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Ameos Rendite auf Kosten der Mitarbeiter?

Im eskalierenden Arbeitskampf an den Kliniken der Ameos-Gruppe stehen sich Arbeitgeber und Beschäftigte immer unversöhnlicher gegenüber.

Von Alexander Walter 17.01.2020, 00:01

Magdeburg l Wenn Christian S. die Tabellen mit den Gehaltsentwicklungen seiner Kollegen auf dem Notebook öffnet, gerät er regelmäßig in Rage. „Fast überall im Umkreis von 60 Kilometern um den Salzlandkreis mit seinen Ameos-Kliniken Aschersleben, Staßfurt, Schönebeck und Bernburg verdienen Pfleger bei anderen Arbeitgebern deutlich besser als bei uns“, sagt der Ameos-Mitarbeiter. In der nahen Helios-Klinik Hettstedt etwa bekomme eine Krankenschwester 500 Euro mehr als im Ameos-Klinikum Aschersleben. Ähnlich sei es bei anderen Klinik-Betreibern.

Warum ist das so? Die offizielle Version lautet: Die Lohnschere ist wenigstens bei S. Arbeitgeber – Ameos im Salzlandkreis – das Erbe eines Sanierungspaktes zwischen den 1800 Beschäftigten der einst kreiseigenen Salzlandkliniken und der Ameos-Gruppe als Käufer. Mitgetragen von der Kommunalpolitik. Das Versprechen von Ameos 2011 im Falle des Zuschlags: Kündigungsschutz für alle Mitarbeiter über fünf Jahre und Wiedereröffnung des zwischenzeitlich geschlossenen Krankenhauses Staßfurt.

Im Gegenzug sollte die Arbeitnehmerseite Arbeitszeitkürzungen von 12,5 Prozent (das hieß meist eine 35- statt 40-Stunden-Woche) sowie den Verzicht auf Tarifsteigerungen und Weihnachtsgeld in Kauf nehmen.

Mit seinen Standort- und Job-Zusagen konnte sich Ameos damals mit einem Kaufpreis durchsetzen, der mit 48 Millionen Euro weit unterhalb dessen lag, was der größere Mitwettbewerber Helios bot.

Zugleich gelang es der Geschäftsführung, einen Keil zwischen Belegschaft und die Gewerkschaft Verdi zu treiben, mit der Ameos ebenfalls verhandelte, sagt Christian S.

„Die überhöhten Forderungen von Verdi hätten damals 360 Arbeitsplätze im Salzlandkreis gefährdet“, entgegnet Ameos-Ost-Regionalgeschäftsführer Lars Timm. Verdi habe 2012 ohne Mandat der Betriebsräte sogar gegen den von 96 Prozent der Mitarbeiter getragenen Sanierungsdeal gerichtlich geklagt.

Bis heute ist die Gewerkschaft in Sachsen-Anhalt für Ameos vor allem deshalb ein rotes Tuch. Seitdem Verdi Ameos im Sommer vergangenen Jahres zu neuen Tarifverhandlungen aufforderte, verweigert die Ameos-Gruppe dann auch jedes Gespräch mit der Gewerkschaft. Selbst eine Einladung der SPD-Landtagsfraktion schlug die Geschäftsführung aus. Verdi verweist darauf, dass der Sanierungsdeal schon 2011 nur durch die Drohung mit Jobabbau eine so hohe Zustimmung erhielt.

Dennoch: Knapp acht Jahre nach der Übernahme ist der Burgfriede mit den eigenen Beschäftigten brüchig geworden. Immer vehementer fordern Mitarbeiter die Angleichung ihrer Löhne auf Tarifniveau und suchen wieder die Nähe der einst gescholtenen Gewerkschaft (siehe Beitrag: „Es wird eskalieren“).

Ameos reagierte mit der Drohung eines radikalen Jobabbaus von 800 Stellen. Streikende Beschäftigte wurden gekündigt, wenn auch mit der Begründung dienstlicher Versäumnisse.

„Die Mitarbeiter haben das Vertrauen in Ameos verloren“, sagt Christian S. Auf 100 Folien hat er Gründe aufgelistet, die ihn an den Motiven von Ameos zweifeln lassen. So habe die Gruppe mit Sitz in der Schweiz durch die Arbeitszeitkürzungen und den Verzicht auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld allein an den Standorten Staßfurt und Aschersleben seit 2012 knapp 12,9 Millionen Euro gespart, hat er berechnet.

Tarifanpassungen seien da noch gar nicht enthalten. Heute arbeiteten Mitarbeiter bei Ameos Ost mindestens 15 Prozent unterhalb des Tarifniveaus.

Und: Auch die 2011 gegebene Zusage des Stellenerhalts habe Ameos unterlaufen. So habe die Geschäftsführung durch Auslagerung etwa bei Technik oder Laboren sowie altersbedingtes Ausscheiden allein im Salzlandkreis seit 2012 fast 390 Mitarbeiter abgegeben. Insgesamt sei der Personalaufwand so deutlich gesunken, die Umsätze dagegen stiegen, sagt S.. Die Zahlen würden zu einem Bild passen, das die Gewerkschaft Verdi von der Gruppe zeichnet.

