S 18 KR 360/11

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 18 KR 360/11
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 385/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 73.955,25 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.10.2011 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreites.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Vergütung eines vollstationären Krankenhausaufenthaltes. Die Klägerin betreibt ein Zentrum für Blutstammzellen- und Knochenmarkstransplantation. Das Zentrum ist im Krankenhausplan des Landes Hessen mit 18 Transplantationseinheiten ausgewiesen. Das Zentrum ist nach dem sog. JACIE-Standard der Europäischen Gesellschaft für Knochenmark- und Blutstammzellentransplatation (EBMT) und der Internationalen Gesellschaft für Zelltherapie (ISCT) zertifiziert.

Die bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte C. C. (Versicherte) befand sich in der Zeit vom 15.11.2010 bis zum 23.12.2010 in der Klinik der Klägerin zur vollstationären Behandlung.

Bei der Versicherten war im Februar 2004 ein multiples Myelom (Tumorstadium II Lambda Leichtkettenmyelom) festgestellt worden. Die initiale Therapie bestand aus 3 Zyklen Doxorubicin/Dexamethason, einem Zyklus Cyclophosphamid/Doxorubicin/Dexamethason zur Stammzellenmobilisation sowie einer zweimaligen Gabe von Hochdosis-Melphalan mit nachfolgender autologer Stammzellenmobilisation. Die anschließende Thalidomid-Erhaltungstherapie musste nach wenigen Tagen wegen depressiver Verstimmung abgebrochen werden.

Im Dezember 2009 wurde ein Rezidiv des multiplen Myeloms festgestellt. Die Rezidivtherapie bestand aus Lenalidomid und Dexamethason. Anschließend hat die Patienten einen Zyklus CAD zur Mobilisation autologer Stammzellen erhalten. Im September 2010 erhielt die Patienten erneut Melphalan 200 mg/m² mit anschließender autologer Stammzellentransplantation.

Am 15.11.2010 wurde die Patientin zur Behandlung mit allogener Stammzellentransplantationen bei der Klägerin aufgenommen. Der Allgemeinzustand der Patientin wurde mit einem Karnofsky-Index von 100% bewertet. Bei Untersuchungen der Lungenfunktion zeigte sich ein mit 64 % deutlich eingeschränkte CO-Diffusionskapazität, so dass von der Klinik der Komorbiditätsindex nach Sorrer mit 3 angegeben wurde. Weitere Einschränkungen der Organfunktionen oder nicht ausgeheilte Infektionen bestanden nicht. Der Remissionsstatus wurde erneut mit "sehr gute partielle Remission" bewertet. Zur Konditionierung erhielt die Patientin Flurdarabin 30 mg/m² (Tag -6 bis -2), Treosulfan 12 g/m² (Tag -6 bis -4) und ATG 10 mg/kg (Tag -4 bis -2) nach dem Würzburger Konditionierungsprogramm. Am 23.11.2010 erhielt die Patientin das allogene Stammzellentransplantat eines nichtverwandten, HLA-identischen Spenders. Als GvHD-Prophylaxe erhielt die Patientin Bortezomib jeweils 1,3 mg/m². Parallel wurde Sirolimus gegebenen, welches wegen Kopfschmerzen am Tag 13 auf Everolimus umgesetzt wurde. Es trat lediglich eine geringgradige kutane GvHD auf, die sich unter Steroidsalbe zurückbildete. Bereits am Tag 15 zeigte sich ein Spenderchimärismus von 99,6 %. Nach Regeneration der Hämatopoese konnte die Patientin in gutem Allgemeinzustand (Karnofsky-Index 100 %) am 23.12.2010 aus der stationären Behandlung entlassen werden.

Die Klägerin rechnete die Behandlungskosten mit Rechnung vom 29.12.2010 auf der Grundlage der DRG A04D (Knochenmarkstransplantation/Stammzelltransfusion, allogen) und den gesondert berechenbaren Zusatzentgelten in Höhe von ein 73.955,25 EUR ab.

Die Beklagte zahlte zunächst den Rechnungsbetrag und beauftragte den medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) mit der Überprüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung sowie der Notwendigkeit der Behandlung. Der MDK teilte mit Gutachten vom 7.3.2011 mit, dass die Kodierung der Abrechnung zwar korrekt sei, eine zwingende medizinische Indikation für die hier erfolgte fremdallogene, HLA-idente Stammzellentransplantationen jedoch nicht zu ersehen sei. Die fremdallogene, HLA-idente Stammzellentransplantationen sei keine Standardindikationen und außerhalb von Studien nach den aktuellen Wissensstand medizinisch noch nicht ausreichend begründet. Als Behandlungsalternative zur fremdallogenen SZT wäre hier die autologe SZT ausreichend gewesen. Allenfalls bei Therapieversagen auf Revlimid/Dexamethason wäre das Behandlungskonzept mit fremdallogener SZT zu diskutieren gewesen.

