung stellte sich jedoch heraus, dass ein Transplantatversagen im Vordergrund stand. Der MDK empfahl daher die Kodierung T86.19 (Versagen und Abstoßung eines Nierentransplantates), was zur niedrigeren DRG A60A führte. Die Krankenkasse verrechnete die sich daraus ergebende Überzahlung von 5.481 Euro.
Das Sozialgericht (SG) gab der Klage des Krankenhauses zunächst statt. Grundlage war ein medizinisches Gutachten, das argumentierte, die Ursache der Komplikation sei unklar, sodass auch eine „akute Nierenbeckenentzündung“ (N10) als Hauptdiagnose in Betracht komme. Da diese Diagnose zur gleichen DRG wie die ursprüngliche Kodierung führe, sei der Vergütungsanspruch berechtigt.
Das LSG hob diese Entscheidung auf und stellte klar, dass das SG die Kodierregeln verkannt habe. Es verwies auf das verbindliche Exklusivum am Beginn der ICD-10-Kategorie T83.-, das Diagnosen aus der Kategorie T86.- ausdrücklich ausschließt. Sobald ein Transplantatversagen oder eine Abstoßung vorliegt, ist die Kodierung aus T83.- daher nicht mehr zulässig. Maßgeblich sind die Vorgaben der ICD-10-GM und die Deutschen Kodierrichtlinien (DKR), nicht die individuelle medizinische Wertung eines Sachverständigen.
Nach der Definition der Hauptdiagnose in den DKR ist jene Krankheit als Hauptdiagnose zu kodieren, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Aufenthalts und den größten Ressourcenverbrauch verantwortlich war. Dies war im vorliegenden Fall eindeutig das Versagen des Nierentransplantats. Der Umstand, dass eine Infektion vorlag, änderte daran nichts, da diese Folge des Transplantatversagens und nicht dessen Ursache war.
Das Gericht stellte weiter fest, dass die Anwendung der T83.-Kodes nicht nur aus formalen, sondern auch aus systematischen Gründen unzulässig war. Die ICD-10-Kategorie T83.- dient der Erfassung von Infektionen im Zusammenhang mit implantierten medizinischen Geräten, nicht jedoch von Komplikationen bei transplantierten Organen. Für letztere sieht die Systematik der ICD-10 ausdrücklich die Kategorie T86.- vor. Das Exklusivum am Kapitelanfang habe bindenden Charakter und sei für Kodierende wie auch für Gerichte verbindlich.
Besonders betonte das Gericht, dass ein medizinisches Sachverständigengutachten die Kodierregeln nicht abändern könne. Auch wenn der Sachverständige medizinisch nachvollziehbar dargelegt habe, dass eine infektiöse Genese vorgelegen habe, könne eine Diagnose wie N10 oder T83.5 nicht verwendet werden, wenn sie nach der Systematik des ICD ausgeschlossen sei. Die gerichtliche Prüfung habe sich auf die formelle Anwendung der Kodierregeln zu beschränken.
Folglich war die vom MDK vorgeschlagene Kodierung T86.19 korrekt. Diese Hauptdiagnose führte zwangsläufig zu einer niedrigeren Bewertungsrelation, sodass die Aufrechnung der Krankenkasse rechtmäßig war. Das LSG wies die Berufung des Krankenhauses ab und bestätigte die Geltung der Exklusiva als verbindliche Kodierregel.
Das Urteil verdeutlicht, dass bei der Kodierung von Komplikationen im Zusammenhang mit Transplantaten stets die Exklusivverweise der ICD-10 zu beachten sind. Liegt eine Funktionsstörung oder ein Versagen des Transplantats vor, sind die Kodes aus T86.- vorrangig zu verwenden. Infektionen oder sonstige Komplikationen dürfen nicht als Hauptdiagnose kodiert werden, wenn sie durch das Transplantatversagen bedingt sind.






