Welche Medizin braucht der defizitäre Klinikverbund Gesundheit Nord (Geno), um auf die Beine zu kommen? Seit Jahren zerbrechen sich Politiker, Aufsichtsräte und externe Fachleute über diese Frage den Kopf. Auch an teuren Gutachten zu Einzelfragen und zum großen Ganzen hat es nicht gemangelt. Zuletzt durfte die auf Klinikberatung spezialisierte Consulting-Firma Consus ran. Für 130.000 Euro hat sie im Frühjahr eine Expertise vorgelegt. Doch es gibt kritische Stimmen zur Gutachteritis bei der Geno – auch zu der Vorstellung, dass öffentliche Krankenhäuser ihre Bilanzen überhaupt mit einer schwarzen Null abschließen müssen.
Das aktuelle Gutachten war von der Geno-Geschäftsleitung bestellt worden. Nach Informationen des WESER-KURIER allerdings nicht aus eigenem Antrieb, sondern weil es das Gesundheitsressort so wollte. Es ging um die Frage, ob ein aus dem Jahr 2019 stammendes Sanierungskonzept für den Klinikverbund plausibel ist. Consus sollte denjenigen Teil des Konzeptes unter die Lupe nehmen, in dem Veränderungen des medizinischen Profils der vier Häuser in Mitte, Ost, Nord und Links der Weser vorgeschlagen werden.
Die Consus-Leute unterstützten in ihrer Expertise die meisten geplanten Maßnahmen, etwa die stärkere Ambulantisierung der Augenheilkunde in Mitte und die Stärkung der Frührehabilitation in Ost. Andere Projekte fielen bei Consus durch. Die Verlagerung der Dermatologie von Mitte nach Ost ist ein Beispiel dafür. Unterm Strich kam Consus zu der Einschätzung, dass die Realisierung aller vorgesehenen Strukturveränderungen längst nicht ausreichen würde, um das Defizit der Geno abzubauen. Die Consulting-Firma präsentierte deshalb einen ganzen Strauß weiterer Ideen.
Mit dabei: der bei Klinikberatern beliebte Vorschlag, die Verweildauer stationärer Patienten zu verkürzen, um auf diese Weise mehr Geld aus den Fallpauschalen zu quetschen, die die Kliniken von den Krankenkassen erhalten. Für Consus ist auch klar, dass die Chirurgie komplett aus Ost nach Mitte verlagert werden sollte. Insgesamt identifizierte Consus ein jährliches Einsparpotenzial von rund 40 Millionen Euro.
Einsparungen im IT-Bereich werden nur pauschal erwähnt
Doch lässt sich dieser Schatz wirklich heben, oder existiert er nur in den Zahlenspielen rein betriebswirtschaftlich orientierter Berater? Die Geno-Geschäftsleitung rechnete nach und verwies einige Consus-Behauptungen ins Reich der Fabel. So würden etwa jährliche Einsparungen im IT-Bereich von 6,4 Millionen Euro (bei einem Gesamtbudget von 11 Millionen Euro) nur „pauschal erwähnt und nicht begründet“, heißt es in einem Papier der Geno-Spitze für eine Aufsichtsratssitzung am 4. Juni. Ein weiteres Stichwort sind die Reinigungskosten. Dort macht Consus ein jährliches Kostensenkungspotenzial von 6,6 Millionen Euro aus. „Deutlich zu hoch“, urteilt dazu die Geno-Spitze.
Neben einer geringeren Reinigungsleistung sei dieses Ziel nur durch Auslagerung der ohnehin gering bezahlten Putzkräfte in Subunternehmen zu erreichen. Statt von insgesamt 40 Millionen sei deshalb auf der Grundlage der Consus-Anregungen bestenfalls von einem Potenzial von 11 Millionen Euro im Jahr 2021 auszugehen, das sich bis 2024 nach und nach auf 17,7 Millionen Euro erhöhen lasse.
Die detaillierte Auseinandersetzung der Geno-Geschäftsleitung mit den Consus-Vorschlägen zeigt zumindest eines: Es gibt in der Spitze des Klinikverbundes eine sehr klare, auf der Kenntnis der eigenen vier Häuser basierende Vorstellung über das, was im Bremer Klinikverbund möglich ist und was nicht. Weshalb, so könnten Laien fragen, wird also ständig für viel Geld fremde Expertise in Auftrag gegeben, statt die örtlich Verantwortlichen mal machen zu lassen?
Dazu hat Axel Klinger eine klare Meinung. Der Gesundheitswissenschaftler berät mehrere norddeutsche Kliniken und möchte aus genau diesem Grund nicht mit seinem richtigen Namen in Erscheinung treten. „Es ist besser, etwas gutachterlich Erstelltes zu verstärken oder zu verwerfen, als eigene Pläne zu transportieren“, sagt Klinger. „Das ist menschlich, und man ist als Geschäftsführung dann auch nicht allein verantwortlich.“ Bei Verhandlungen mit Kassen und Planungsgremien wirke es zudem immer gut, „wenn angebliche Experten unterstützend etwas gesagt haben“.
Keine Fixierung auf Einsparpotenziale
Die für 130.000 Euro eingekauften Consus-Ratschläge sieht Klinger recht kritisch. Beispiel: die systematische Unterschreitung der in den Fallpauschalen vorgesehenen Verweildauer von Patienten. Bei den Krankenkassen rangiere diese Praxis schon fast unter Abrechnungsbetrug und erfahre von dort entsprechend viel Widerstand, mahnt Klinger. Auch von Kostendrückerei bei den Reinigungskräften rät er ab, denn: „Ob in Zeiten des anerkannten Bedarfs an Sauberkeit und Mehraufwand für Hygiene Einsparpotentiale generiert werden können oder sollten, erscheint fraglich.“ Grundsätzlich hält der Klinikexperte nichts von einer Fixierung auf Einsparpotenziale.
Angesichts ihrer herausragenden Bedeutung bei der öffentlichen Daseinsvorsorge billigt er den Krankenhäusern einen „wettbewerbsrechtlich zulässigen Beihilfebedarf“ aus der Staatskasse zu. Dieser sollte nach Klingers Ansicht jährlich fachlich abgeschätzt und beschlossen werden. Sein Plädoyer: „Die Debattenteilnehmer sollten sich endlich ehrlich machen. Sie sollten diese Beihilfen einplanen und nicht länger dem Popanz nachlaufen, als sei die Geno angesichts sich ständig wandelnder Aufgaben nicht nur fachlich-qualitativ, sondern auch wirtschaftlich mit Erfolg zu führen.“