Die Klägerin widersprach dem MDK-Gutachten mit einer Stellungnahme des behandelnden Arztes Prof. Dr. med. D. vom 21.3.2011. Die allogene Stammzellentransplantation sei die einzige kurative Chance bei der Behandlung des multiplen Myeloms gewesen. Nach Progress der Erkrankung und unzureichendem Ansprechen auf Revledim/Dexamethason habe man ein autolog-allogenes Transplantationskonzept gewählt, da von einer erneuten autologen Tandem-Transplantationsstrategie keine längerfristige Krankheitsfreiheit zu erwarten gewesen sei. Seit dem 11.3.2011 bestehe bei der Patientin ohne weitere Therapiemaßnahmen eine komplette Remission mit negativer Immunfixation, was auf einen aktiven "Graft versus Myeloma Effekt" hindeute. Soweit der MDK vortrage, dass das multiples Myelom nicht als Standardindikation für eine gut gematchte fremd-allogene Stammzellentransplantationen nach dosisreduzierter Konditionierung zu sehen sei, sei dies sicherlich derzeit noch in der Diskussion. Allerdings sei dieses Vorgehen nach Einschätzung der Europäischen Gesellschaft für Knochenmark- und Blutstammzellentransplantationen (EBMT) eine Behandlungsoption insbesondere für jüngere Patienten in gutem Allgemeinzustand, die durch die vorangegangene Hochdosistherapie einen guten Remissionsstatus erreicht haben. Zusammengefasst habe eine klare Indikation zur allogenen Stammzellentransplantationen bestanden, die leider nicht im Rahmen einer Studie erfolgen konnte, da seinerzeit keine Studie zur allogenen Transplantation bei rezidiviertem oder progredientem multiplem Myelom offen gewesen sei.

Die Beklagte beauftragte daraufhin das Kompetenzzentrum Onkologie des Medizinischen Dienstes Nordrhein-Westfalen mit einem sog. Widerspruchsgutachten.

Das Kompetenzzentrum Onkologie des Medizinischen Dienstes Nordrhein-Westfalen kam mit Gutachten vom 27.09.2011 zu folgenden Ergebnissen: Nach Auswertung vorliegender Studien und Empfehlungen internationaler Fachgesellschaften solle die allogene Stammzellentransplantation bei Myelompatienten, insbesondere bei nicht verwandten Spendern, aufgrund des nicht gesicherten Nutzens, des hohen behandlungsbedingten Risikos für tödliche Komplikationen und der ungünstigen Langzeitergebnisse auf klinische Studien beschränkt bleiben. Da die EBMT-Studie (Europäische Gesellschaft für Knochenmark- und Blutstammzellentransplantation) für allogene Stammzellentransplantation von Patienten mit rezidivierendem Myelom seit 2007 geschlossen und aktuell (2011) nur Studien für den Einsatz einer allogenen Stammzellentransplantationen in der Erstlinientherapie von Myelompatienten aktiv seien, könne ein individueller Heilversuch bei Patienten mit rezidivierendem multiplem Myelom nur auf der Grundlage einer individuellen Nutzen-Risikoabwägung erfolgen. Man müsse im Einzelfall anhand der bekannten Risikofaktoren bewerten, ob ganz überwiegend günstige Prognosefaktoren vorlägen und die Wahrscheinlichkeit für einen Nutzen der Behandlung hoch sei. Die Voruntersuchung habe bei der Versicherten mit 64% eine deutlich eingeschränkte CO-Diffusionskapazität ergeben, so dass die Klinik den Komorbiditätsindex nach Sorror mit 3 angegeben habe. Allerdings kontrastiere die deutliche Einschränkung der Lungenfunktion mit dem völlig unbeeinträchtigten Allgemeinzustand (Karnofsky-Index 100 %) und dem unauffälligen Lungenbefund im CT, so dass Zweifel an der Zuverlässigkeit dieses Befundes angebracht seien. Wenn es sich um einen Messfehler gehandelt hätte, wäre die Patientin sicher eine geeignete Kandidatin für die Behandlung mit allogener Stammzellentransplantationen gewesen. Im Ergebnis habe es sich daher um einen Grenzfall gehandelt, bei dem man weder eindeutig von einer Behandlung mit allogener Stammzellentransplantationen außerhalb klinischer Studien zu - noch abraten könne. Es sei nicht zu entscheiden, ob die Wahrscheinlichkeit für einen Nutzen oder Schaden durch diese Behandlung höher sei. Darüber hinaus sei die Klägerin in 2 Punkten von dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse abgewichen. Es sei weder ein ausreichend geprüftes Konditionierungsprotokoll eingesetzt worden noch eine zugelassene GvHD-Prophylaxe erfolgt.