„Für den gewährten fünfjährigen Kündigungsschutz würden mich andere Kollegen in der Branche für verrückt erklären.“

Lars Timm, Ameos-Geschäftsführer

In einem internen Verdi-Dossier, das der Volksstimme vorliegt, heißt es: „Ameos kauft insbesondere Einrichtungen, die in wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind, und verspricht, diese unter Erhalt der Standorte zu sanieren. Die Sanierung erfolgt dabei im Wesentlichen durch Personalkosteneinsparungen, Personalreduzierungen und vermehrten Rückgriff auf Hilfskräfte.“ Den Beleg dafür liefert Ameos aus Sicht von Verdi gleich selbst mit.

So heißt es im Jahresbericht 2018 der Kliniken Staßfurt-Aschersleben: „... Sanierungsmaßnahmen basieren insbesondere auf der erfolgreich durchgeführten Arbeitszeitabsenkung in allen nichtärztlichen Bereichen auf die 35-Stunden-Woche. Ebenso wird die natürliche Fluktuation zur weiteren Absenkung des Personalbestandes (...) genutzt.“Doch wozu das Ganze? Geht es nur um Wirtschaftlichkeit? Oder um hohe Rendite, und falls ja, für wen?

Die Antworten sind nach Ansicht von Verdi in der Firmenstruktur zu suchen. Laut Gewerkschaftsdossier steht hinter der 2002 gegründeten Ameos-Gruppe als Mehrheitseigner die Carlyle Group. Dabei handelt es sich um eine der größten Beteiligungsgesellschaften weltweit. Sie verwaltet demnach rund 223 Milliarden Euro privater Geldgeber. Die Strategie: Der Aufkauf von Unternehmen sowie deren zeitnaher, gewinnbringender Weiterverkauf.

Geldgeber sind dabei laut Ameos Pensionskassen und Rentenversicherungen. Christian S. glaubt, es genauer zu wissen: Zu den Geldgebern gehöre ein nordamerikanischer Pensionsfonds für Lehrer, sagt er. „Diesen Leuten werden natürlich Rendite versprochen“ S. hält es für vorstellbar, dass Ameos Gewinne, die es an Standorten in Sachsen-Anhalt einfährt, gezielt firmenintern transferiert, um andernorts zu investieren oder eben Rendite zu erzielen. Dafür würde sprechen, dass die Standorte einen Teil des Gewinnes für „sonstige betriebliche Aufwendungen“ abführen, darunter in einen sogenannten Cashpool.

Allein an den Standorten Aschersleben und Staßfurt seien so zuletzt mehrere Millionen Euro pro Jahr abgeflossen, ohne dass klar geworden wäre wohin.

Geschäftsführer Timm weist solche Vorwürfe entschieden zurück. „Wir machen etwa in Aschersleben nur leichte Gewinne, die dann in die Häuser reinvestiert werden“, betont er. Der vom Mitarbeiter geäußerte Verdacht sei ganz klar eine „Falschbehauptung“. Der Geschäftsführer betont zudem: Ameos habe etwa im Fall der Salzlandkliniken all seine 2011 gegebenen Zusagen eingehalten. „Für den gewährten fünfjährigen Kündigungsschutz würden mich andere Kollegen in der Branche für verrückt erklären“, sagt er.

Timm richtet Kritik auch an die Politik: Die mache es sich zu einfach, wenn sie – wie in den vergangenen Wochen geschehen – privaten Klinikbetreibern den Schwarzen Peter zuschiebe, sagt er. Zuletzt hatte etwa die Landes-SPD von einem „skandalösen Umgang mit Mitarbeitern“ durch Ameos und von „Manchesterkapitalismus“ gesprochen.

Dabei sei es die Bundespolitik gewesen, die die Rahmenbedingungen für eine Marktbereinigung der Kliniklandschaft geschaffen habe, sagt der Ameos-Regionalgeschäftsführer. Auflagen für Verwaltung und Fallzahlen stiegen ständig, gleichzeitig sinken die Einnahmen.

„Relativ niedrige Löhne sind der Preis für den Erhalt der Gesundheitsversorgung in strukturschwachen Regionen“, so Timm. Man könne von privaten Klinikbetreibern nicht erwarten, dass sie in Zeiten, in denen die Kosten stärker steigen als die Erträge, mit den Löhnen unbegrenzt nach oben gehen. Ameos habe seinen Mitarbeitern mit seinem „Zukunftspaket“ mit Lohnsteigerungen von 9 Prozent bis 2024 ein gutes Angebot vorgelegt, das Jobs langfristig sichere, betont Timm.

Christian S. hält das für nicht glaubwürdig. Ameos erziele mit seinen 10 Standorten gerade in Sachsen-Anhalt gute Gewinne. Es könnte mehr zahlen, zumal die Mitarbeiter im Osten von einem sehr niedrigen Niveau kämen. Längst nicht überall weigert sich Ameos, mit den Gewerkschaften zu verhandeln. In Niedersachsen etwa erzielte Ameos 2016 bis 2018 für die Kliniken Hildesheim und Osnabrück eine Tarifeinigung mit Verdi – nach elf Wochen Streik. Der Abschluss sah 6,75 Prozent Lohnsteigerungen vor, erst 2019 wurde er bis 2022 verlängert, mit einer erneuten Steigerung von mehr als 7 Prozent.

Darauf angesprochen sagt Lars Timm: „In Niedersachsen war Verdi ein konstruktiver Partner“. Christian S. bewertet das anders. „Wir sind hier eben nur der Osten“, sagt er. Das aber werde er nicht länger akzeptieren.