Die Beklagte teilte der Klägerin daraufhin mit Schreiben vom 19.10.2011 unter Bezugnahme auf das Gutachten des MDK mit, dass sie den bereits gezahlten Betrag gegen andere Forderungen der Klägerin aufrechne. Die Aufrechnung erfolgte am 31.10.2011.

Die Klägerin hat am 08.12.2011 Klage erhoben.

Die Klägerin beantragt,
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein 73.955,25 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.10.2011 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Das Kompetenz Zentrum Onkologie hat im Auftrag der Beklagten am 31.7.2012 ein Zweitgutachten vorgelegt. Der Gutachter führt aus, dass er der Bewertung der Klägerin, dass die Patientin eine geeignete Kandidatin für eine Behandlung mit allogener Stammzellentransplantationen gewesen sei, nunmehr zustimme, nachdem die Klägerin eine ärztliche Stellungnahme zur Lungenfunktionsmessung vom 4.10.2010 vorgelegt habe, nach der die CO-Diffusionskapazität 79,5 % des Soll s betragen habe und ein Wert ) 80 % des Sollwertes als unkritisch gelte. In Streit stehe jedoch weiterhin die sachgerechte Auswahl des Konditionierungsprotokolls und der GvHD-Prophylaxe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Patientenakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die Klage ist als Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG zulässig, denn bei einer auf Zahlung der Behandlungskosten eines Versicherten gerichteten Klage eines Krankenhausträgers gegen eine Krankenkasse handelt es sich um einen sogenannten Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt (BSGE 90, 1 ff.). Es ist demnach weder ein Vorverfahren durchzuführen noch eine Klagefrist zu beachten.

Die Klage ist begründet, denn der Klägerin steht der geltend gemachte Vergütungsanspruch zu. Die Klägerin hat die streitgegenständlichen Behandlung der Versicherten in der Zeit vom 15.11.2010 bis zum 23.12.2010 mit Rechnung vom 29.12.2010 zutreffend auf der Grundlage der G-DRG A04D (Knochenmarkstransplantation/ Stammzelltransfusion, allogen) sowie den gesondert berechenbaren Zusatzentgelten in Höhe von 73.955,25 EUR abgerechnet. Demzufolge hatte die Beklagte gegenüber der Klägerin keinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch, den sie mit weiteren Forderungen der Klägerin nach § 69 Abs. 1 S. 3 SGB V i.V.m. §§ 387 ff. BGB aufrechnen konnte (vgl. zur Aufrechnung eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruches BSG, Urteil vom 19.9.2013 – B 3 KR 30/12 R).

Rechtsgrundlage des geltend gemachten Vergütungsanspruchs der Klägerin ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V mit Verweis auf das Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG), sowie der "Vertrag über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung gemäß § 112 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V" zwischen der Hessischen Krankenhausgesellschaft und den Krankenkassen (-verbänden). Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse gegenüber einem Krankenhaus entsteht unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistungen des Krankenhauses durch einen Versicherten der Krankenkasse, wenn die Versorgung in einem nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich ist. Die Klägerin betreibt ein zugelassenes Krankenhaus und die Inanspruchnahme der Leistungen der Klägerin war auch erforderlich.

Für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer stationären Krankenhausbehandlung kommt es nicht auf eine abstrakte Betrachtung sondern vielmehr auf die medizinischen Erfordernisse im Einzelfall an. Im Streitfall haben Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit uneingeschränkt zu überprüfen, ob eine stationäre Krankenhausbehandlung aus medizinischen Gründen notwendig ist. Es besteht hierbei keine Bindung an die Einschätzung des behandelnden Krankenhausarztes, denn hierfür bietet das Gesetz keine Grundlage (vgl. BSG, Beschluss des Großen Senats vom 25.09.2007, GS 1/06 veröffentlicht in juris). Es verbietet sich allerdings die Vornahme einer ex-post Betrachtung, vielmehr ist zu fragen, ob sich die stationäre Behandlung bei Zugrundelegung der für den Krankenhausarzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst im Behandlungszeitpunkt verfügbaren Kenntnisse und Informationen zu Recht als medizinisch notwendig dargestellt hat (BSG a.a.O.).

Stationäre Krankenhausbehandlung ist unter diesen Voraussetzungen grundsätzlich nur dann erforderlich, wenn sie dem Stand der medizinischen Erkenntnis entspricht sowie ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist, §§ 2, 12, 28, 70 SGB V. Nach § 28 Abs. 1 SGB V, auf den § 39 SGB V ausdrücklich Bezug nimmt, umfasst die ärztliche Behandlung die Tätigkeit des Arztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist. § 2 Abs. 1 S 3 SGB V bestimmt allgemein, dass die Leistungen der Krankenversicherung nach Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben. Den Qualitätskriterien des § 2 Abs. 1 S 3 SGB V schließlich entspricht eine Behandlung, wenn die "große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler)" die Behandlungsmethode befürwortet und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Dieses setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein (BSG, Urteil vom 21.03.2013 - a.a.O; BSG, Urteil vom 17.12.2013 – B 1 KR 70/12 R). Die streitgegenständliche allogene Stammzellentransplantation bei einem rezidivierenden Myelom entsprach im Zeitpunkt der Behandlung der Versicherten nicht dem gesicherten Stand der medizinischen Erkenntnis.

Liegen die Voraussetzungen der §§ 2, 12, 28, 70 SGB V nicht vor, kann nach § 137c Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 SGB V eine Leistungspflicht der GKV für eine vollstationäre Behandlung im Rahmen einer klinischen Studie bestehen, wenn die Studienteilnahme der Verwirklichung der Ziele der Krankenbehandlung (§ 27 SGB V) dient und solange der Patient notwendig stationär versorgt werden muss. Ein solcher Vergütungsanspruch für Studien setzt voraus, dass das Krankenhaus mit seiner Abrechnung diesen Aufnahmegrund (§ 301 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V) mitteilt. Diese maßgebliche Grundlage der Behandlung löst strukturell bei der KK wesentlich vom Üblichen abweichende Prüferfordernisse aus, die sich etwa auf den korrekten Einschluss des Versicherten in die Studie, deren hinreichende Seriosität mit Blick auf den Patientenschutz (vgl. etwa entsprechend zu den Voraussetzungen der klinischen Prüfung eines Arzneimittels bei Menschen §§ 40 ff Arzneimittelgesetz), die gebotene Einschaltung einer Ethikkommission mit positivem Ergebnis und die hinreichende Dokumentation der wirksamen Einwilligung nach gebotener Aufklärung erstrecken können (BSG, Urteil vom 17.12.2013 a.a.O.). Die streitgegenständliche Behandlung fand nicht im Rahmen einer Studie statt. Für die streitgegenständliche Zweitlinientherapie mit allogener Stammzellentransplantation bei einem rezidivierendem Myelom stand im Zeitpunkt der Behandlung der Versicherten kein Studie offen.

Die Erforderlichkeit der stationären Krankenhausbehandlung kann sich unter diesen Voraussetzungen auch als ultima ratio nach Maßgabe der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergeben. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung (1) eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht (2), von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht (3). Die im Streitfall vom Versicherten angerufenen Sozialgerichte haben in solchen Fällen, gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe, zu prüfen, ob es für die vom Arzt nach gewissenhafter fachlicher Einschätzung vorgenommene Behandlung ernsthafte Hinweise auf einen nicht ganz entfernt liegenden Erfolg der Heilung oder auch nur auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf im konkreten Einzelfall gab. Solche Hinweise auf einen individuellen Wirkungszusammenhang können sich aus dem Gesundheitszustand des Versicherten im Vergleich mit dem Zustand anderer, in gleicher Weise erkrankten, aber nicht mit der in Frage stehenden Methode behandelter Personen ergeben sowie auch mit dem solcher Personen, die bereits auf diese Weise behandelt wurden oder behandelt werden. Insbesondere bei einer länger andauernden Behandlung können derartige Erfahrungen Folgerungen für die Wirksamkeit der Behandlung erlauben. Weitere Bedeutung kommt der fachlichen Einschätzung der Wirksamkeit der Methode im konkreten Einzelfall durch die Ärzte des Erkrankten zu, die die Symptome seiner Krankheit behandeln. Hinweise auf die Eignung der im Streit befindlichen Behandlung können sich auch aus der wissenschaftlichen Diskussion ergeben (BVerfG, Beschluss vom 06.12.2005 – 1 BvR 347/98 – "Nikolausbeschluss"). Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der Gesetzlichen Krankenversicherung GKV-Versorgungsstrukturgesetz – GKV-VStG vom 22.12.2011 hat der Gesetzgeber in der Folge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in § 2 SGB V den Abs. 1a mit folgendem Wortlaut eingefügt: "Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch von Abs. 1 Satz 3 abweichende Leistungen beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht." In der Begründung des Gesetzesentwurfs stellt der Gesetzgeber hierzu klar, dass der Anspruch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts als eine Ausnahme von § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V im Leistungsrecht der GKV insgesamt gelte. Damit werde keine neue Leistung eingeführt, vielmehr würden bereits geltende Anspruchsvoraussetzungen gemäß grundrechtskonformer Auslegung des Leistungsrechts ins Gesetz übernommen (BR-Drs. 456/11, S. 73) Unter Bezug auf die Verfahrensordnung des G-BA heißt es in der Gesetzesbegründung weiter, dass auch Ausschlussentscheidungen des G-BA zu ärztlichen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden den Leistungsanspruch des Versicherten nicht verkürzen. Nach dieser Klarstellung des Gesetzgebers sind die vorgenannten tatbestandlichen Voraussetzungen des Leistungsanspruches gemäß der im streitgegenständlich Zeitraum maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, als Ausnahmetatbestand zu § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V anzuwenden. Demnach findet die Regelung des § 2 Abs. 1 Abs. 1 Satz 3 SGB V , wonach Qualität und Wirksamkeit der Leistungen nach dem allgemeinem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnis zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben, bei der nach dem Willen des Gesetzgebers gebotenen Auslegung, keine Anwendung. Unbesehen einer abstrakt-generellen Betrachtung des Standes der medizinischen Erkenntnis im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V kommt es darauf an, ob die Behandlung im konkreten Einzelfall des versicherten Grundrechtsträgers eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf hat. Dabei kommt es insbesondere auf die fachliche Einschätzung des behandelnden Arztes im Einzelfall an. Die wissenschaftliche Diskussion und Studienergebnisse sind von ihm zu berücksichtigen, binden aber gerade in den Fällen nicht, in denen ein gesicherter Stand der medizinischen Erkenntnis im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V nicht besteht. Ebenso kann ein Versicherter unter den o.g. Voraussetzungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht von einer Behandlung ausgeschlossen werden, die nicht im Rahmen einer Studie i. S. d. § 137c Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 SGB V durchgeführt wird. Die Durchführung einer Behandlung in einer Studie nach § 137c Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 SGB V schließt einen Anspruch unter den tatbestandlichen Voraussetzungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur in den Fällen aus, in denen der Versicherte in dem streitgegenständlichen Zeitpunkt der Behandlung Zugang zu einer entsprechenden Studie hat. Solange der Versicherte keinen Zugang zu einer geeigneten Studie hat, kann er nicht von einer Behandlung, die im Übrigen den Voraussetzungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entspricht, ausgeschlossen werden.

Die Versicherte litt mit einem rezidivierenden Myelom an einer lebensbedrohlichen Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung stand. Die allogene Stammzellentransplantation bei einem rezidivierenden Myelom in der Zweitlinienbehandlung hatte in dem streitgegenständlichen Einzelfall auch eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung. Soweit der MDK die Erforderlichkeit der allogenen Stammzellentransplantation in seinem Gutachten vom 07.03.2011 sowie in dem nachfolgenden Gutachten des Kompetenzzentrums Onkologie des Medizinischen Dienstes Nordrhein-Westfalen vom 27.09.2011 zunächst verneinte, revidierte der MDK seine Auffassung in einem weiteren Gutachten des Kompetenzzentrums Onkologie vom 31.07.2012. Der Gutachter führt aus, dass er der Bewertung der Klägerin, dass die Patientin eine geeignete Kandidatin für eine Behandlung mit allogener Stammzellentransplantationen gewesen sei, zustimme, nachdem die Klägerin eine ärztliche Stellungnahme zur Lungenfunktionmessung vom 4.10.2010 vorgelegt habe, nach der die CO-Diffusionskapazität bei der Patientin 79,5 % des Soll s betragen habe und ein Wert ) 80 % des Sollwertes als unkritisch gilt. In Streit stehe jedoch weiterhin, die sachgerechte Auswahl des Konditionierungsprotokolls und der GvHD-Prophylaxe.

Ist die Erforderlichkeit der stationären Behandlung mit allogener Stammzellentransplantation nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dem Grunde nach bei individueller Eignung der Versicherten zu bejahen, steht auch die streitige Auswahl des Konditionierungsprotokolls und der GVHD-Prophylaxe einer Abrechnung nicht entgegen. Findet bei einem rezidivierenden Myelom eine dem Grunde nach erforderliche Behandlung mit allogener Stammzellentransplantation in einem Behandlungszentrum statt, das von der Europäischen Gesellschaft für Knochenmark- und Blutstammzellentransplatation (EBMT) und der Internationalen Gesellschaft für Zelltherapie (ISCT) als Zentrum der Stammzellentransplantation mit dem höchsten europäischen Standard zertifiziert worden ist (JACIE Standard), haben die behandelnden Ärzte, soweit es hinsichtlich der einzelnen Behandlungselemente keinen Standard im Sinne eines gesicherten Standes medizinischer Erkenntnis gibt, im Rahmen der Therapiefreiheit auf der Grundlage der bekannten Studien und ihrer in dem nach JACIE Standard zertifizierten Klinikbetrieb gewonnenen individuellen Erkenntnisse, ein Auswahlermessen, sofern sie dabei nicht evident gegen Patientenrechte oder das Gebot der Wirtschaftlichkeit i. S. d. § 12 Abs. 1 SGB V verstoßen. Die Konditionierung mit einem toxizitätsreduzierten Chemotherapieprotokoll mit Fludarabin, Treosulfan und ATG sowie die GvHD-Prophylaxe mit ATG, Sirolimus und Bortezomib bot bei der Versicherten in dem streitgegenständlichen Fall eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder einen spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf und verstieß auch nicht evident gegen ihre Patientenrechte. Die Versicherte ist bei kompletter Remission und negativer Immunfixation entlassen worden und lebt seitdem nach den unwidersprochenen Angaben der Klägerin im Erörterungstermin am 10.09.2014 beschwerdefrei. Zwar ist Treosulfan ebenso wie Melphalan, das die Beklagten zur Konditionierung favorisiert, für die Zweitlinienbehandlung von rezidivierenden multiplen Myelomen nicht zugelassen. Treosulfan gehört jedoch ebenso wie Melphalan zu der Zytostatikagruppe der Alkylanzien und ist als Zytostatika für die Behandlung von Ovarialkarzinomen zugelassen, sodass seine Verwendung nicht in evidenter Weise eine entfernt liegende Aussicht auf Heilung ausschließt. Ebenso bot die GvHD-Prophylaxe mit ATG, Sirolimus und Bortezomib eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung. Das Therapiekonzept wurde in der Klinik der Klägerin vor der streitgegenständlichen Behandlung bereits bei mehr als 50 Patienten eingesetzt und die positiven Behandlungsansätze hinsichtlich der ersten 15 Patienten waren unter anderem von dem behandelnden Arzt der Klägerin, Prof. Dr. med. D. bereits im Jahr 2009 publiziert worden (Bone Marrow Transplanation (2009), 43, 717-723).

Auch das Gebot der Wirtschaftlichkeit nach § 12 Abs. 1 SGB V steht der Erforderlichkeit der Behandlung nicht entgegen. Die streitgegenständlichen Behandlungskomponenten haben nach den übereinstimmenden Ausführungen der Beteiligten in dem Erörterungstermin am 10.09.2014 nicht zu einer Erhöhung der Behandlungskosten geführt.

Die Abrechnung der Behandlungskosten mit Rechnung vom 19.12.2010 in Höhe von 73.955,25 EUR war auf der Grundlage der DRG A04D (Knochenmarkstransplantation/Stammzelltransfusion, allogen) nebst den gesondert berechenbaren Zusatzentgelten in der Höhe nicht zu beanstanden. Auch er MDK wies in seinem Gutachten vom 07.03.2011 darauf hin, dass alle abrechnungsrelevanten Kodierungen einschließlich der Zusatzentgelte in der Höhe korrekt abgerechnet worden seien.

Der streitgegenständliche Zinsanspruch der Klägerin folgt aus § 10 Abs. 5 des Landesvertrages über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung gemäß § 112 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB V in Verbindung mit § 288 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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